Kurden kämpfen um ihre Autonomie
Man verteidigt nicht „nur“ Leib und Leben in Kobane, mann und frau verteidigen das Modell der demokratischen Autonomie. Ein Konzept, das „auch für SozialistInnen anderswo zum Vorbild geworden ist“, sagt Jürgen Geiger von der LINKEN im Konstanzer Wolkensteinsaal. Die Partei hatte Hazina Osi von der PYD und Melike Yasar von der kurdischen Frauenbewegung eingeladen
Kurdistan erlebte ab 1923 einige Teilungen. Hazina Osi, die von Melike Yasar vom Kurdischen ins Deutsche übersetzt wurde, legte besonderen Wert auf diesen Teil der Geschichte. Da sich Kurdistan über Teile der Türkei, Syriens, des Iraks und des Irans erstreckt, hatte es die kurdische Bevölkerung vor allem in Hinblick auf die rechtliche Anerkennung und Selbstorganisation schwer. Nicht einmal Ausweispapiere gab es für sie. Vor allem im türkischen Teil wurde mit Repression gearbeitet: Kurdische Kultur und Sprache waren verboten.
Osi, von Anfang an am Aufbau des Projekts in Rojava beteiligt: „Die Türkei und die arabischen Länder sind unzufrieden damit, dass wir jetzt ein System frei von Repression, selbst organisiert, aufbauen.“ Seit Monaten seien „Leute von sieben bis siebzig Jahren“ daran beteiligt, „Kobane zu verteidigen.“ Wie prekär die humanitäre Lage der Menschen ist, beschreibt Hazina Osi: „Vor allem die Kinderernährung ist schwierig. Teilweise gibt es zehn Tage lang kein Brot. Die Menschen in Kobane leben auf der Straße oder in Schulgebäuden, die noch nicht zerstört sind.“ Dass die Türkei IS-Kämpfer über die Grenze lasse, während Nachschubwege für humanitäre Hilfe nicht geschaffen werden, erzürnt die Aktivistin.
„Wir sind kein Volk, das den Krieg liebt“
Dass es PYD und PKK nicht um Krieg geht, unterstreicht Osi außerdem: „Wir sind kein Volk, das den Krieg liebt, aber wir verteidigen uns, wenn wir von außen bedroht werden.“ Und verteidigenswert ist es wohl, dass es in Rojava jetzt Wahlen gibt, dass ethnische wie religiöse Minderheiten in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, dass die Bewegung von Feministinnen getragen wird.
PKK will Unabhängigkeit und keinen Staat
Melike Yasar: „Rojava ist das Resultat des 40-Jahre-langen Kampfes der PKK. Heute will die PKK zwar noch ein unabhängiges Kurdistan, aber keinen unabhängigen Staat mehr. Die kurdische Bewegung hat seit 1999 ihre Strategie grundlegend geändert. Das System des demokratischen Konförderalismus kam in den Vordergrund. Viele haben damals nicht verstanden, weswegen wir keinen Staat haben wollten. Abdullah Öcalan (Führer der PKK, d. Red.) hat im Gefängnis beschrieben, wie ein Kurdistan aussehen sollte, das die Fehler anderer Staaten nicht wiederholen will. Ein Staat ist hierarchisch. Ein Staat fängt von oben nach unten an. Wenn man sich das wie eine Pyramide vorstellt, dann hätten wir diese einfach umdrehen können, dann stünde oben die Bevölkerung und unten der Staat, aber trotzdem wäre es wieder ein System, das von oben nach unten aufgebaut ist.“
Innerhalb der kurdischen Bewegung habe es so einen langen Reflektionsprozess gegeben, in dem man Kritik und Selbstkritik geübt habe. Das Resultat war, dass man sich gezwungen sah, die Frauenpolitik ins Zentrum der neuen Bewegung zu stellen, um den äußerst patriarchalen Verhältnissen der Region etwas entgegenzusetzen. „Die kurdischen Frauen haben einen sehr harten Diskurs um den Begriff der „Ehre“ geführt. Ich bin niemandes Ehre. Meine Ehre ist meine Freiheit“, verdeutlicht Yasar.
