Kindergeburtstag oder Hamletmaschine reloaded?

Gedanken zu “Gestern habe ich aufgehört, mich zu töten. Dank Dir, Heiner Müller“ von Rogelio Orizondo in der Regie von Andreas Bauer am Stadttheater Konstanz. Im Folgenden genannt „das Stück“

Es ist eine Menge los: man rennt, man turnt, laut und grell ist es zwischenzeitlich auch : „Leider geil“. Der Zuschauer ist auch immer mit dabei, einer darf mal kurz die Kamera halten, andere dürfen die ihnen zugesteckten Fähnchen schwenken, oft wird die Bühne um den Zuschauerraum erweitert. Apropos Kamera: Mächtig multimedial ist das Ganze auch. Für Performance ist also gesorgt.

Im Falle des Kindergeburtstags würde die Antwort auf Frage nach dem „Was soll das denn?“ selbstredend auf das Ereignis selbst verweisen, den Spaß am Spektakel. Im Falle des Stücks eher Spektakel als Spaß. Denn den haben die auf der Bühne Versammelten nun wirklich nicht; man sieht ein Konglomerat von Leuten, die sich selbst wie gegenseitig maximal anöden. „Scheiße“ ist gefühlt das am häufigsten verwendete Wort, und ein abgetrennter Penis und die Muschi sind auch ganz wichtig. Reale Ausbruchsversuche aus dieser Trostlosigkeit finden nicht statt, stattdessen flüchten sich die Charaktere in Phantasien von Hype, Berühmtheit oder Verschwinden. Das eine wie das andere kann das Gefühl scheppernder Blutleere bei dem, was man da sieht, wenig ändern.

Da versucht keiner, Feuer zu legen an sein Gefängnis, da zertrümmert keiner die Werkzeuge seiner Gefangenschaft.Hamlet hat keinen Bock mehr, so wenig, dass er gar nicht mehr Hamlet heißen will. Das „H“ soll ans Ende (verpflichtet das dabei assoziierte „Macbeth“ nicht auch schon wieder zu Tragik und Größe?), denn mit dem „H“ am Anfang können die romanischen Sprachen nichts anfangen. Sicher richtig, aber wer, der wirklich verschwinden will, hielte sich mit derlei Kinkerlitz auf? Da spielen also eher Leute Theater, dass sie kein Theater (mehr) spielen wollen.

Wie alles bleibt aber auch das nur Zitat: All die dem Avantgarde-Theater entlehnten Zutaten führen nicht zu dem überzeugenden Ergebnis, dass da Leute, sei es jeder für sich oder alle zusammen, nach etwas Neuem suchen würden. Also nicht einmal der Versuch einer Antwort auf die eingangs gestellte Frage, hehr und durch den O-Ton von Meister Müller geadelt, wie man denn zu Verhältnissen gelangt, in denen der Mensch eben kein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist.

Auf der Suche danach sind natürlich schon ganz andere gescheitert, Müller lässt in seiner Hamletmaschine die Büsten von Marx, Lenin, Mao als solchen, die Hoffnung auf die „neue Zeit“ geweckt wie enttäuscht hatten, zertrümmern. Aber auf die Suche nach einer solchen Antwort kann sich nur einer machen, der eine politische Intention hat.

Nächste Aufführungen in der Werkstatt: Mi. 5.11 – 20 Uhr, Do, 6.11 – 20 Uhr,  Di. 11.11 – 20 Uhr; DAUER 1:20 h (keine Pause); AUSSTATTUNG/BÜHNE Petra Linsel KOSTÜME Petra Linsel, DRAMATURGIE Miriam Denger; MIT Clara de la Caridad González García, Julia Alice Ludwig, Georg Melich, Jonas Pätzold.

Im Stück geht es mehr um den Effekt: So fällt die Konfrontation der Schauspielerin aus Kuba mit dem Konterfei des „Maximo lider“ vergleichsweise lau aus: zu mehr als zur harmlosen Frage, warum der alte Mann denn zu allem immer nur lacht, reicht es nicht. Da fällt der Auftritt eines anderen „liders“ ganz anders aus: Da prangt zwischen den Beinen des (imaginierten) Babys, welches Ophelia Hamlet zeigt, das Bild Adolf Hitlers. Kurz danach prangt dessen ikonischer Oberlippenbart als Schamhaar zwischen den Schenkeln der Puppe. Wenn`s denn auf die Entfernung recht zu erkennen war. So oder so: Inhalts- wie geschmacklose Effekthascherei at its best.

Maximale Aufmerksamkeit und Erregung gibt`s eben mit Hitler, mit dem man genauso gut Reklame machen kann für Familienvans wie Frühstücksquark, wenn nur das Niveau tief genug sinkt.
So entwickelt sich auch nicht viel aus dem gegenüber der Hamletmaschine veränderten Schluss: Dort ist Ophelias Wut, ihr Abschied von der (Selbst)Missachtung ein grosses movens (von dem sich ja auch das Stück seinen Namen geborgt hat) und in ihre Rolle als Elektra/Medea am Ende mündet. Im Stück ist es die kubanische Schauspielerin als (Fortin)Braz, die am Schluss agiert. Dort ist sie es, die Hamlet in Folie verpackt. Noch ein Zitat. In der Hamletmaschine ist es Ophelia, die als  Elektra/Medea in Mull eingewickelt wird. Worauf dieses Zitat aber hinaus will, bleibt wie so vieles unklar.

Also abhaken, das Stück? Nicht ganz. Zwar regt sich zum Schluss die Hand des genervten Zuschauers kaum zum Applaus. („Die ausgestopften Pestleichen im Zuschauerraum bewegen keine Hand.“ So steht`s in Müllers Mamletmaschine). Trotzdem geht er mit dem Gefühl nach Hause, dass an der Sache doch mehr dran sein könnte. Nach einmal drüber schlafen also ran an die Kiste und nach Müllers Hamletmaschine gesucht. Und siehe da: Blixa Bargeld/Heiner Müller rezitieren deren Text. Gute 30 Minuten, die sich lohnen: http://www.youtube.com/watch?v=6N4A-fp3dyM

Und danach findet man im hintendrein durchaus sogar noch einige Klöße als Inhalt in der doch reichlich dünnen Brühe der Performance des Vorabends.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: Christoph Linge