Will der Gemeinderat gequält werden?

Die letzte Sitzung war eine der kürzesten Sitzungen des Konstanzer Gemeinderats seit langem, und sie beschäftigte sich mit einem bunten Strauß von Themen – unter anderem mit der Frage, wie lange Gemeinderatssitzungen in Zukunft dauern sollen. Die SPD hatte ein Ende um 21.30 Uhr beantragt, kam damit aber nicht durch

Demokratie verlangt ihren primären Opfern, kurz: den Gemeinderätinnen und -räten sowie der Verwaltung, einiges ab, und in den letzten Jahren haben sich Dauer und Zahl der Sitzungen ganz erheblich ausgedehnt. Deshalb forderte Jürgen Puchta für die SPD, man möge die um 16.00 Uhr beginnenden Sitzungen in Zukunft um 21.30 Uhr abbrechen und notfalls zwei Zusatztermine pro Jahr einlegen.

Den langjährigen Zuhörer packte bei der folgenden – ausgedehnten – Diskussion massive Skepsis. Von den Zuhörerbänken aus betrachtet, sind gemeinhin mindestens 75 Prozent aller Redebeiträge der Gemeinderätinnen und -räte schlichtweg überflüssig. Man merkt als gewiefter Zuhörer recht schnell: Hier werden längliche Redebeiträge vor der Sitzung verfasst und am Ende auch live gehalten, und es ist völlig egal, dass die Vorredner schon ausführlich dasselbe gesagt haben.

Manchen Rednerinnen und Rednern mangelt es an geistiger Flexibilität, ihre vorgefertigten Beiträge dem aktuellen Diskussionsstand anzupassen oder – was dem Zuhörer oft lieber wäre – zurück zuziehen; für andere Redner in großen Fraktionen und Gruppierungen ist es einfach ein Stück Macht, bei einem Thema als erste ihrer Fraktion sprechen und somit eine ganz persönliche Duftmarke setzen zu dürfen, und diese Macht wollen sie auskosten. Und wenn ein Hinterbänkler vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr die Chance erhält, etwas zu sagen, will natürlich auch er am Schaulaufen vor Publikum und Presse teilnehmen.

Ergo: Die Zermürbung wächst, und wie Peter Kossmehl (FWK) beklagte, sind nicht nur die Sitzungen des Gemeinderates zu lang, sondern auch die der Ausschüsse. Er, der selbst eher zu den Stillen im Lande gehört, forderte „Disziplin der Einzelnen“, aber auch der Sitzungsführung (sprich des Oberbürgermeisters) und schlug vor, Anfragen an die Verwaltung doch erst mal per Mail einzureichen, statt sie gleich in den Gemeinderat zu tragen. Andere Stimmen hinwiederum beklagten, dass es bei insgesamt 169 Terminen für Gemeinderatsmitglieder allein in diesem Jahr unmöglich sei, sich zu beschränken.

Oberbürgermeister Uli Burchardt positionierte sich deutlich gegen die Zeitbegrenzung, weil er sie für nicht praktikabel hält. Allein im letzten Jahr habe es 611 Sitzungsvorlagen gegeben, die zum Teil drei verschiedene Gremien passieren mussten. Er schlug vor, Entscheidungen doch nicht zuerst in den Ausschüssen abzustimmen und dann noch mal zur endgültigen Abstimmung in den Gemeinderat zu bringen, sondern sie gleich vom Ausschuss entscheiden zu lassen. Außerdem erinnerte er daran, dass man Themen auch ohne vorherige Diskussion direkt abstimmen lassen könne.

Für eine fundamentale Umorientierung setzte sich hingegen Holger Reile (Linke Liste) ein: Das Gerede vom Ehrenamt sei mittlerweile überholt, er und viele Kolleginnen und Kollegen arbeiteten etwa 60 Stunden im Monat, und es sei an der Zeit, dieser Professionalisierung des Gemeinderates Rechnung zu tragen und den Gemeinderätinnen und -räten in Anlehnung an andere Gemeinden wenigstens einen Sockelbetrag von EUR 700 pro Monat zu zahlen. Nur so sie es möglich, die äußeren Umstände der Gemeinderatsarbeit für breite Kreise attraktiver zu gestalten. „Das wäre auch ein Anreiz für viele, die sich bisher ein kommunalpolitisches Mandat weder zeitlich noch finanziell leisten können.“

Das Schlusswort hatte wieder einmal Oberbürgermeister Uli Burchardt: „Wir wollen gequält werden“ tirilierte er, auf Reiles Bemerkung „Die Schmerzgrenze ist erreicht“ Bezug nehmend, in den Saal. Am Ende stimmte eine deutliche Mehrheit der Rätinnen und Räte gegen eine Zeitbegrenzung der Sitzungen, und auf Dauer dürfte sich wohl die Einsicht breit machen, dass die Tätigkeit im Gemeinderat mehr ein Halbtagsjob ist. Denn der Wunsch nach weiser Selbstbescheidung beim Reden gilt am Ende immer nur den Reden der anderen.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: O. Pugliese