Um zu verhindern, dass neue Hierarchien entstehen, gingen FunktionärInnen in die Zivilbevölkerung, um in verschiedensten Lebensbereichen mit ihnen zu diskutieren. Bewusst habe sich die PKK 1999 entschieden, sieben Jahre lang nicht zu kämpfen.
Kritik an USA um IS-Aufbau
Scharf brandmarkt Yasar die Außenpolitik der westlichen Länder, insbesondere der USA, die den IS mit aufgebaut habe: „Wieso? Der IS wurde aufgebaut, um den nahen Osten in ihrem Sinne neu strukturieren zu können.“ Ganz im Sinne imperialistischer Mentalität: „Das Prinzip war, die eine Diktatur durch eine andere zu ersetzen. Aber die kurdische Bevölkerung wollte etwas ganz anderes.“
Wie kann Hilfe konkret aussehen?
Vor allem wünscht sich Melike Yasar Solidarität von demokratischen, feministischen Organisationen, „die meinen, dass eine andere Welt möglich ist. Von Europa aus, kann man Delegationen nach Rojava schicken, damit sich diese informieren können, was die Bedürfnisse der Bevölkerung, der Frauen, der Verteidigungseinheiten, sind.“ So sei man in der Schweiz gerade dabei, zwischen einigen Kantonen der Schweiz und Kantonen Kurdistans eine Partnerschaft aufzubauen. Zwar ist man sich bewusst, dass man mit hierarchischen Staaten verhandelt, dennoch seien diese Gespräche strategisch unheimlich wichtig.
PKK-Verbot aufheben
Jürgen Geiger forderte unterdessen erneut eine Aufhebung des PKK-Verbots, die eine Hauptlast im Kampf gegen den IS trage: „Es wird auch momentan eine notwendige Solidaritätsarbeit mit der Arbeiterpartei Kurdistans kriminalisiert. Im Oktober sprach die linke Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke auf einer Kundgebung zum Thema Kurdistan und zeigte zum Schluss eine Flagge mit dem Symbol der PKK. Sie ist dort noch vor Ort festgenommen worden und vor kurzem wurde ihre Immunität als Bundestagsabgeordnete aufgehoben und jetzt wird sie strafrechtlich verfolgt. Warum sage ich das? Die Bundesregierung behält sich vor, kurdische Solidaritätsarbeit nach wie vor zu kriminalisieren. Und ich bin der Meinung, dass wir als Menschen insgesamt einen sehr großen Druck aufbauen können, dass die Bundesregierung nach mehr als 20 Jahren dieses PKK-Verbot endlich beseitigt.“ Seine Forderung zum Schluss: „Das PKK-Verbot muss weg.“[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Text: Ryk Fechner, Fotos: nik
Liebe Herr Linge,
es geht doch letztendlich nur um die Frage, wer gegen die Barbaren den Kopf hinhält. Die Goldfasane unserer Heimatfront tun dies allerdings auch nicht.
Sie waren übrigens auf der wichtigen Demo auch nicht präsent.
Gruß
@Maik Schluroff
Nach nochmaligem Nachlesen Ihrer links zu Syrien von seiten des seemoz bzw. der LINKEN kann ich als Botschaft immer noch nicht mehr herauslesen, als dass man vor allem darauf bedacht ist, auf jeden Fall den bösen Westen aus Syrien raus zu halten.
Für ein Regime, das „seine“Bevölkerung rücksichtslos zusammenschiesst, bedeutet aber eine solche a priori Zusicherung der Nicht-Intervention nichts anderes als die Bestandsgarantie und de facto die Ermutigung, die Repression weiter zu verstärken.
Und das dergestalt freigewordenen/-gelassene Feld des Widerstands haben inzwischen tatsächlich eher zweifelhafte Akteure besetzt.
