Klassenkampf light im Gemeinderat
Die gestrige Gemeinderatssitzung sollte ein Meilenstein für die Konstanzer Mieter werden: Auf der Tagesordnung stand wieder einmal das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, und dieses Mal sollte es klappen. Allerdings hatten sich die Vertreter der Vermieter-Interessen im Gemeinderat etwas ausgedacht, und jetzt geht das Zweckentfremdungsverbot erst mal wieder einen langen Weg durch die Ausschüsse: Eine unendliche Geschichte der Verzögerungstaktik mithilfe cleverer Verfahrenstricks
Man hätte es sich denken können: Nachdem die „Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum“, kurz: „Zweckentfremdungsverbot“, im Mai 2014 nach propagandistischem Gegenfeuer durch die Hausbesitzer („Sozialismus“, „Enteignung“) im Gemeinderat gescheitert war, durfte es frühestens im Dezember 2014 erneut abgestimmt worden, denn ein Antrag darf erst nach sechs Monaten wieder neu eingebracht werden.
Immerhin geht es um nichts Geringeres als die höchst profitable Umwandlung Hunderter weiterer Mietwohnungen in Arzt- und sonstige Praxen und vor allem in Ferienwohnungen – letztere sind nicht nur massiv teurer als Mietwohnungen, sondern dürften auch noch leckeres Schwarzgeld in die Kassen der Vermieter spülen, weil zumindest Teile der Miete bei Anreise in bar zu entrichten sind und eine Quittung auszustellen gelegentlich auch mal vergessen wird – dem Mieter ist’s letztlich egal, weil er seinen Urlaub eh nicht von der Steuer absetzen kann.
Der traditionelle Vorkämpfer der Konstanzer Mieterinteressen, Herbert Weber (SPD), dürfte sich – bei allem Respekt – gestern in den Arsch gebissen haben: In der Dezembersitzung 2014 gab es eine derart umfangreiche Tagesordnung im Gemeinderat, dass er als Antragssteller aus purer kollegialer Freundlichkeit einer Vertagung der eigentlich schon damals fälligen Neuabstimmung über das Zweckentfremdungsverbot zugestimmt hatte. Und das wurde ihm gestern von den Bürgerlichen wahrlich perfide vergolten.
Tricky Matthias
Zu Beginn der Sitzung stellte (ausgerechnet!) Matthias Heider (CDU) den Antrag, das Zweckentfremdungsverbot in den Ausschuss zurückzuverweisen, weil es noch erheblichen Beratungsbedarf gebe. Man müsse erst einmal prüfen, wie sich denn ein Zweckentfremdungsverbot in anderen Städten auf den Wohnungsmarkt ausgewirkt habe, man solle auch externen Sachverstand herbeiziehen und überhaupt in eine intensive und gründliche Beratung darüber eintreten. Herbert Weber bemerkte in seiner Gegenrede treffend, diese Vorlage sei so oft diskutiert worden, dass es keinen Beratungsbedarf mehr gebe und man jetzt sofort darüber abstimmen könne, und Holger Reile (LLK) rief empört „So was von hinterhältig“ in den Saal.
Auf der (offenkundig naiven) linken Seite hatte man mit einem derartigen Trick nicht gerechnet, sondern eher erwartet, dass das – eigentlich im bürgerlichen Lager auf der Rechten positionierte – Junge Forum Konstanz, das nach den letzten Wahlen neu in den Gemeinderat kam, nicht umhin kann, für das Zweckentfremdungsverbot zu stimmen, so dass es am Ende in der Endauszählung reichen könnte.
Ab in den Ausschuss
Der Trick, nicht abzustimmen, sondern in den Ausschuss zurückzuverweisen, ist laut Oberbürgermeister Uli Burchardt rechtlich möglich, weil dieser Antrag, wie oft er dem Gemeinderat früher auch vorlag, seit der gestrigen Sitzung wieder als neu gilt und nicht in den Ausschüssen vorberaten wurde. Daher dürfe er zurück verwiesen werden, wenn neun Gemeinderatsmitglieder dafür stimmen, und am Ende kamen sogar 15 Stimmen (vor allem CDU, FWK) für die Verweisung zusammen.
