Mein Freund, der Baum, mal medizinisch betrachtet

seemoz-BaumfällungDie Idee war nicht schlecht, und die Ausführung gelungen und lehrreich, aber nach den Glaubenskriegen um die Pappelallee im Tägermoos wird so schnell kein Frieden einkehren. OB Uli Burchardt ließ in der Gemeinderatssitzung am letzten Donnerstag den Konstanzer Baumpfleger Gerhard Majer ausführlich über seine Arbeit berichten, um durch Fachinformationen zu einer Versachlichung beizutragen, aber die Pappelschützer kann er eh nicht mehr erreichen.

Manche Gemüter in Konstanz sind weiterhin auf Krawall gebürstet, wenn es um die Bäume im Tägermoos geht, und wer im Ratssaal im Publikum saß, konnte den blanken Hass auf die Verwaltung geradezu mit Händen greifen. Durch ihre schlechte Informationspolitik im Umfeld der Fällungen hat die Stadtverwaltung einige Wutbürger auf die Barrikaden getrieben und viel Vertrauen zerstört.

15 000 Konstanzer Bäume

Seine unverbrüchliche Liebe zu Bäumen kann man in praktisch jedem Wort von Gerhard Majer, bei den TBK unter anderem für die Kontrolle und Verwaltung von Bäumen zuständig, spüren. Er kennt viele der 15.000 Konstanzer Bäume, für die die Stadt zuständig ist, persönlich. Sämtliche 15 000 Bäume sind einzeln erfasst, und für jeden Baum gibt es einen Eintrag im Baumkataster, einer Art Personal- und Krankenakte, in der Sorte, Alter, Schäden und die durchgeführten baumchirurgischen Maßnahmen verzeichnet sind. Für Kontrolle, Pflege und Dokumentation gab die Stadt Konstanz im letzten Jahr 640 000 Euro aus, und nach Majers Ausführungen sieht es so aus, als würden die Konstanzer Bäume regelmäßiger überwacht und sorgfältiger gepflegt als die Zähne so manches Konstanzers.

Majer wies auch auf die Rechtslage hin: Niemand darf durch Bäume geschädigt werden, sonst wird die Stadt schadensersatzpflichtig und man macht sich eventuell sogar strafbar. Die Menschen müssen sich schließlich darauf verlassen können, dass ihnen nicht plötzlich ein Ast auf den Kopf fällt.

Baumkontrollen

Die TBK beschreiben ihre Kontrollen so: „Die Baumkontrollen werden entsprechend der Baumkontrollrichtlinie der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e.V. (FLL) durchgeführt. Im Wesentlichen bedeutet diese Richtlinie, dass Bäume im Stadtgebiet mindestens einmal im Jahr kontrolliert werden sollen, Bäume mit gravierenden Vorschäden auch öfter. Die Richtlinie lässt aber die Möglichkeit zu, Kontrollintervalle individuell festzulegen und in begründeten Fällen, z.B. für jüngere Bäume oder Bäume an untergeordneten Standorten, auch längere Intervalle vorzugeben. Dadurch ist es möglich, dass jeder Baum in einem Zeitraum von ca. 15 Monaten zuverlässig kontrolliert werden kann. Ein fester Rhythmus von 12 Monaten wird nicht angestrebt, da es sinnvoll ist, den einzelnen Baum zu unterschiedlichen Jahreszeiten zu überprüfen. Im unbelaubten Zustand sind andere Symptome zu erkennen als im belaubten. Im Herbst kann die Vitalität besser beurteilt werden als im Frühjahr. Manche Schadpilze sind nur im Sommer zu erkennen, andere nur im Herbst.“

Praktisch werden also regelmäßig Stamm, Krone, abgestorbene Äste usw. angeschaut, die Erkenntnisse in einem Baumkontrollbogen verzeichnet und daraus Pflegepläne entwickelt. Gerhard Majer demonstrierte das mit Lichtbildern anhand der Graf-Lennart-Bernadotte-Allee, die an der Mainau vorbei Litzelstetten und Egg miteinander verbindet. Die dortigen Platanen wurden 1982 in einem kostspieligen Kraftakt saniert. Nachdem sich dort 2005 ein Platanenpilz ausbreitete, waren erneut aufwendige Erhaltungsmaßnahmen nötig, unter anderem mussten Bäume gestutzt und Gesträuch beseitigt werden.

Und das Tägermoos?