Die Zeche für diese ach so friedvolle Position (nicht nur) der LINKEN hier zahlen die Menschen dort:
100tausende vonToten, die Mehrheit der Bevölkerung als Binnenflüchtlinge innerhalb „ihres“ Landes auf der Flucht, am schlimmsten trifft es die, die monatelang belagert/ausgehungert werden(Homs, Aleppo, Yarmouk….).
Die Flüchtlinge, die es aus diesem Irrsinn heraus bis zu uns schaffen, sind ja „nur“ die „Glücklicheren“.
Nun scheinen ja in den letzten Monaten, angesichts des Horrors von IS, Risse aufzutun in der Mauer des Nicht-Interventionismus, die viel zu lange 3 Jahre hermetisch bestanden hatte.
Ich möchte niemanden mit Einlassungen von „falscher“ Seite, interventions-süchtiger Bellizisten belästigen:
— Im ND war der Aufruf prominenter LINKER zu lesen, wonach die „militärische Unterstützung….der Kurden in und um Kobane unumgänglich“ sei. Und: „Die richtige Forderung nach einer Ausweitung der humanitären Hilfe, die die LINKE unterstützt, reicht nicht aus, um die IS-Terrormiliz zu stoppen.“ http://www.neues-deutschland.de/artikel/948391.linke-abgeordnete-offenbar-fuer-militaereinsatz-gegen-is.html
— Frau Buchholz, ( immer noch) verteidigungspolitische Sprecherin der LINKEN, erklärte: „Die Kurden haben jedes Recht, sich bewaffnet zu verteidigen“. http://christinebuchholz.de/2014/10/13/
— Und von Seiten der IPPNW hiess es:
„Wenn wir Kobane und die Menschen in Rojava weiter im Stich lassen, ist all unser Reden von Menschenrechten, von Völkergemeinschaft, von Humanität und ethischen Verpflichtungen hohles Geschwätz.“ (Dr. Penteker). Weiter:
„Wir bewundern den heldenhaften Abwehrkampf der kurdischen YPG und YPW, die Brüdern und Schwestern der PKK sind.“(Prof. Gottstein)
http://civaka-azad.org/stimmen-aus-deutschland-fuer-den-widerstand-kobane/
Wenn es tatsächlich zum Überdenken von viel zu lange gehegten, liebgewonnen Reflexen kommen sollte, wäre das zu begrüssen.
Ich kann allerdings keinerlei qualitativen Unterschied erkennen zwischen den Gräueln eines IS und dem Terror des Assad-Regimes.
Sind dessen Fassbomben, mit rostigen Metallteilen und TNT gefüllte Ölfässer, von Hubschraubern über Wohngebieten abgeworfen, „humaner“ als das, was der IS macht?
Und damit weniger Anlass, den Opfern vielleicht doch mehr/andere Unterstützung zukommen zu lassen als warme Worte?
Nur, weil IS die bessere PR macht und seinen Horror wirkmächtiger in Szene setzt?
Und ich kann auch nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet und mit einem Mal von seiten der Linken und der LINKEN exklusiv den Kurden als allgemeinen Publikumslieblingen das Recht zugestanden wird, sich zu wehren.
Wir erinnern uns:
Am Anfang des syrischen Aufstands waren es Arbeiter und Intellektuelle — also keinesfalls unappetitliche Islamisten — , die das Recht auf körperliche Unversehrheit, Freiheit und Selbstbestimmung von „ihrem“ Regime eingefordert hatten.
Die aber hat man ebendiesem überlassen.
„Liebe kurdische Mitbürger, befolgen Sie die Anordnung Ihres Führers“, so der Aufruf von Prof. Gottstein/IPPNW zum Schluss.
Der Mann hat die zutiefst „basisdemokratische“ Verfasstheit der PKK erfasst.
Treffender könnte sein Rat daher kaum ausfallen.
