„Über einen Abschiebestopp reden wir später“

seemoz-Kreistag 005Händeringend suchen die Verantwortlichen im Konstanzer Landkreis nach neuem Raum für Asylbewerber. Die Lage ist dramatisch: Unterkünfte sind zu wenige da, die Kosten steigen unaufhörlich und die Zahl der Flüchtlinge wächst täglich. Das beschäftigte auch den Kreistag auf seiner gestrigen Sitzung. Und obwohl sich die KreisrätInnen in ihrer Unterstützung für die Flüchtlinge einig sind, kam es zum Eklat

Die Linke, im frisch gewählten Kreistag durch Marco Radojevic und Hans-Peter Koch vertreten,   ermunterte den Kreistag, sich einer Petition des Konstanzer Gemeinderates anzuschließen, in der „das Land Baden-Württemberg aufgefordert wird, einen sofortigen und umfassenden Winterabschiebestopp zu erlassen“. Und weiter heißt es da: „Das Innenministerium muss bis zum 31.03.2015 die Abschiebungen in 15 Länder aussetzen. Dazu gehören die Balkanländer, aber auch Afghanistan, Russland, Armenien, die Ukraine, Aserbaidschan, der Irak, Iran, die Türkei und Pakistan.“ Landrat Hämmerle und dem Konstanzer OB Burchardt, im Kreistag auch Chef der CDU-Fraktion, gelang es, mit formalen Tricks eine Beschlussfassung zu diesem Thema zu verhindern.

926 Unterkünfte für 815 Asylbewerber

Doch der Reihe nach: Die Verwaltung berichtet, dass die Zahl der dem Landkreis zugewiesenen Asylbewerber von 177 (1.1. 2010) auf 815 (1.12.2014) angewachsen ist. Dem stehen derzeit 926 Unterkunftsplätze gegenüber – die größten Kontingente mit 186 Plätzen in der Konstanzer Steinstraße und mit 120 in der Singener Romeiastraße; insgesamt gibt es im Landkreis 13 sogenannte Gemeinschaftsunterkünfte. Angesichts solcher Zahlen scheint der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem kein Platz mehr für neue Flüchtlinge da ist.

Die Verantwortlichen im Landratsamt tun derzeit offensichtlich alles Mögliche, um Wohnungen zu beschaffen („denn Turnhallen, Container oder Zeltlager wollen wir vermeiden“ – Originalton Landrat Hämmerle). Seitdem sich immer deutlicher zeigt, dass windige Investoren mit der Not der Flüchtlinge ihre Geschäfte machen, geht man im Landratsamt verstärkt dazu über, „den Kauf  von Immobilien und Grundstücken zur Errichtung von Unterkünften in Betracht zu ziehen“.

Bund und Land lassen die Kommunen verhungern

Zudem gibt es finanzielle Probleme: Seitdem 1998 die Betreuung von Aslybewerbern vom Land auf die Stadt- und Landkreise überging, lassen Bund und Länder die Kommunen buchstäblich verhungern. Allein im Landkreis Konstanz häuft sich 2014 ein Defizit von 1,6 Millionen Euro an – jährlich rechnet man im Landratsamt mit einem Fehlbetrag von durchschnittlich zwei Millionen. Zwar hat jüngst der Bund eine Soforthilfe von 500 Millionen über zwei Jahre für alle Bundesländer zugesagt, doch Frank Hämmerle ist skeptisch: „Warten wir mal ab, was davon in Konstanz ankommt.“

Hinzu kommt, dass der Landkreis zur Betreuung zusätzliches Personal einstellt. Schon 2014 wurden acht neue Stellen geschaffen, für 2015 sind im Haushaltsplan weitere 8,2 Stellen vorgesehen, darunter allein fünf SozialarbeiterInnen. – der Kostenaufwand liegt aktuell bei 1,46 Mio. Euro. Und dabei sind Zusatzkosten, wie z. B. für den Deutschunterricht der Ankömmlinge, noch nicht eingerechnet.

Winterabschiebestopp vertagt

Angesichts solcher Not brachte Marco Radojevic (Linke) den Vorschlag ein, wenigstens die allmonatlichen Abschiebungen zu stoppen, man solle sich als Kreistag doch der Initiative des Konstanzer Gemeinderates anschließen, der mittels Offenlage eine solche Petition (s.o.) gerade gestern verabschiedet hat. Doch dieser unbotmäßige Vorschlag rief die Taktikfüchse auf den Plan: Uli Burchardt behauptete, diese Petition mittels Offenlage sei ohne seine Unterschrift gar nicht rechtswirksam, und Frank Hämmerle bedauerte, dieses Anliegen gar nicht behandeln zu können, weil es nicht vorab auf der Tagesordnung gewesen sei, man könne in der kommenden Sitzung das Thema behandeln.

Das wiederum rief den lautstarken Protest von Hans-Peter Koch (Linke)  hervor, der solche Finten zurückwies und dem Kreistag versprach, dass dieses Thema fortan zum permanenten Tagesordnungspunkt werden würde. Denn: „Andere Landräte, Herr Hämmerle, verhalten sich anders zu nächtlichen Abschiebungen“.  Frank Hämmerle jedoch: „Ich erfahre von den Abschiebungen auch erst morgens, wenn ich seemoz lese“. 

Dieser Streit allerdings berührte die KreisrätInnen gestern Abend leider nicht sonderlich – schließlich wartete das womöglich festliche Weihnachtsmenü.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: Jürgen Mulert