Natürlich ist der angebliche Beratungsbedarf nichts weiter als ein fadenscheiniger Vorwand, eine erneute Abstimmung über das Zweckentfremdungsverbot auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, aber St. Nimmerlein ist nicht umsonst der Säulenheilige aller eingeschworenen Feinde der Menschheit – gestern dürften ihm die ansonsten so hartherzigen Konstanzer Vermieter und Immobilienspekulanten so manches Kerzle angezündet haben.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: O. Pugliese
Morgen findet die Sitzung im TUA an der Unteren Laube 24 statt.
Aufgrund der BauNVO fände ich es angebracht, wenn die LLK ein generelles Verbot von Ferienwohnungen in Wohngebieten fordern würde.
Daß nur Ferienwohnungen die nach dem Beschluss des Gemeinderats über die Zweckentfremdungssatzung errichtet wurden untersagt werden sollen ist ja wohl ein schlechter Witz, bzw. ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das Gesetz betreffend des Verbots der Zweckentfremdung sieht so eine lasche Beschränkung nicht vor, sondern bietet die Möglichkeit zur rigorosen Durchsetzung des Rechts auf Wohnen wie es in der prekären Wohnungssituation in Konstanz auch bitte nötig ist.
http://www.konstanz.sitzung-online.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1000940
In Tübingen fragt man sich, ob Video-Aufzeichnung von Gemeinderatssitzungen gemacht und ins Netz gestellt werden sollen. Wie das aussehen könnte, hat uns die Stadtverwaltung kurz anhand des Beispiels Konstanz gezeigt.
Mir fiel dabei auf, dass es auch Zweckentfremdung von Wohnraum auf der Agenda in Konstanz stand. Das interessiert mich. Aber genau dieser Punkt ist in der Videoaufnahme übersprungen.
Wann geht die Bombe in Konstanz hoch`?
https://www.youtube.com/watch?v=sf22qdVl-Sw
Herrlich, wie sich die Herrschaften auf die Mütze geben.
Besser wären konstruktive Vorschläge.
Wie z.B. daß die Stadt Umwandlung von Gewerbe zu Wohnraum honoriert.
Mit dem „Competence Center“ könnte man ja mal anfangen bevor es zur Bauruine verkommt.
Eine Hausbesetzung würde ich ebenfalls willkommen heißen. Ob die Villa in der Neuhauser Straße noch bewohnbar ist?
Schon 2007 hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern festgestellt, dass die bundesweit gültige Baunutzungsverordnung Ferienwohnungen in allgemeinen Wohngebieten nicht zuläßt. Entweder Ferienwohnungen oder „normale“ Wohnungen – Mischgebiete sind in der Verwaltung nicht vorgesehen. Das hatte bekräftigt, was in der Baunutzungsverordnung des Bundes steht: dass Ferienwohnungen in Wohngebieten unzulässig sind.
Herrlich……..
wie da manche aufgeregt mit den Flügeln schlagen, wenn man sie an die gemeinderätliche Sitzordnung erinnert. Widersprechen muss ich an dieser Stelle den Ausführungen von Stefan Frommherz. Er behauptet, das Junge Forum habe der LLK „massive Stimmenverluste“ beschert. Knapp vorbei ist auch daneben: Die LLK und ihr kommunalpolitischer Vorgänger PDS ist die einzige Gruppierung im Rat, die seit 1999 bei den Wahlen ständig zugelegt hat und mit klar über sechs Prozent das beste Ergebnis erzielt hat, das je eine linke Gruppierung in den vergangenen Jahrzehnten in Konstanz erhalten hat. Für den dritten Sitz fehlten nicht mal 700 Stimmen, im Vergleich zu 2009 legte die LLK von rund 44 000 auf etwa 65 000 Stimmen zu. Der Fehler war: Während des Wahlkampfs hat man die Außenbezirke – u.a. Staad, Allmannsdorf, Litzelstetten, Dettingen – sträflich vernachlässigt. Zur Einschätzung des Jungen Forums: Als „Bereicherung“ der Kommunalpolitik kann ich diese von Uni-Rektor Rüdiger und OB Burchardt protegierte Gruppe (noch) nicht erkennen. Wie da jemand zu dieser Ausssage kommen kann, der noch keine Minute im Ratssaal war, ist mir rätselhaft. Womit ich zu Herrn Meidert komme, der hier in einem Kommentar angedeutet hat, die LLK betreibe Polemie (er meint wohl Polemik) und halte nichts von sachlichen Argumenten. Er, auch Mitstreiter beim JFK, sollte den Ball flach halten. Meidert gehört zu denen, die eine neue Planung des Technologiezentrums Konstanz (TZK) befürworten. Zu einer Diskussion im Wirtschaftsausschuss darüber kam es nicht, da Meidert und seine Mitstreiter vergessen hatten, Mitgliedern des Ausschusses die dementsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Das, Herr Oberwichtig, nenne ich peinlich. Bevor man hier die Backen aufbläst, sollte man sich zuerst um die eigenen Hausaufgaben kümmern.