Das Pappelwäldchen im Tägermoos besteht laut Majer aus Hybridpappeln, also einer Pappelart, die aus der Kreuzung zweier anderer Arten entstand und gezielt auf maximalen Holzgewinn gezüchtet wurde. Diese Bäume haben nach seinen Angaben eine Lebenserwartung von 60-80 Jahren, auch wenn einige Exemplare natürlich deutlich älter werden können. Die Tägermoos-Pappeln wurden 1999 durch Sturm Lothar und 2009 durch den Hagelsturm erheblich geschädigt. Bei diesen Ereignissen wurden Kronen abgeräumt und große Äste im oberen Bereich geschädigt, die zwar weiter austreiben, aber innerlich vor sich hinfaulen. Diese Bäume sind schwer geschädigt, und man muss dringend etwas daran machen. Nach seinen Angaben werden diese Bäume in zehn Jahren tot sein, und er hält es für unsinnig, jetzt 150.000 Euro für Erhaltungsmaßnahmen in sie zu investieren. Er plädierte dafür, diese Pappeln abzuholzen und mit Schwarzpappeln wiederaufzuforsten, einer Pappelart, die deutlich länger lebt und widerstandsfähiger ist, so dass man sich dann für einige Generationen nicht mehr groß darum zu kümmern braucht.

Majer stellte sich auch den Fragen der Gemeinderätinnen und -räte: So wollte Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL) wissen, weshalb man denn nicht nach den ersten Schäden 1999 einzelne besonders betroffene Bäume gefällt und durch Schwarzpappeln ersetzt habe. Laut Majer war das nicht möglich, weil Schwarzpappeln viel mehr Licht benötigen, so dass man sie nicht einfach zwischen die recht eng stehenden Hybridpappeln pflanzen kann.

Was ging schief?

Wieso also gab es diesen ganzen Tumult mit Bürgeraufstand, dem Versuch einer einstweiligen Verfügung gegen die Stadt und viel bösem Blut insbesondere beim weiblichen Teil der Bevölkerung? Man muss sicherlich Michael Fendrich (FDP) Recht geben, wenn er konstatiert, das alles wäre ganz anders gelaufen, wenn die Verwaltung diesen lehrreichen Vortrag von Herrn Majer rechtzeitig präsentiert hätte. Auch Peter Müller-Neff (FGL), der Gerhard Majer kennt und schätzt, bemängelte, dass die Verwaltung die ganze Angelegenheit nicht wie von ihm vorgeschlagen frühzeitig in den Technischen und Umweltausschuss gebracht hat. In den Gemeinderat sei die Sache ja auch erst jetzt nach dem Antrag auf einstweilige Verfügung gekommen. Außerdem meinte er, man hätte auch den Gutachter der Gegenseite, der Bürgerinitiative also, hören müssen, der die Bäume für gesund erklärt hat.

Der Schlamassel

Die Angelegenheit ist ziemlich verfahren, und viel von diesem Ärger wäre allen Beteiligten erspart geblieben, wenn die Verwaltung rechtzeitig vernünftig über ihre Pläne und die Gründe dafür informiert hätte. Jetzt aber stellt sich die Situation so dar: Der Oberbürgermeister ist sichtlich sauer, denn er hat massenhaft E-Mails und Briefe erhalten, in denen er aufs Wüsteste beschimpft wurde, es muss wohl ein echter Shitstorm über ihn losgebrochen sein.

Die in Sachen Erhaltung der Pappeln engagierten Bürgerinnen und Bürger (vor allem erstere) haben jedes Vertrauen in die Verwaltung verloren. Während des Vortrages von Gerhard Majer gab es im Publikum immer wieder höhnisches Aufstöhnen, und wer genau hinhörte, konnte sogar verhaltene „Lügner“-Rufe und ein leises Gegrantel erlauschen: „Morsch sollen die Dinger sein, ha, die sind immer noch stabil genug, Euch …“ Aber lassen wir das, man muss ja nicht alles berichten.

Hier sind also offensichtlich einige Menschen emotional schwer im Aufruhr und darum durch Fachvorträge gar nicht zu erreichen: Während es der Verwaltung um ganz und gar rationelle Baumpflegemaßnahmen geht, verbinden diese Menschen mit den Bäumen intensive Gefühle, und will man einen Baum abholzen, ist das für sie, als wolle man einen guten Freund durch einige wuchtige Axthiebe von den Gebresten des Alters erlösen. Sie träumen beim Gedanken an die Bäume vielleicht von Spaziergängen mit den Kindern, als die noch klein und süß waren und sich nicht nur alle drei Monate mal kurz meldeten, um Geld zu pumpen, sie haben vielleicht am Kuhhorn unter den Pappeln zum ersten Mal rumgeknutscht und ein Herz in die Borke eines der Bäume geschnitten – angesichts dieser emotionalen Wahrheiten aus einer besseren Welt erscheinen baumchirurgische Maßnahmen genauso herzlos wie die Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe.

Die Gemeinderätinnen und -räte wiederum sitzen in der Zwickmühle: Für dieses Jahr werden die Bäume noch einmal so behandelt, dass die Verkehrssicherheit gewährleistet ist, aber irgendwann muss im Gemeinderat über die Zukunft der Pappeln entschieden werden. Es steht Gutachten gegen Gutachten, und Teile der Volksseele werden auch weiterhin hasserfüllt vor sich hinkochen. Eine lokalpolitische Win-Win-Situation sieht anders aus.

O. Pugliese[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]