Konstanz auf dem Weg zur Fahrradmetropole
Die Stadt Konstanz verfolgt ein hehres verkehrspolitisches Ziel: Bis zum Jahr 2020 soll der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr auf mehr als 25 Prozent wachsen. Um die Entwicklung besser einschätzen zu können, wurde jüngst an wichtigen Knotenpunkten eine Radverkehrszählung vorgenommen, die zu überraschenden Erkenntnissen kam: Konstanz ist schon heute eine ausgemachte Radlermetropole und lässt in manchen Belangen einige Großstädte hinter sich
In Konstanz wird im Rahmen des Masterplans Mobilität als Teil eines integrierten Gesamtverkehrskonzeptes ein eigenes Handlungsprogramm Radverkehr vorbereitet, das in den nächsten Jahren das Radfahren in Konstanz noch attraktiver machen soll.
Verkehrsprognosen
Im Oktober 2014 hat ein privates Stadt- und Verkehrsplanungsbüro eine Zählung des Radverkehrs in Konstanz an 23 Knotenpunkten vorgenommen und vor einigen Wochen im Arbeitskreis Radverkehr vorgestellt, in dem sich regelmäßig Verwaltung, Gemeinderätinnen und -räte sowie Polizei und Umwelt- und Verkehrsinitiativen treffen. Untersucht wurden bei dieser Zählung Hauptrouten des Radverkehrs im Zentrum ebenso wie an der Peripherie.
Die Auswertung der Daten ist aufwendig und wurde, so versichert Matthias Reintjes, Autor der Studie, nach einer Methode durchgeführt, die gerichtsfest ist. Man stelle sich das etwa so vor, dass aus einer Zählung an einem bestimmten Tag aufgrund von Erfahrungswerten und ein wenig mathematischem Hexenwerk eine Berechnung der Jahresgesamtwerte möglich wird (die ja auch den geringeren Verkehr an Regentagen, in den Schulferien usw. berücksichtigen müssen), so dass am Ende Zahlen herauskommen, die sich bei späteren Langzeitzählungen erfahrungsgemäß bestätigen und daher als Basis für die Verkehrsplanung taugen.
Konstanz schlägt Freiburg und München
Wie nicht anders zu erwarten, gliedern sich die Konstanzer Radverkehrsströme klar nach Gegend: Während auf der Fahrradbrücke über den Rhein pro Tag 15 000 Radler gezählt werden, in der Schottenstraße 10 000 und in der Konzilstraße 7 000, sind es in Dingelsdorf und Dettingen zwischen 100 und 250. Politische Bedeutung hat die Jahnstraße zwischen Ebertplatz und Zähringerplatz; hier ermittelten die Verkehrsforscher pro Tag 6 000 Radler, doch es soll noch einmal nachgezählt werden. Die Zählung im Oktober 2014 jedenfalls ergab, dass dort mehr Fahrräder als Autos unterwegs sind – ein brisantes Ergebnis, wird hier doch um die Einrichtung einer Fahrradstraße gerungen, und eine hohe Fahrradfrequenz ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Befürworter einer Fahrradstraße.
Diese nackten Zahlen sagen auf den ersten Blick wenig aus, beeindrucken aber, wenn man sie mit Zahlen aus anderen, zudem wesentlich größeren Städten vergleicht. Den 15 000 Radlern auf den Konstanzer Hauptstrecken stehen auf den Hauptstrecken von Ulm/Neu-Ulm 2 800, von Freiburg 7 200 und von München „nur“ 7 500 tägliche Radbewegungen gegenüber. Europas Radhauptstadt Kopenhagen hingegen liegt in dieser Kategorie mit über 25 000 Radlern weit vor Konstanz. Immerhin spielt das kleine Konstanz mit diesen Zahlen, wie das Gutachten konstatiert, in Sachen Radverkehr in der ersten Liga und lässt auch die „Radlhauptstadt“ München in dieser Hinsicht hinter sich.
Fahrrad hat immer mehr Bedeutung
Auch der Vergleich mit dem Autoverkehr lässt erahnen, welche Bedeutung der Drahtesel für Konstanz bereits heute besitzt – und welches Potenzial für Mensch und Umwelt ein weiterer Ausbau des Konstanzer Radwegenetzes bietet. Die 15 000 Fahrräder täglich auf der Radfahrerbrücke über den Rhein (viele davon von Schülerinnen und Schülern gestrampelt) sind nicht viel weniger zahlreich als die 19 100 Autos, die täglich durch den Rheinsteig rauschen, und stellen eine beeindruckend hohe Zahl dar angesichts etwa von 10 400 Autos, die in der Konzilstraße täglich Philharmonie und Seekuh passieren. Die Alte Rheinbrücke, mit 28 500 Autos das Rückgrat des motorisierten Verkehrs, ist natürlich zugleich auch ein wichtiges Nadelöhr für Fahrradfahrer. Insgesamt identifiziert die Radverkehrszählung in Konstanz elf Hauptrouten von Radlern, etwa auch zur Uni oder zur Fähre, wobei auf einigen Routen der Radverkehr sogar die vorherrschende Verkehrsform ist.
Radverkehr als Teil eines modularen Systems
Die Stadt ist jedenfalls wild entschlossen, das Radverkehrsnetz zu verbessern, um bis 2020 ihr Ziel von mehr als 25% Fahrradverkehr im Verkehrsmix zu erreichen (sofern die Kosten für das Kongresshaus noch Mittel übriglassen, mag der Skeptiker bei sich denken). Zu den Maßnahmen gehören erweiterte Fahrradparkflächen an Schulen und in der Innenstadt ebenso wie die Aufwertung und Beleuchtung des Radweges von Wollmatingen zur Uni. Mittelfristig soll der Radverkehr wachsender Teil eines Verkehrsgesamtkonzepts werden, das einen barrierefreien und schnellen Umstieg zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln zum Ziel hat und vor allem den Autoverkehr vermindern soll.
Zur Attraktivität des Fahrrades könnte eine Vielzahl möglicher Verbesserungen beitragen, wie etwa Haltegriffe an Ampelsäulen, damit Radfahrer bei Rot gar nicht erst abzusteigen brauchen, sondern sich im Sitzen an der Ampel festhalten können, ebenso wie Fahrradparkhäuser mit angeschlossenem Reparaturbetrieb oder ein unkompliziertes Mietsystem für Transportfahrräder (auch als E-Bikes), damit man die Bierkisten für die Gartenparty spontan auch mal mit dem Lastenfahrrad heran karren kann. Doch das ist Zukunftsmusik. [modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: Harald Borges
Die Zahlen regen zum Denken an.
Macht es Sinn, für geschätzte 100 Busse am Tag die 10.000 Radfahrer am Tag in der Schottenstraße jeweils an der Gartenstraße und der Gottlieberstraße in der Vorfahrt zu benachteiligen? Zumal, wenn ein Zuwachs an Radverkehr gewünscht und gefördert wird.
Das hätte auch den Vorteil, dass die gefährliche, unbeleuchtete, trotz Leuchtfarben schwer erkennbare Ketten- und Pfostenabsperrung an der Gottlieberstraße beseitigt werden könnte.
Bei einer Kettenabsperrung auf einer Fahrradhauptachse mit diesen Verkehrsmengen, läßt sich ernsthaft über den Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr diskutieren – auch mit entsprechenden Folgen im Falle eines Unfalls für die dafür Verantwortlichen.