H. Reile
Lieber Dirk Kirsten, von den Kommentaren durchaus erheitert muss ich gestehen: Der Satz war in der Tat als Sprachspiel in Sachen Sitzordnung gedacht – alle anderen Lesarten sind aber natürlich auch goldrichtig und herzlichst willkommen.
Lieber Dirk Kirsten,
Du bist nicht der Einzige, ich sehe das genau so wie Du. Und von dem Autor des Artikels war das gewiss so gedacht.
Er wählte wohl das Wörtchen „positioniert“ statt „sitzend“, da die neue Sitzordnung nach den letzten Wahlen nicht nur technische Gründe hatte. Das „Junge Forum Konstanz“ trat kreisweit zu den Kommunalwahlen innerhalb/mit der „Neuen Linie“ an. Und die „Neue Linie“ kann grundsätzlich dem bürgerlichen Lager zugerechnet werden.
Inwieweit das in Einzelfragen auf die „Neue Linie“ zutrifft ist ähnlich zu beurteilen wie das jeweilige Abstimmungsverhalten der „Freien Wähler“, je nach Ort, Zusammensetzung und Thema.
Das „Junge Forum Konstanz“ betrachte ich als Sonderfall.
Und mittlerweile muss ich sagen, obwohl deren Kandidatur zu den Kommunalwahlen der LLK massive Stimmenverluste gebracht hat, betrachte ich das „Junge Forum Konstanz“ als Bereicherung für den Gemeinderat und die kommunalpolitischen Debatten.
Diese vorläufige Einschätzung soll aber kein Persilschein für alle Zukunft sein 🙂
Bin ich der einzige, der bei dem Satz „eigentlich im bürgerlichen Lager auf der Rechten positionierte – Junge Forum Konstanz“ lediglich rausliest, dass die Stadträte der JFK in der Sitzordnung auf der rechten Seite des Gemeinderats sitzen, wie es ja unbestreitbar der Fall ist?
Aber die Empörung der JFK-Mitglieder bezüglich der „konservativen“ Einordnung ist ja gleich groß. Dies kann ja nur Hoffnung geben, dass das JFK sich hoffentlich der vorgeblich linken Position des Zweckentfremdungsverbots anschließt und es endlich durchgesetzt wird.
Liebe Seemozler,
Ihr bringt mich immer wieder zum Lachen. Das Junge Forum als „im bürgerlichen Lager auf der Rechten positioniert“ zu bezeichnen, löst bei mir gerade einen Lachkrampf aus.
Sind wir so bedrohlich nahe an Teilen der Wählerschaft der Linken, dass wir als „rechts“ verortet werden müssen? Wir sind vieles, aber nicht rechts und bürgerlich.
Viele Grüße!
Sehr geehrter Herr Meidert,
Es scheint kein Wunder zu sein, dass Sie das Junge Forum bisher nicht als bürgerlich erkannt haben – schließlich gehören Sie ihm an. Es ist das alte Lied, als konservativ will zwar niemand bezeichnet werden, danach zu leben und zu handeln ist trotzdem in.
Meine Erfahrung mit Personen und Gruppierungen, die Ihre Position nicht benennen wollten und angeblich keine Lagerpolitik machen, war bisher immer, dass man sich der eigenen Ansichten schämte. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch PEGIDA nach eigenen Angaben keinem Lager zuzuordnen ist und sich nicht einordnen lassen will. Seien Sie ehrlich, stehen Sie zu Ihren Farben und machen Politik mit offenem Visier. Zur Politik gehört Streit und Auseinandersetzung, denn ohne Konfrontation kann kein echter Kompromiss entstehen, höchstens willfähriges Abnicken ist die Folge.
