Kreistag: Der Durchmarsch der Oberbürgermeister
So eine Haushaltsdebatte gab es im Konstanzer Kreistag noch nie: Für 2015 ging es um ein Kreis-Budget von 256,5 Millionen Euro, aber Haushaltsreden wurden nicht gehalten; es ging um den Zuschuss der Gemeinden von 113 Millionen (Kreisumlage), aber gestritten wurde um ein Kennzahlen-System zur zukünftigen Etat-Steuerung. Und es ging um einen Antrag von CDU und Freien Wählern, der gar nicht auf der Tagesordnung stand und dennoch die Diskussion beherrschte. Was zeigt: Die Oberbürgermeister aus Konstanz und Singen werden zukünftig die Richtung im Kreistag bestimmen
Die Empörung gegen den Coup der Mehrheitsfraktionen von CDU und Freien Wählern (FW) ging durch alle Reihen: Die grüne Fraktions-Vorsitzende Christiane Kreitmeier „fühlte sich düpiert“, SPD-Fraktionschef Ralf Baumert „war verärgert“ und selbst der sonst eher gemütliche Georg Geiger sprach für seine FDP-Fraktion von einem „schlechten Stil“.
Der Rotstift der Bürgermeister
Was war geschehen? CDU und FW hatten ein Fünf-Punkte-Papier ausbaldowert, das die Kreisverwaltung erst am letzten Freitag und die KreisrätInnen erst während der Montagssitzung erreichte; dem Südkurier aber war der brisante Antrag bereits für seine Samstagsausgabe gesteckt worden – die Parlamentarier erfuhren von dem Revolutiönchen nur aus der Heimatzeitung.
Das wohl wesentlich von den Oberbürgermeistern Burchardt (Konstanz) und Häusler (Singen) sowie dem FW-Bürgermeister Ostermaier (Steisslingen) – alle auch mit Sitz im Kreistag – entworfene Papier fordert eine Reduzierung der Kreisumlage für 2015 von 113 auf 108 Millionen, für die Zukunft ein Kennziffernsystem zur Deckelung der Zuschüsse der 25 Gemeinden an den Landkreis und für die Folgejahre eine „Nettoneuverschuldung Null“. Besonders brisant bei diesem letzten Punkt: „Der Betrag von 2 Mio € für den vorgesehenen Kauf….einer Gemeinschaftsunterkunft zur Unterbringung von Asylbewerbern….soll gestrichen werden“.
Wer haftet für die Pleiten?
Obwohl dieser Antrag nicht auf der Tagesordnung der ganztägigen Sitzung zur Haushaltsberatung stand, ließ Landrat Frank Hämmerle, der ansonsten solche Diskussionen gerne abwürgt, die Debatte zu – nicht die einzige Schlappe, die der Landrat an diesem Tag einstecken musste: Die neu in den Kreistag eingezogenen Oberbürgermeister aus Singen, Radolfzell und Konstanz haben offensichtlich das Zepter im Kreistag übernommen und bestimmen zusehends die politische Richtung. Untrügliches Zeichen: Die Klüngelrunden der bürgerlichen Kreisräte finden nicht mehr hinter verschlossen Türen, sondern in aller Öffentlichkeit statt – eigens wurden die Pausen verlängert und die Tagesordnung umgeworfen, um doch noch zu einer einvernehmlichen Position unter den großen Fraktionen zu kommen.
Der Widerstand war dann auch nur noch gering: Jürgen Leipold (SPD) gibt der Kennziffer-Regelung keine großen Chancen: „Am Ende wird nur eine Kennzahl heraus kommen: Die Kreisumlage“. Und Hans-Peter Koch (Die Linke) verwies darauf, dass der Zeitpunkt für diese CDU-Initiative nicht zufällig käme: „Gerade jetzt, wo die großen Gemeinden Singen (GVV-Pleite) und Konstanz (Finanzierung eines Veranstaltungstempels) vor selbst verschuldeten Finanzierungsproblemen stehen, soll der Rotstift angesetzt werden, soll das Geld beim Kreis eingespart werden. Doch der Landkreis und die 23 anderen Gemeinden dürfen für Pleiten und Spinnereien einzelner Städte nicht insgesamt in Haftung genommen werden.“
Klatsche für den Landrat
Letztlich setzten sich die Mehrheitsfraktionen FW und CDU durch: Die Kreisumlage wird auf 109 Millionen für 2015 eingefroren (was durch aktuelle Zuschüsse von Bund und Land bereits abgefedert ist – fragt sich höchstens, wieso solche Zahlen immer erst am Ende der Diskussion auf den Tisch kommen); ein Kennziffern-System soll von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Verwaltung und Kreistag erarbeitet werden und über die „Nettoneuverschuldung Null“ soll später gesprochen werden. Immerhin gab es keine breite Zustimmung für diese konservativen Vorschläge: Fünf Gegenstimmen und 18 Enthaltungen kamen aus ganz unterschiedlichen Gründen von Grünen, FDP und Linken.
