„Überall ist Kobanê – überall ist Widerstand“
Was die Solidarität für Kobanê in Konstanz innerhalb von eineinhalb Wochen auf die Beine gestellt hat, ist bemerkenswert. 250 Menschen folgten am Samstag dem Demonstrationszug vom Georg-Elser-Platz an die Marktstätte. Sie forderten ein Ende des PKK-Verbots sowie des IS-Terrors. Dass die Revolution in Rojava eine Frauenrevolution ist, bestätigte die Demonstration mit einem ungewöhnlich hohen Frauenanteil von mehr als 40 Prozent
Einige der TeilnehmerInnen waren gar aus Villingen-Schwenningen und Umgebung angereist, um die Veranstaltung zu unterstützen. Zur Eröffnung wurde eine Ansprache auf Kurdisch, Türkisch und Deutsch gehalten unter dem Motto „Überall ist Kobanê – überall ist Widerstand!“ Darin wurde vor allem Empörung über die Politik Erdogans und der AKP laut: „In einigen Städten und Vororten wie Amed, Mardin, Van, Şırnak, Batman, Muş, Bitlis, Hakkari, İstanbul, Siirt und Kızıltepe werden die Auseinandersetzungen immer brutaler ausgetragen und die Angriffe der türkischen Regierung, die einen derartigen Widerstand nicht erwartete, immer stärker. Dutzende Menschen wurden bei diesen Angriffen bereits ermordet, mehrere teilweise schwer verletzt und Hunderte festgenommen.“ Auch wurde berichtet, dass es in Europa bereits zu Übergriffen auf Solidaritätsveranstaltungen durch IS-Anhänger kam.
Später sagt Helin, die einen Teil der Eröffnungskundgebungen gehalten hat, gegenüber seemoz: „Kobanê ist für mich das Auge Kurdistans, das sind unsere Mitmenschen. Es ist die Pflicht von uns Kurden, sie zu unterstützen.“
Gegen ein Zurück ins Mittelalter
„Die wollen uns über 1.000 Jahre ins Mittelalter zurückwerfen“, empört sich Jado über die Machenschaften des IS. Der 47-jährige saß bis 2011 vier Jahre lang in einem von Assads Gefängnissen. Er musste sich während seiner Haft gegen mitinhaftierte IS-Anhänger zur Wehr setzen. Seine Körpersprache während der Demonstration ist sichtlich von Erleichterung geprägt. Es geht ihm aber um mehr als den Terror. Es geht um ein komplettes gesellschaftliches Projekt. „Ich will, dass die Leute wissen, was wir wollen: Freiheit, Demokratie, eine progressive Gesellschaft aufbauen. Die Mehrheit der Kurden sind Muslime, aber keine radikalen Muslime. Für den IS sind wir Gegner Gottes“, bekräftigt Jado.
US-Bomben helfen derzeit dem Widerstand, aber …
Leyla ist 23. Sie hält ein Banner mit der Aufschrift: „Die Revolution von Rojava ist eine Frauenrevolution.“ Sie empfindet es als wichtig, dass ebenso Frauen vor Ort gegen den IS kämpfen und hofft, dass die Sache „gut ausgeht.“ Wie viele Demonstrierende wird sie auf die Bombenangriffe der Amerikaner angesprochen. „Jede Bombe hilft gegen den Terror des IS“, meint sie und steht damit nicht allein. Mehrfach bestätigt man uns, dass die Hoffnung in Militärschläge gesteckt wird. Ganz unkritisch werden sie dennoch nicht gesehen. Als der Demonstrationszug einen Döner-Imbiss passiert, bemerkt Inhaber Musa (56), dessen Familie heute mitdemonstriert: „Ich finde es in Ordnung, aber zu spät.“ So kritisiert er die Rolle von Türkei und Qatar als IS-Geldgeber sowie die US-Außenpolitik, mit der die IS-Kämpfer erst erstarken konnten. Auch Helin sieht die Luftschläge zwar als Unterstützung, bemerkt aber, es sei bedrückend, „wenn man hört, dass einige Stellungen des IS von den USA gezielt nicht bombardiert werden.“ Die Demonstration von Kurdistan-SympathisantInnen findet Musa gut: „Das ist toll, seit Jahren haben wir nicht mehr so viele Leute zusammenbekommen.“
Für ein alternatives Projekt
Jürgen Geiger, der als Vertreter der Partei DIE LINKE.Konstanz sprach, warb für die entschiedene Unterstützung der kurdischen Bewegung durch die deutsche Zivilgesellschaft: „Das Projekt der Demokratischen Autonomie“, welches in Kurdistan „mit den drückenden patriarchalen Zwängen der nahöstlichen Gesellschaft bricht und Frauen zur Gleichstellung verhilft“, so Geiger, „nimmt auch die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in den Blick und will ökologische Gesichtspunkte der Entwicklung verankern. Deshalb wird es nicht nur von den religiösen IS-Fanatikern wütend bekämpft, es ist auch den westlichen Großmächten und den mit ihnen verbundenen Staaten der Region ein Dorn im Auge.“
Geiger forderte zudem ein Ende des PKK-Verbots, ihre Verfolgung müsse in Deutschland sofort aufhören: „Die Arbeiterpartei Kurdistans und mit ihr verbündete Organisationen tragen die Hauptlast des Kampfes gegen den IS, sie haben Zehntausenden das Leben gerettet.“
Gleiches forderte auch ein Verterter der Linksjugend[’solid] und mahnte: „Es gibt derzeit 140 000 Flüchtlinge in den kurdischen Gebieten der Türkei. Es werden immer mehr. 98 000 Flüchtlinge befinden sich in Camps der kurdischen Kommunen. Weitere 40 000 Flüchtlinge halten sich bei privaten Familien auf oder werden von Freiwilligen unterstützt. Zum Vergleich: Die Türkei bietet momentan nur 6100 Flüchtlingen Schutz“, brandmarkte er die Politik der türkischen Regierung und forderte sie auf, die Kumpanei zwischen IS und türkischer Grenzkontrolle zu unterbinden und einen ernsthaften Korridor für Flüchtlinge nach Europa zu schaffen.
Die Demonstration verlief friedlich. Es gab keine Übergriffe auf die Teilnehmenden, wie in Hamburg oder Celle geschehen. Doch es gibt gesellschaftliche Perspektiven und die Hoffnung in ein real existierendes solidarisches Projekt. Um es mit den Worten von Jürgen Geiger zu sagen: „Hier haben Menschen ihr Geschick in die Hand genommen. Sie nehmen Armut, Unterdrückung und Ausbeutung nicht mehr länger hin und demonstrieren, dass ein anderes Leben möglich ist.“ Eben ein Leben abseits von westlichen, kapitalistischen „Wachstum-Wachstum-Wachstum“-Profitinteressen.
Autor: Ryk Fechner, Fotos: Dietmar Messmer