Braune Post in Konstanzer Briefkästen
Viele Konstanzer Haushalte fanden vor einigen Tagen Post der besonders abstoßenden Art in ihren Briefkästen. Vor allem im Umfeld der Flüchtlingsunterkünfte in der Luisenstraße und der Steinstraße, aber auch in Teilen der Innenstadt hatten Rechtsextreme ein Flugblatt verteilt, in dem Hetztiraden gegen Flüchtlinge verbreitet werden.
Hinter der Aktion steckt die Partei „Der Dritte Weg“, in der sich Neonazis vornehmlich aus Süddeutschland zusammengeschlossen haben. Personell speist sich diese Gruppierung vor allem aus Angehörigen der im Juli letzten Jahres verbotenen Gruppierung „Freies Netz Süd“ (FNS), die offen nationalsozialistisches Gedankengut propagiert hatte. Die Umsetzung des längst überfälligen Verbots der rechtsextremistischen Organisation, die wiederholt durch Gewalttaten aufgefallen war, wurde von Antifaschist_innen scharf kritisiert. Nicht nur, dass man die „Kameradschaft“ jahrelang unbehelligt ließ, das zögerliche Vorgehen der Behörden habe den Faschisten die Zeit verschafft, rechtzeitig Parallelstrukturen aufzubauen und in diese Neugründung zu überführen. „Die Behörden haben ein Jahr gebraucht von der großen Razzia gegen FNS bis zum Verbot. Die Rechten hatten alle Zeit der Welt, sich neu zu organisieren“, kritisierte etwa Katharina Schulze, die Rechtsextremismus-Expertin der bayerischen Grünen, das staatliche Agieren.
Die auf der Homepage dieser neuen alten Nazis veröffentliche Programmatik lässt jedenfalls keine Zweifel zu, wes‘ braunen Geistes Kind die Partei „Der Dritte Weg“ ist: Ihr Ziel sei die „Schaffung eines Deutschen Sozialismus“, heißt es dort in ungeschminkt völkisch-nationalsozialistischer Diktion. Da ist von einer „Bevölkerungspolitik“ die Rede, deren Grundlage „die konsequente Förderung von kinderreichen Familien“, nur deutschen, versteht sich, „zur Abwendung des drohenden Volkstodes“ sein soll. Selbstredend fordert man die Einführung der Todesstrafe „für Kindermord und andere Kapitalverbrechen“. Klar, dass auch ausgiebig gegen eine angebliche „Überfremdung Deutschlands“ und „anhaltende(n) Asylmißbrauch“ gehetzt wird. Soziale Gerechtigkeit soll es nur für Deutsche geben und unter der Überschrift „Deutschland ist größer als die BRD“ fantasieren die Nazis über die „Wiederherstellung Gesamtdeutschlands“.
Die Umtriebe in Konstanz müssen auch deshalb beunruhigen, weil sich die „Dritte-Weg“-Faschisten ganz gezielt die Flüchtlingsunterkünfte für ihre Flugblattbelästigung ausgesucht haben. Auf der Homepage der Neonazipartei prahlen sie in einem Bericht denn auch auf abstoßende Weise damit, man sei unter anderem an der „Asylkaschemme“ in der Luisenstraße und in der Steinstraße aktiv gewesen, um die „Asyl-Aufklärung der nationalrevolutionären Bewegung an die Bevölkerung“ heranzutragen. Auch das DGB-Haus und das städtische Rathaus in der Unteren Laube nennen die Faschos als Ziele ihrer Aktion. Dass dabei jeweils Straße und Hausnummer genannt werden, kann getrost als Einladung verstanden werden, beim nächsten Besuch vielleicht nicht mehr nur Flugblätter ein-, sondern gleich was anzustecken.