Insgesamt also kein guter Tag für Landrat Hämmerle: Er muss eine Reduzierung der Kreisumlage schlucken und einer Einschränkung seiner Haushalts-Kompetenzen zusehen. Und das wird nicht der einzige Erfolg auf dem Durchmarsch der Oberbürgermeister bleiben.
Autor: JM
Als ehemalige Fraktionssprecherin der Grünen im Kreistag kann ich nur bestätigen, was Herr Lichtwald schreibt: so war es schon immer – zumindest wie ich es erlebt habe: Jeder wusste vorher, dass die von der Verwaltung berechnete und sachlich begründete Kreisumlage in der geforderten Höhe nicht akzeptiert würde. Irgendein ein Einsparungskaninchen wurde einvernehmlich in letzter Minute von CDU und FW hervorgezaubert, um die Millionen benennen zu können, die man zur Senkung der vorgeschlagenen Kreisumlage brauchte. Besonders schlimm finde ich, dass es diesmal nicht z.B. globale Minderausgaben oder zurückgestellte Bauunterhaltungskosten sind, sondern u.a. die Flüchtlingsunterbringung trifft. Dieser Kauf wäre doch aktuell wichtig genug! Übrigens: es ist keine überraschende Niederlage des Landrats, wenn er sich nicht durchsetzt, sondern strukturell bedingte Konsequenz. Ich bedaure, dass die alte Forderung der Grünen, die Wahl von Bürgermeistern in den Kreistag gesetzlich unmöglich zu machen, nicht mehr zu hören ist.
Das Verhalten des Landrat Frank Hämmerle dürfte hauptsächlich mit der Angelegenheit zu tun haben, welche vor wenigen Tagen im Artikel des „Südkurier“, „Konstanz Gesundheitsverbund stellt die 38 Millionen Euro-Frage“, ziemlich gut dargestellt ist. http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Gesundheitsverbund-stellt-die-38-Millionen-Euro-Frage;art372448,7563207 . Wenn dabei entweder der Gemeinderat in Singen oder der Gemeinderat in Konstanz eine Entscheidung treffen würde, welche den Erwartungen bzw. Hoffnungen des Kreistag bzw. des Landrat nicht entspricht, dann könnte das unabsehbare negative Auswirkungen nicht nur in finanzieller Hinsicht für den Landkreis und die Städte Konstanz bzw. Singen, Radolfzell und weitere, sondern auch in weiteren Hinsichten bezüglich des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz haben.
Bei der Lektüre muss ich schmunzeln: Was hat sich hier bei den Haushaltsberatungen im Kreistag geändert? Gut, das Zusammenspiel der Oberbürgermeister ist in dieser Form neu. Dass während der Beratung der „deus ex machina“ gezündet wird, ist eigentlich Tradition. Das Duo Franz Moser/Artur Ostermaier war Meister darin. Die einzige Frage, die für Wetten geeignet war, war die vereinbarte Höhe der Kreisumlage. Die Bedeutung von Haushaltsreden wird maßlos überschätzt! Ich bin im Ruhestand froh darüber, über leere Zeremonien nicht mehr schreiben zu müssen. Das Hauptproblem ist, dass der Journalist zum Mittäter wird. Aber auch ein Aufschrei ändert wenig: Vor rund 15 Jahren habe ich von der „sozialen Kälte“ in der Kreisverwaltung und im Kreistag geschrieben. Hat es etwas geändert? Am Sitzungsende sitzen alle beieinander: „Haben wir das Kind nicht wieder großartig geschaukelt?