Und deutscher schon gar nicht.
@Christoph Linge
Ist „seemoz“ links ? Ist die Partei „Die Linke“ links? Dann finde ich die Behauptung „auf linker Seite merkwürdig desinteressiert am Schicksal der Menschen in Syrien“ recht merkwürdig, wie eine Sekundenrecherche zeigt:
http://www.seemoz.de/?s=syrien&submit=suchen
http://www.die-linke.de/service/suche/?gms_words=syrien&gms_website=dielinke&gms_order=score&gms_rubrik=&Abschicken.x=0&Abschicken.y=0
Schön, wenn sich liebgewonnene antiimperialistische Reflexe, dass eben „doch“ die USA, CIA…..hinter allem Bösen stecken, vereinbaren lassen mit vorbehaltloser Begeisterung für ein sich wundersamerweise anbietendes Projekt, bei dem man nun endlich linke Träume verwirklicht sieht: Rojave.
Und das, nachdem man sich auf (auch) linker Seite am Schicksal der Menschen, die in Syrien schon über 3 Jahre lang für ihre Freiheit, Selbstbestimmung und ein besseres Leben kämpf(t)en, so merkwürdig desinteressiert gezeigt hatte/zeigt.
„kurdwatch.org“, eine von Kurden betriebene Plattform, die nicht etwa die CIA betreibt, sondern u. a. von der FU Berlin und der IG Metall unterstützt wird, hat es sich zur Aufgabe gemacht, verlässlich recherchiert über Gewalt an Kurden, aber eben auch unter Kurden, zu berichten.
Wenn man dort regelmässig und (leider) tagesaktuell nachlesen kann über Zwangsrekrutierung von Jugendlichen und K i n d e r n, eben durch die als „Befreier“ gefeierte PYD, sollte das Anlass sein, mit der vorbehaltlosen Bejubelung eines „Paradieses Rojave“ etwas vorsichtiger zu sein:
http://www.kurdwatch.org/index.php?aid=3279&z=en&cure=1016
http://www.kurdwatch.org/index.php?aid=3251&z=en&cure=1016
Und auch die Meldungen über die Repressionen denen gegenüber, die diese Praxis anprangern, sollte zu denken geben:
http://www.kurdwatch.org/index.php?aid=3277&z=en&cure=1016
Allerspätestens die Nachricht davon, dass die PYD sich das „Recht“ vorbehält, sogar grössere private Zusammenkünfte im voraus zu genehmigen (oder eben nicht) und damit zu kontrollieren, sollten doch Zweifel daran wecken, ob die gefeierten „paradiesischen“ Zustände in Rojave tatsächlich das hehre Ergebnis „kollektiver Selbstbestimung nach freier Diskussion“ sind…….oder nicht doch eher, nach bekannter PKK-Manier, der Durchsetzung der ordre de mufti, eben ihres Führers, „Apo“ Oezcalan, geschuldet sind:
http://www.kurdwatch.org/index.php?aid=3283&z=en&cure=1016
Es war richtig und wichtig, wie Jürgen Geiger früher immer zu sagen pflegte, dass die Linke mit Linksjugend und Solid zusammen die zurückliegende Demo zu Kobane quasi alleine gestemmt hat. Grundsätzlich würde ich allerdings gerne etwas zum Thema IS-Terror hinzufügen. Es stellt sich doch die Frage, wer den IS-Terror in Wahrheit zu verantworten hat. Wesentlich sind das doch wohl die USA und ihre Lakaien innerhalb der Nato. Der IS wurde von Anfang an durch das Geld der Emirate und der CIA (ebenso, wie seinerzeit die Taliban) finanziert. Der IS-Terror kommt doch dem geostrategischen Kalkül der US-dominierten Nato sehr entgegen. Es gehört mit zu dem Kalkül, die europäischen Staaten durch die zu erwartenden Flüchtlingsströme längerfristig politisch zu destabilisieren, um deren Einigung zu verhindern.