Pflegenotstand ist längst Realität in Konstanz

IMG_2867.JPG„Sowohl im Hinblick auf die WoManpower als auch auf die Kosten wird sich der Pflegemarkt nicht mehr so weiter entwickeln können wie in den letzten 20 Jahren.“ Hinter dieser schlichten Feststellung im ‚Bericht zur Pflege 2014‘ des Sozial- und Jugendamtes der Stadt Konstanz verbirgt sich der Notstand: Der selbst verschuldete Pflegenotstand ist längst da

In keinem anderen Land Europas gibt es weniger Pflegepersonal im Verhältnis zur Zahl der Patienten wie in Deutschland. Hierzulande versorgt eine Krankenpflegerin durchschnittlich 10,3 Patienten, in Norwegen sind es lediglich 3,8. Und nirgends wird so schlecht bezahlt: Eine voll ausgebildete Krankenschwester/Pflegerin kommt im reichen Deutschland in der Höchststufe auf 2 980 Euro. Brutto.

700 PflegerInnen fehlen im Landkreis

30 000 Stellen sind derzeit im deutschen Pflegebereich nicht besetzt, allein 700 im Landkreis Konstanz, über den Fehlbedarf bei den mittlerweile 15 Pflegediensten im Stadtbereich Konstanz schweigt sich der Bericht, der am morgigen Dienstag auch Thema im Konstanzer Sozialausschuss sein wird, merkwürdigerweise aus. Nach Schätzungen von Betriebsräten und Gewerkschaftern jedoch dürften bis zu 300 Stellen unbesetzt sein – genau so viele, wie derzeit in der Stadt beschäftigt sind. Und nur verschämt wird im städtischen Report auf die wahren Gründe für diesen Exodus von Fachkräften hingewiesen: Die Nachbarn in der Schweiz sind schuld, denn die zahlen besser und bieten obendrein noch familienverträglichere Arbeitszeiten.

Die Konstanzer Gewerkschaft ver.di, die derzeit in Tarifverhandlungen nicht nur für eine bessere Bezahlung, sondern auch für eine Mindestbesetzung auf den Pflegestationen kämpft (s. Foto), macht die Rechnung auf: Eine voll ausgebildete Krankenschwester/Pflegerin kommt im reichen Deutschland in der Höchststufe auf 2 980 Euro brutto. Sogar der ‚Bericht zur Pflege 2014‘ des Sozial- und Jugendamtes der Stadt Konstanz vermeldet, dass „ausgehend von einer alleinstehenden 44 jährigen Pflegefachkraft bei einem Beschäftigungsumfang von 70% sich ein Verdienst von durchschnittlich 1330 € netto ergibt. Von diesem Verdienst alleine lässt sich nicht gut leben, weshalb viele Beschäftigte der Pflegedienste einen zweiten Job haben“. (Quellen: www.lohnspiegel.de. http://www.score-personal.de/altenpflegergehalt; www.gehalt.de)

Gemeinderat verweigerte Bonuszahlung

Rückblick, April 2014: „Bei sieben Neinstimmen des bürgerlichen Blocks inklusive SPD gegen drei Jastimmen der FGL hat der Spitalausschuss den Antrag auf eine Prämie für die spitälischen Pflegekräfte (200 Euro pro Person) abgelehnt, die LLK-Vertreter hatten (damals noch, Anm. d. Red.) kein Stimmrecht“, meldete damals einzig seemoz. Voran gegangen war eine monatelange Initiative des FGL-Stadtrats Normen Küttner, der wenigstens eine einmalige, außertarifliche Sonderzahlung für die Beschäftigten gefordert hatte. Doch selbst diese lächerlich schmale Vergütung wurde – wie auch andere Vorschläge, z.B. ein Freifahrschein im Busbetrieb – von den GemeinderätInnen abgelehnt. Seitdem haben Dutzende von Pflegekräften ihr Heil in der Schweiz gefunden.

Geradezu perfide liest sich dann aber die Einschätzung im aktuellen ‚Bericht zur Pflege‘: „Möglicherweise gibt es eine Entspannung auf dem Pflegefachkräftemarkt in Konstanz, da in der Schweiz seit dem 01.01.2014 die Einstellungsvoraussetzungen für AltenpflegerInnen verändert wurden. AltenpflegerInnen gelten nicht als „vollwertige“ Fachkräfte. Um einen entsprechenden Status zu erreichen, sind „Nachholbildungen“ und der Erwerb fehlender Kompetenzen nachzuholen. Dieser Umstand könnte sich positiv auf den Fachkräftemangel in Konstanz auswirken“. Im Klartext: Die Konstanzer Verantwortlichen hoffen auf eine Erschwernis der Arbeitsbedingungen in der Schweiz, um dem Pflegenotstand hierzulande nicht abhelfen zu müssen.

Außertarifliche Zuschläge sind immer erlaubt

Und kein Wort zu einer besseren Bezahlung der Pflegekräfte vor Ort, keine Idee zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Lieber vermeidet man das Wort vom Pflegenotstand, den es immer nur anderswo gibt. Stattdessen immer nur das (Schein)Argument, durch die Tarifverträge seien den städtischen wie privaten Arbeitgebern die Hände gebunden – man dürfe einfach nicht mehr zahlen. Mit Verlaub: Auch Ärzte und Führungskräfte auch im Pflegebereich erhalten regelmäßig Bonuszahlungen – da fragt niemand nach Tarif- oder Arbeitsverträgen. Denn außertarifliche Zuschläge waren und sind schon immer statthaft, die Arbeitgeber müssen nur wollen.

Man muss befürchten, dass auch die GemeinderätInnen im Sozialausschuss, die auf der morgigen Sitzung den Bericht des Sozialamtes mit Sorgenmienen zur Kenntnis nehmen werden, an diesem Zustand nichts ändern wollen. Noch sind die Damen und Herren keine Pflegefälle.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: hpk

Weitere Texte zum Thema:

12.04.2013: Pflegenotstand und das böse Spiel mit dem „Fachkräftemangel“
25.04.2014: 200 Euro sind den StadträtInnen zu viel
08.05.2014: Anke Schwede: „Soziales kommt immer zu kurz“
13.05.2014: „Das trifft die Pfleger und Pflegerinnen ins Mark“