Offensichtlich scheinen Sie sich auch selbst nicht ernst nehmen zu wollen – wenn ja in der politischen Auseinandersetzung alles erlaubt zu sein scheint, warum dann nicht auch Polemik, Satire und offene Kritik an Klüngelei?
In der Sache möchte ich darauf hinweisen, dass zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs nicht das mildeste, sondern das mildeste, gleich geeignete Mittel vonnöten ist. Hierbei besteht Gestaltungsspielraum. Die in der Vergangenheit vermehrt versuchten Systeme der Freiwilligkeit, Selbstverpflichtung, Werbung und des Anreizes haben nicht gefruchtet. Was soll mal als Stadt also tun? Die Hände in den Schoß legen? Im Übrigen sollte Ihnen sehr wohl bekannt sein, dass die Handlungsfreiheiten der Kommunen im Rahmen der Baukontrolle und des Einflusses auf die Schaffung von Wohnraum sehr begrenzt sind. Eigenständig, also ohne den parlamentarischen Gesetzgeber kann ein Grundrechtseingriff nicht begründet werden. Das Landesrecht eröffnet bisher nur die Zweckentfremdungssatzung. Das Setzen von Anreizen ist bei der aktuellen Marktlage de facto nicht möglich – der Gewinn durch Veräußerung oder Umwandlung von Wohnraum übersteigt jeden Anreiz, den die Stadt setzen kann bei Weitem. Die Steuerbefugnisse liegen nun einmal beim Bund, nicht bei den Kommunen.
Auch wir bevorzugen das Zweckentfremdungsverbot nicht – vielmehr müsste die Stadt eigenständig Bauleistung erbringen und durch Kauf Wohnraum in kommunale Trägerschaft verbringen, um damit die Marktpreise zu steuern. Dies fordern wir schon seit Langem, leider erscheint dem konservativen Lager, einschließlich Ihrer Gruppierung diese Forderung ach zu sozialistisch.
Gruß
Simon Pschorr
Lieber Herr Pugliese,
das ist ja eine ganz neue Interpretation: das JFK ist dem rechten, bürgerlichen Lager zuzurechnen? Seit wann denn das? Bisher habe ich das Junge Forum als nicht lagerzugehörig erlebt.
Genau dieses Lagerdenken, das insbesondere die äußeren Ränder des politischen Spektrums in Konstanz pflegen, als LLK und CDU, ist das größte Problem der Konstanzer Kommunalpolitik. Es verhindert polemiefreies und konstruktives Arbeiten im Gemeinderat.
Dass Vermieterinteressen im Gemeinderat vertreten sind, ist doch nichts Neues. Und dass in der politischen Auseinandersetzung alle Mittel gewählt werden, auch nichts. Warum also das beleidigte Schmollen?
Ich selbst hab zum eigentlichen Thema keine abschließende Meinung, noch habe ich mich damit nicht ausreichend auseinander gesetzt. Ich würde aber empfehlen, darüber nachzudenken, ob es schwächere, evtl. mit Anreizsystemen arbeitende Mittel gibt. Immerhin ist das Zweckentfremdungsverbot ein klarer Grundrechtseingriff. Dieser sollte jedem Politiker nur dann in den Sinn kommen, wenn er ganz sicher ausgeschlossen hat, dass es keine milderen Mittel gibt.
Da das im Gemeinderat schon oft diskutiert wurde, wird die LLK in den Ausschusssitzungen doch sicher eine Liste möglicher Alternativen vorstellen können und dabei zeigen, warum diese nicht in Frage kommen. Auch die Auswirkungen werden genau eruiert sein, sodass sie gut aufbereitet und überzeugend präsentiert werden können. Damit könnte die LLK das bürgerliche Lager vorführen und die Zeitverzögerung zu einem Lehrbeispiel von faktenbasierter, ideologiefreier Vernunftpolitik machen.
Wenn aber weiter nur Schmollen und Polemik zu hören ist, wäre das schade, das ist ja dann genau das, was dem politischen Gegner (furchtbares Wort, eigentlich sollte es nicht um ein gegeneinander gehen) vorgeworfen wird.
Ich bin mir sehr sicher, dass sachliche Argumente eine klare Mehrheit ermöglichen.
Herzliche Grüße vom Nichtlageristen,
Moritz Meidert