Werter Genosse Gabriel…

Die aktuelle Griechenland-Politik zwingt die SPD in eine Zerreißprobe. Selbst hochrangige Genossen bestürmen Parteichef Gabriel, seine menschenverachtende Politik gegenüber Griechenland zu überdenken. Wie Hartmut Wegener, einst Staatssekretär in Schleswig-Holstein und nun Pensionär in Griechenland, der seine Partei zu mehr Menschlichkeit ermahnt. Hier der aktuelle Brief  an Parteichef Gabriel im Wortlaut:

„Werter Genosse Gabriel,
ich bin seit 1976 Parteimitglied, war im Kabinett Simonis Innenstaatssekretär und lebe seit 2009 überwiegend in Griechenland. Ich bin Repräsentant von SES Deutschland (Senior Expert Services GmbH, Bonn) für Griechenland.

Das Alltagsleben hier und die griechische Mentalität sind mir vertraut. Und seit fünf Jahren erlebe ich wegen der harten Sparauflagen und fehlender Investitionsanreize den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der großen Mehrheit der Bevölkerung: Massenarbeitslosigkeit, Armut und fehlender Krankenversicherungsschutz. Am schlimmsten ist die Hoffnungslosigkeit und der Vertrauensverlust gegenüber den staatlichen Institutionen und den bisher herrschenden korrupten Klientelparteien.

Mit all dem wollte die Syriza aufräumen. Dafür ist sie mehrheitlich gewählt worden. Es mag sein, dass die Wahl-Versprechen zu vollmundig waren, aber sehr viele Griechen, auch Konservative aus meinem Bekanntenkreis, hatten und haben die Hoffnung auf einen echten Politikwechsel. Sollte die neue Regierung und mit ihr diese Hoffnung scheitern – zerschellen an der kompromisslos harten Haltung der Gläubigerländer, allen voran Deutschland – so befürchte ich einen starken Rechtsruck hin zur offen faschistischen Partei „Morgenröte“, weil die Altparteien nach wie vor desavouiert sind.

Diese Sorge wollte ich Ihnen als Parteivorsitzendem vortragen. Diese drohende Gefahr kann die SPD nicht kalt lassen, die im Wahlkampf zu Recht die Solidarität mit den Südländern hervorgehoben hatte. Und es liegt an der deutschen Regierung, die konfrontative Oberlehrerhaftigkeit sein zu lassen und zu einem solidarischen Miteinander zu finden.

Dabei kommt der SPD die treibende Rolle zu, die sie bisher leider nicht wahrgenommen hat. Die CDU liebäugelt immer noch mit der NeaDemokratia, der Partei der reichen Familien, und will die desaströse Lage der Bevölkerung nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist aber eine Sackgasse ,aus der die SPD die Koalition befreien sollte.

Der eigentliche Anlass für mein Schreiben ist aber Ihr Interview zu den griechischen Reparationsforderungen, die Sie ohne Not brüsk mit dem kurzen Bemerken abgewiesen haben, alles sei rechtlich abschließend geregelt. Man mag sich auf diesen schwankenden juristischen Boden stellen, politisch korrekt ist das allerdings nicht – schon gar nicht für einen sozialdemokratischen Parteiführer wie Sie mit Ihrer Familiengeschichte. Gerade unsere Generation, die sich die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts auf die Fahnen geschrieben hat, kann doch nicht im Ernst die 112  Millionen Mark, die der Bankier Abs 1960 unter Verweis auf die abschließende Regelung der Reparationsforderungen nach der Wiedervereinigung ausgehandelt hat, als endgültige Regelung für die Zerstörung ganzer Regionen Griechenlands akzeptieren!

Das vertraglich geregelte Zwangsdarlehen, das zu einem kleinen Teil bereits vor Kriegsende zurückgezahlt wurde, unterfällt jedenfalls nicht der fadenscheinigen rechtlichen Begründung abschließender Erledigung. Hier gilt vielmehr der Grundsatz „pacta sunt servanda“ und Deutschland muss die auf ca. 10 Milliarden Euro auflaufende Schuld baldmöglich tilgen. Wenn wir schon ständig das Einhalten von Verträgen und Regeln wie eine Monstranz vor uns hertragen, dann sollten wir uns nicht die Blöße geben, selber unsere Schulden nicht zurückzuzahlen.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass dieses Thema nicht jetzt erst quasi aus dem Hut gezaubert worden ist. Vielmehr ist die „Blutspur der deutschen Besatzung“ seit Kriegsende im öffentlichen Bewusstsein der Griechen und die Reparationsforderungen wurden ständig thematisiert. Was aber in Deutschland nicht öffentlich zur Kenntnis genommen wurde.

Gerade vor dem Hintergrund der aufgeheizten Stimmung in beiden Ländern und der gegenseitigen Verbalattacken darf ich Sie als Parteivorsitzenden bitten, für ein verbales Abrüsten zu sorgen und die Koalition zu einem solidarischen Miteinander mit Griechenland zu veranlassen. Sie müssen einen Kontrapunkt gegen die platten populistischen Parolen von CDU und CSU setzen, damit wir alle nicht in eine schreckliche Sackgasse laufen.

Mit solidarischen Grüßen
Hartmut Wegener“

Troika verteilt um – von unten nach oben!

