„Schweizer Schwester, sagen Sie es der ganzen Welt…“

Johanna Hammel

Passend zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar – vor 66 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit – stellt H.-H. Seiffert seine zwei Bücher über das Schicksal zweier jüdischer Familien aus Konstanz vor. „In Argentinien gerettet – in Auschwitz ermordet“ und „Johanna Hammel“ beschreiben die Stationen der Familien Guggenheim und Hammel von ihrer Deportation 1940 bis zu ihrer Ermordung in Auschwitz. Einen kurzen Vorabdruck aus „Johanna Hammel“ veröffentlichen wir im Anschluss an diesen Artikel.

Recherche-Reisen nach Argentinien und in die USA sowie Nachforschungen in Frankreich und Israel scheute Hans-Hermann Seiffert nicht, um in mehrjähriger Arbeit dem Schicksal der Familien Hammel und Guggenheim aus Konstanz und Donaueschingen auf die Spur zu kommen. Briefe und Postkarten, Lager-Listen und Nazi-Dokumente wertete er aus, um Leben und Tod jüdischer Konstanzer zu dokumentieren.

Dabei geht es besonders um die Ereignisse der Deportation in das französische Internierungslager Gurs im Oktober 1940, aber auch um den Transport ins Vernichtungslager Auschwitz. „Eigentlich waren die Nachforschungen für die Stolperstein-Initiative gedacht“, berichtet der 70jährige Autor aus Konstanz, selber Mitglied der Initiative, „aber dann gewannen diese Familien-Schicksale für mich eine solche Brisanz, dass ich mich zum Bücherschreiben aufraffte“. Unterstützt und ermutigt wurde der Amateur-Autor von Prof. Wiehn, der auch den Kontakt zum Wissenschaftsverlag Hartung-Gorre in Konstanz herstellte, der die Seiffert-Bücher dann Ende 2010 heraus brachte.

Denn eigentlich ist der seit fünf Jahren pensionierte Seiffert gelernter Kaufmann, arbeitete als Controller in großen Firmen in Stuttgart und Konstanz und „hatte vom Schreiben und Recherchieren keine Ahnung“. Die beiden jetzt vorgestellten, reich bebilderten Bände jedoch zeigen, dass Seiffert durchaus das Zeug zum Schriftsteller hat. Und dass er das Zitat einer Gurs-Inhaftierten: „Schweizer Schwester, sagen Sie es der ganzen Welt…“ zu seinem neuen Lebensmotto macht. Wie der folgende kurze Vorabdruck belegen mag:

Auszug aus „Johanna Hammel“

Der Aufenthalt von Johanna Hammel in Drancy dauerte zwei Tage. Am 4. September 1942 verläßt der 28. Transport den Bahnhof Bourget/Drancy um 8 Uhr 55 mit der Destination Auschwitz. Unter Leitung des Stabsfeldwebels Brand wird der Zug D 901/23 von 11 Unteroffizieren und 40 Männern der deutschen Gendarmerie eskortiert. Und diesmal sind die Reisebedingungen alles andere als angenehm. Die letzte Etappe ihrer Fahrt in den Tod müssen die bedauernswerten Menschen eng zusammengepfercht in Güterwagen der Deutschen Reichsbahn antreten.

Der Augenzeuge Georges Kohn gab in seinem Tagebuch eine bedrückende Schilderung über die Zustände in den Waggons ab. Danach fuhren die armen Menschen in Viehwaggons, jeweils 50 Personen in einem Waggon. Viele Waggons waren noch nicht einmal mit Stroh ausgelegt. Sie waren voller Schmutz, mit Resten von Gips und Dünger. Lediglich ein Eimer diente den sanitären Bedürfnissen.

Die Begleitpapiere, die aus 25 Unterlisten bestehen, sind von schlechter Papierqualität und nur mühsam zu entziffern. Es sind aus diesem Dokument insgesamt 1.013 Deportierte namentlich benannt, überwiegend unter Hinzufügung ihrer Nationalität. Darunter befindet sich eine Johanna Handel (!). Ein Schreibfehler! Das eingetragene Geburtsdatum und der Geburtsort lassen jedoch keinen Zweifel, daß Johanna Hammel aus Konstanz gemeint war.

Nicht dabei sind in diesem Transport Hilde Merzbacher und ihr Mann Dr. Julius Merzbacher. Die Bürokraten des Todes nahmen keine Rücksicht auf die Dispositionen ihrer Opfer. Dagegen wird Johanna von anderen Konstanzern begleitet, und zwar von früheren Nachbarn: Es ist die dreiköpfige Familie des Rechtsanwalts Spiegel aus der Bahnhofstraße 12, mit denen sie auch die Zeit in Idron zusammen gewesen war. Leopold Spiegel (66) begleitet seine Frau Betty (55) und den Sohn Helmut (32) auf der Fahrt nach Auschwitz. Vater Leopold, ein mit dem EK II und dem Ehrenkreuz der Frontkämpfer hochdekorierter Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, war zwar wegen seines Alters vom Abtransport aus Gurs zurückgestellt, er bestand jedoch darauf, bei seiner Familie zu bleiben und mit nach Auschwitz zu gehen.

Noch ein anderer Konstanzer fuhr mit im Transport Nummer 28: Es war der ledige 57-jährige Hugo Weill, der zuletzt in der Rheingasse gewohnt hatte. Er war der Cousin des berühmten Komponisten Kurt Weill, der die Musik zur „Dreigroschenoper“ geschrieben hatte. Auch Hugo Weill sollte in Auschwitz zu Tode kommen“

Die Vorstellung beider Seiffert-Bücher findet statt am Donnerstag, 27. Januar, 19.30 Uhr, im Wolkensteinsaal des Kulturzentrums in Konstanz; der Eintritt ist gratis. In Anwesenheit des Autors wird Frank Lettenewitsch in Auszügen aus beiden Büchern lesen.

Autor: hpk