Inzwischen hat sich die Sozialarbeiterin Doris Künzel, die sich im Landkreis seit Jahren für Flüchtling engagiert, mit einem Brief (siehe Kasten) unter anderem an das Landratsamt, die Stadt, die Polizeibehörden und die Presse gewandt, in dem sie ihre Besorgnis äußert und die Zuständigen dazu auffordert, „in Ihrem Rahmen tätig zu werden, um die Flüchtlinge in Konstanz zu schützen.“ Dem kann man sich nur anschließen. Ob es sich bei der Flugblattaktion um die Tat einiger isolierter Rechtsextremer handelt, oder ob sie ein Anhaltspunkt dafür ist, dass sich in der Region ein brauner Mob organisiert, bleibt abzuwarten. Wir sollten auf jeden Fall wachsam sein.
Jürgen Geiger
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte Sie heute auf eine groß angelegte Flugblattaktion der, ganz offensichtlich neofaschistischen Organisation, „Der dritte Weg“, gegen Flüchtlinge in Konstanz aufmerksam machen. In einem Internetbericht, unter nachstehendem Link, brüstet sich diese Organisation mit ihren rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Aktionen in Konstanz und bildet Flüchtlingsunterkünfte mit Anschrift ab.
Als ehemalige, langjährige Sozialarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes, die in den 90-iger Jahren etliche Angriffe und Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen und ihren Unterkünften in Konstanz erleben musste, registriere ich heute mit großer Sorge die wachsende Fremdenfeindlichkeit und einen ansteigenden Rassismus in unserem Land. Diese Kritik veröffentlichte letzte Woche auch ein UN-Bericht für Deutschland.
Ich bin entsetzt über die Inhalte und die ausländerfeindliche Hetze dieser, nun in Konstanz und im Landkreis auftretenden, Organisation „Der dritte Weg“. In einer Zeit, in der in Deutschland wieder zunehmend Flüchtlingsunterkünfte angezündet werden und massiv gegen Flüchtlinge in der Öffentlichkeit gehetzt wird, müssen wir gemeinsam solcher Propaganda von Rechtsradikalen entgegentreten um Schlimmeres zu verhindern.
Die Inhalte dieser Flugblätter und Internetberichte erfüllen meines Erachtens den Straftatbestand der Volksverhetzung und sind demnach auch strafrechtlich zu verfolgen. Ich halte es für dringend erforderlich, diese Organisation und ihre Aktionen öffentlich zu verurteilen um ihre Einflussnahme auf die Bevölkerung zu verhindern.
Wie Sie wissen, hatte es die rechtsradikale Szene in den letzten 20 Jahren recht schwer in Konstanz Fuß zu fassen, nicht zuletzt deshalb weil sich diese Stadt mit ihren Bürgerinnen und Bürgern immer wieder den öffentlichen Auftritten der Neonazis zur Wehr setzte. Gerade nach dem Überfall von 30 Neonazis 2008 auf eine öffentliche Veranstaltung im Konstanzer Bürgersaal hat die Stadt mit der Unterzeichnung des „Konstanzer Aufruf gegen Neofaschismus“ und der „Konstanzer Erklärung“ ein deutliches Zeichen gegen Neofaschismus und Rassismus gesetzt.
In diesen Bemühungen, Faschismus und Rassismus entschieden entgegen zu treten, dürfen wir gerade heute nicht nachlassen. Ich bitte Sie deshalb hiermit, in Ihrem Rahmen tätig zu werden, um die Flüchtlinge in Konstanz zu schützen.
Mit freundlichen Grüßen
Doris Künzel
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Flugblätter sind Reaktionen.
Links-Rechts-Haß-Gegenhaß sind Symptom-Bekämpfung
Statt sich endlos in Links-Rechts- und Unterbringungsfragen zu verlieren, könnte man sich sachlich den eigentlichen Ursachen von Flüchtlings- und Migrationsbewegungen zuwenden. Schließlich lassen WIR es mit zu, dass z.B. 70% der Waffen, die in Entwicklungsländern benutzt werden und Flüchtlingsströme erzeugen, aus unserem Land kommen.
Das hieße aber eine höhere Verantwortung für sich zu übernehmen.
Da ist es eben leichter über braune Post zu wettern und die Ursachen
kollektiv auszublenden.