Die Linksfraktion im Bundestag hat Fakten zusammengetragen, die dokumentieren, dass die EU-Krisenpolitik in Griechenland nicht nur zahllose Opfer gefordert, sondern durchaus auch Gewinner hervorgebracht hat. Wir dokumentieren ein Ende März veröffentlichtes „Factsheet“ der Fraktion.

Dass die Troika-Programme in Südeuropa und Irland nicht geeignet sind, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, ist bekannt. Auch dass sie nicht taugen, die hohe Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, konnte man in den vergangenen Jahren eindrucksvoll beobachten. Nirgends wurde dieses Versagen deutlicher als in Griechenland, wo die Wirtschaft innerhalb von nur vier Jahren um 22,2% geschrumpft ist, während die Schuldenquote von 109% auf 175% in die Höhe schnellte.

Hintergrund ist eine gigantische Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen, sinkender Nachfrage, sinkender Produktion, steigender Arbeitslosigkeit, sinkender Wirtschaftsleistung und steigenden Schulden, die durch die Kürzungsprogramme der Troika in Gang gesetzt wurde.

Großbanken profitieren von der Troika-Politik

seemoz-Troika1Weniger bekannt ist, dass die Troika-Politik nicht nur viele Verlierer, sondern auch einige Gewinner hat. An erster Stelle zu nennen sind die europäischen Großbanken. Mehr als 90% der so genannten Hilfskredite für Griechenland sind nämlich in den Finanzsektor geflossen. Im Mai 2010 betrug der Anteil privater Gläubiger an den griechischen Schulden noch 94%. Durch die Troika- Kredite wurden diese Gläubiger nach und nach von den Eurostaaten und dem IWF abgelöst. Heute halten private Gläubiger nur noch 11,5% dieser Schulden. Das Gros hat die Staatengemeinschaft übernommen. Die Banken sind fein raus. Wir haben es also nicht mit einer Griechenland-Rettung, sondern mit einer Banken-Rettung zu tun, die über den griechischen Staatshaushalt abgewickelt wurde.

seemoz-Troika2Zugleich wurden so genannte Anpassungsprogramme zur Auflage für die Kredite gemacht und damit eine Politik durchgesetzt, die die griechische Wirtschaft systematisch an die Wand fährt und die Lebensstandards der einfachen Menschen immer weiter absenkt. Lohnsenkungen, Massenentlassungen, Deregulierung, Privatisierung und Sozialabbau sind die Kernelemente dieser Politik. Angesichts von Hunger, Massenobdachlosigkeit und einem kollabierenden Gesundheitssystem spricht die griechische Regierung von einer humanitären Krise, die durch die Troika-Programme verursacht wurde.

Troika-Programme nützen den Reichen in Griechenland

seemoz-Troika3Doch auch diese Politik hatte nicht nur Verlierer. So abgedroschen die Aussage auch klingen mag, sie stimmt: Die Reichen sind reicher, die Armen ärmer geworden. Während die Kürzungspolitik das Durchschnittseinkommen um über 30% gesenkt und die Armutsquote auf 35,7% erhöht hat ist die Zahl der Millionäre auch während der Krise von Jahr zu Jahr gestiegen! Gab es 2010 in Griechenland rund 69.900 Millionäre, waren es nach vier Jahren Troika-Diktat bereits 78.100. Betrug das Gesamtvermögen dieser Geldelite 2010 noch 178 Milliarden US-$, waren es 2013 schon 226 Milliarden. Gespart wurde also nur am Lebensstandard der breiten Masse. Die Reichen haben daran kräftig verdient!

Nicht nur hat die Troika systematisch auf alle Maßnahmen verzichtet, die die Axt bei der Finanzelite ansetzt. Darüber hinaus wurden ihnen auch noch allerlei Vorteile zugeschanzt. So wurde auf Troika- Geheiß hin die Unternehmenssteuer deutlich gesenkt. Zudem wurden Mindestlöhne und Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, Abfindungen und Tarifbindung so weit abgebaut, dass Investoren ihre Profite auf Basis schier unmenschlicher Arbeitsverhältnisse weiter ausdehnen konnten. Zudem wurde Griechenland auf zum Shopping-Paradies für Großinvestoren gemacht: Häfen, Flughäfen, Gasversorger, Eisenbahn, Post, Wohnimmobilien – alles muss raus! Da alle Beteiligten wussten, dass Griechenland verkaufen muss, sind die Preise in den Keller gefallen. Ein großer Teil des griechischen Staatseigentums wurde weit unter Wert verramscht.

seemoz-Troika4Ein anderer Teil fand angesichts der desolaten Wirtschaftslage selbst unter den globalen Schnäppchenjägern keine Käufer. Im Ergebnis stand für den Zeitraum 2011 bis 2013 ein Privatisierungserlös von rund 2,6 Milliarde Euro. Geplant hatte die Troika mit 22 Milliarden. Fazit: Die Troika-Programm haben in großem Maße Wohlstand von unten nach oben umverteilt und so die Lasten der Finanzkrise den einfachen Leuten aufgebürdet. Zugleich wurde die wirtschaftliche und finanzielle Krise nicht gelöst, sondern weiter vertieft und um eine humanitäre Krise erweitert. Diese Art der Krisenpolitik muss bekämpft und beendet werden!

Quelle: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag