Jetzt werden die Karten im Tägermoos neu gemischt

seemoz-Tägermoos-neu1Wenn am morgigen Dienstag der Technische- und Umweltausschuss zusammen tritt, werden sich die Konstanzer GemeinderätInnen mit zwei neuen Erkenntnissen herumschlagen müssen. Erstens: Die im Tägermoos gefällten Pappeln sind gar nicht krank. Und zweitens: Die Haftung des Baumeigentümers bei Astbruchgefahr ist keineswegs so umfassend, wie bislang dargestellt – ein BGH-Urteil wurde offensichtlich übersehen. Beides bedeutet: Die Fäll-Aktion im Tägermoos war überflüssig, zumindest aber vorschnell

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2014 wurde bislang wohl übersehen. In einem Kernsatz heißt es da: „Ein natürlicher Astbruch, für den vorher keine besonderen Anzeichen bestanden haben, gehört auch bei hierfür anfälligeren Baumarten grundsätzlich zu den naturgebundenen und daher hinzunehmenden Lebensrisiken. Eine straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinde muss daher bei gesunden Straßenbäumen auch dann keine besonderen Schutzmaßnahmen ergreifen, wenn bei diesen – wie z. B. bei der Pappel oder bei anderen Weichhölzern – ein erhöhtes Risiko besteht, dass im gesunden Zustand Äste abbrechen und Schäden verursacht werden können“ (AZ: III ZR 352/13).

Nochmals vor Gericht?

Diesen Satz zitiert das oberste deutsche Gericht zwar aus der Begründung eines Landgerichts, dessen Rechtsauffassung sich der BGH in seiner aktuellen Entscheidung aber zu Eigen macht. Und dieses Urteil bezieht sich auf eine Sachbeschädigung im Straßenverkehr – doch der BGH macht in seiner Begründung deutlich, dass eine solche Einschätzung durchaus auf andere Lebensbereiche übertragbar sei.

Wurde dieses aktuelle Urteil etwa übersehen? War die Stadtverwaltung einer überholten Rechtsauffassung aufgesessen? Und hat in vorauseilendem Gehorsam überhastet gehandelt? Oder hätte die Auffassung der Stadtverwaltung auf Dauer sogar Bestand? Fragen, die letztlich wohl nur ein Gericht klären kann…

„Bäume sind vital“

Und außerdem: Auf Bitten der Konstanzer Tägermoos-Initiative hatte die Schweizer ‚Fondation Franz Weber‘ einen unabhängigen Baum-Experten ins Tägermoos geschickt, um Klarheit in den Fall Pappelallee zu bringen: Ging von den gefällten und den noch stehenden Alleebäumen tatsächlich eine Gefahr für Spaziergänger und Fahrradfahrer auf dem beliebten Wanderweg am Seerhein aus, wie von der Stadt Konstanz dargestellt?

Für Fabian Dietrich (s. Fotos jeweils links), in der Schweiz ein gefragter Gutachter zum Thema „Baum und Sicherheit“, steht schon nach kurzem Augenschein fest: Was die Konstanzer Stadtverwaltung hier angeordnet hat, ist vollkommen unverständlich und spricht für fehlenden Sachverstand. „Für mich ist da ein riesiges Fragezeichen“, so der Berner Baumexperte. „Warum wurden diese Bäume gefällt?“

seemoz-Tägermoos-neu2Sicherheit kann keine Rolle gespielt haben, so viel sei klar. „Ich hatte mich auf Zweifelsfälle eingestellt, aber das hier waren alles vitale Bäume, die standsicher waren.“ Der drahtige Schweizer schüttelt den Kopf. Nicht einmal eine der Pappeln sei auch nur grenzwertig gewesen. Kein einziger der Bäume hätte mit der Begründung der Verkehrssicherungspflicht gefällt werden müssen. „Die Bäume sind in extrem guten Zustand. Der Standort hier ist ideal“. Auf die wenigen hohlen Bäume angesprochen, beeilt sich Dietrich zu erklären: „Es ist absolut normal, dass ein Baum ab einem gewissen Alter Fäulnis hat, aber für die Standsicherheit hat das nichts zu bedeuten.“ Solange die Restwand dick genug ist, sei das kein Problem. „Bäume wachsen anders als Menschen ihr ganzes Leben lang“. So gleiche ein Baum auch eine Höhlung wieder aus.

„Die Bäume der Allee sind allesamt sehr vital“, so Dietrich. Da reiche schon ein erster Blick auf den Stamm. Fabian Dietrich zeigt auf helle Risse im Wurzelbereich einer noch stehenden Pappel: „Das sind Wachstumsrisse, dem Baum geht es gut“. 60, 70 Jahre alt sind die Bäume, hat er festgestellt. „Eine junge Allee“, so Dietrich, denn die Kanadische Hybrid-Pappel kann 300 Jahre alt werden. Auf menschliche Verhältnisse umgerechnet seien die Bäume also 20jährige und keineswegs „altersschwach“. Selbst wenn ein Baum früher absterbe, bedeute das noch nicht, dass er umfalle, so Dietrich. Und wenn dann doch einer mal nicht standsicher sei, so könne man den ganz unproblematisch ersetzen.

Fabian Dietrich ist bestürzt:„In meinen 20 Jahren Berufserfahrung habe ich so etwas noch nicht erlebt – dass eine gesunde Allee gefällt wird“. Er gibt die Empfehlung, so schnell wie möglich wieder aufzuforsten, im gleichen Abstand wie bisher. Aber bitte schön mit Bäumen ordentlicher Größe. Die Stadt will mit 1,90 Meter kleinen Bäumen aufforsten. „Vier  Meter“, hält Dietrich dagegen, dann ginge das mit der Neuen Allee wesentlich unproblematischer. Das Argument, nur kleine Bäume würden gut als Allee nachwachsen, lässt er nicht gelten. „Kleine Bäume kosten eben  weniger. Da geht es nur um Kosten.“

Autor: hpk (mit Material von AR)

P.S. Die Aussagen von Fabian Dietrich stammen aus einer spontanen Pressekonferenz am Freitag Nachmittag. Das zugesagte, schriftliche Gutachten lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]