Ab wann ist ein Kritiker ein Irrer?
In der Politik und in Medien ist häufiger von Irren und Verschwörungstheoretikern die Rede; Putin-Versteher sind so etwas wie Irre-light. Die These: Es könnte sich um eine neue Phase von Tendenzen der Pathologisierung politischer Auseinandersetzungen handeln. Öffentlich geäußerte Gedanken, Wahrnehmungen und Argumente werden schnell als tendenziell krankhaft charakterisiert. Und wenn die Irren nur von Normalität und Mainstream abweichen?
Die Netzwerke sind bekannt: Sie bestehen aus zahllosen Blogs und Videoportalen, untereinander verwoben, sie organisieren die Montags-Mahnwachen, zu ihnen gehören auflagenstarke Publikationen des im Süddeutschen angesiedelten Kopp-Verlages, das inzwischen an allen Kiosken prominent ausliegende Monatsmagazin „compact“.
Die inhaltlichen Bindeglieder dieser Netzwerke lauten, nicht ganz vollständig und etwas platt zusammengefasst: Deutschland ist nicht souverän. Die USA sind das Gegenteil eines Vorbildes. Die Massenmedien lügen und manipulieren. Deutsche dürfen die israelische Regierung nicht kritisieren. Die EU-Bürokratie ist undemokratisch, der Euro ein Irrweg. Die Finanzmärkte beherrschen alles.
Wie Geisterfahrer auf der Autobahn sind auch politisch Irre und irre Verschwörungs-Theoretiker dann kein Problem, wenn sich ihre Zahl stark in Grenzen hält und wenn wir genau unterscheiden können: Aha, das ist der Geisterfahrer, aha, das ist der politisch Irre. In diesen Monaten könnte man zu dem Befund kommen: Die Zahl der politisch Irren nimmt sehr stark zu und die Unterscheidung fällt nicht immer leicht.
Zuerst zur Quantität: Das Monatsmagazin „compact“, das nach Meinung der Grünen-Politikerin Marieluise Beck unappetitlich und rechtsradikal ist, hat nach eigenen Angaben regelmäßig eine Auflage von etwa 40 000 verkauften Exemplaren; inmitten einer Medien-Krise wäre das beachtlich. Wenn Ken Jebsen zu den Themen der manipulierenden Massenmedien und der Russlandberichterstattung des „Spiegel“ Videos produziert – übrigens unter totaler Missachtung aller medialen Aufmerksamkeitssteigerungs-Techniken: er spricht ohne Punkt und Komma endlos lang – dann zählt allein der Vertriebsweg „youtube“ etwa 200 000 Zugriffe und beinahe 2000 Kommentare. Das ist keine Nische.
Nun zu weiteren Personen und Inhalten: Auf den Konferenzen von „compact“ spricht auch der CDU-Politiker Willy Wimmer, einst Staatssekretär im Verteidigungsministerium unter Helmut Kohl. Ken Jebsen interviewt lang und breit die folgenden Flaggschiffe der linken Publizistik: Albrecht Müller, Jürgen Roth, Werner Rügemer, Jürgen Grässlin. Links-Politiker wie Wolfgang Gehrcke sind dabei, Sozialdemokraten wie Karsten Voigt, angesehene linke Wissenschaftler wie Hans-Jürgen Krysmanski. Und der Linken-Politiker Dieter Dehm lässt sich auf der Demonstration vor dem Bundeskanzleramt neben Ken Jebsen ablichten. Wo ist links, wo ist rechts? Zur Erklärung hilft mir der Verweis auf das Querfront-Konzept wenig.
Wenn in diesen Netzwerken gesagt wird: Die Massenmedien manipulieren. Da kann man natürlich sagen, die spinnen. Da kann einem aber auch der folgende Satz von Außenminister Frank-Walter Steinmeier jüngst in der „FAZ“ einfallen: „Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch. Das Meinungsspektrum draußen im Lande ist oft erheblich breiter.“ Und da fällt einem die jüngste Umfrage des NDR ein, die sagt: Nur noch 29 Prozent der Befragten haben großes oder sehr großes Vertrauen in die Medien. 2012 sagten das noch 40 Prozent.
Wenn Ken Jebsen in Sachen Russland-Politik Positionen wie Helmut Schmidt und Helmut Kohl vertritt, wenn er sich vermutlich in der Frage der Macht der Finanzmärkte und deren Regulierung wenig bis nicht von linken Politikern unterscheidet – wo verlaufen da die Grenzen? Ist die eine Position mit Nationalismus und Ressentiments beladen und die andere nicht?
Es geht nicht um Ken Jebsen. Es geht im Dienste der Klarheit und Nachvollziehbarkeit öffentlicher Auseinandersetzungen um eine verlässliche und sachlich-überzeugende Arbeit der Unterscheidung. Die ist noch nicht geleistet.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: Wolfgang Storz
— „ich weis(sic!) wer den holocaust als PR erfunden hat.“
— „Mein Vorbild ist die Natur! Im Wald gibt es keinen Krieg, der Wald produziert keinen Müll! Und die Zugvögel, die schaffen es jedes Jahr nach Afrika! Wenn die das demokratisch organisieren würden, kämen sie nur bis Sylt! Nein, die kommen bestens ohne Demokratie zurecht.“
Vielleicht können diese beiden Zitate helfen bei der Auseinandersetzung um eine „verlässliche und sachlich-überzeugende Arbeit der Unterscheidung“.
Mit ein bisschen Googeln findet man bald Autor und Quelle:
Ken Jebsen.
Und selbst wenn man meint, dass es um den nicht geht, dann sollte es so schwierig nicht sein, erkennen zu können, welcher Geist bei den Herolden eines neuen Zeitalters weht:
„Reichbürger“, vom „System“ Geknechtete, Opfer der „jüdischen Weltverschwörung“ usw.
Wer meint, dass sich seine Vision vom „Frieden“ mit derjenigen der bei den Mahnwachen wie in den einschlägigen Internetpräsenzen reichlich vertretenen Eso-/Neonazis deckt, bitte sehr.
Der wird dann auch ohne Probleme von der von Jebsen so wunderbar beschriebenen Vision der vor-kapitalistischen organischen Volksgemeinschaft, die auf Demokratie pfeift, mitträumen können.
Gab`s da eigentlich mal was in der neueren deutschen Geschichte, wo genauso geschwafelt, und, viel schlimmer, dementsprechend gehandelt wurde?
Wer jetzt als Nachhilfe bei der Bemühung um „Unterscheidung“ erst den Beschluss der LINKEN benötigt, in dem diese ihr Verhältnis zum „Friedenwinter“ festlegt, dem ist wohl wenig zu helfen:
http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-demo-am-samstag-in-berlin-linksfraktion-geht-auf-distanz-zum-friedenswinter/11129008.html
Ansonsten kann man auch mal hier nachschauen:
http://www.vice.com/de/read/die-montagsdemo-ist-unangenehm-geworden-Kenfm-lars-maehrholz-Pedram-Shayar
Oder hier:
https://exportabel.wordpress.com/2014/05/08/ken-jebsen-scheiss-demokratie/