Gourmet im Auftrag einer Reifenfirma

Ein Gourmand ist eigentlich ein Vielfraß. Ein Gourmet hingegen ein wahrer Feinschmecker. Der eine will die fetten Schnitzel links und rechts über den Tellerrand lappen sehen. Der andere begnügt sich auch mit sehr überschaubaren Servierschalen, eckig vielleicht und mit glänzenden Gemüseminiaturen dekoriert


Dazwischen liegen Welten, die einen wollen mit den anderen nichts zu tun haben. Damit dies auch so bleibt, wagt sich die zweite Gruppe nur noch über von Guides empfohlene Schwellen. Der Michelin dürfte der bekannteste sein.

Bibendum? Ja, doch, das pralle Reifenmännchen heißt doch so. Immerhin komisch, daß so eine aufgeblasene Figur ausgerechnet in die Hautes Cuisines führen soll. Doch Curnonsky? Maurice Edmond Sailland?

Fast niemand, auch nicht aus der Gourmet-Szene, kennt die o.g. Namen, hinter denen sich eine einzige Person verbirgt – der Pionier der bisweilen recht verkommenen Gastrokritiker-Szene. Von Askese hielt der schwergewichtige Mann nichts und gutes Essen hieß für ihn, daß die Gerichte nach den Zutaten schmeckten, aus denen sie zubereitet wurden. Frauen hingegen, die sich zu fein waren, um an einer Keule zu nagen, hielt er auch für die Liebe untauglich.

Im Auftrag des Reifenherstellers Michelin bereiste Sailland ab 1907 abgelegene Gegenden Frankreichs, um die Pariser aus der Stadt zu locken – sie sollten Autoreifen brauchen, war das Kalkül von Michelin.

Sailland war’s höchstwahrscheinlich wurscht. Er besaß keinen Führerschein und ließ sich hierhin und dorthin kutschieren. Und publizierte, wo man besonders gut zubereitete Leckereien genießen konnte. Weil er sowohl von den Speisen als auch vom Wein etwas verstand und außerdem humorvoll schreiben konnte, waren seine Kommentare bald beliebtes Lesefutter.

Zufällig entdeckte die Kunsthändlerin Inge Huber beim Kauf einer Pariser Bibliothek den verschollenen Nachlass des vergessenen Feinschmeckers. Und unternimmt nun in akribischer Kleinarbeit den Versuch, Bibendum, Curnonsky und Sailland näher zu kommen.

Inge Huber: Curnonsky – oder das Geheimnis des Maurice Edmond Sailland. Collection Rolf Heyne, München 2010, geb., 200 Abbildungen. Preis: 39.90 Euro

AutorIn: Gudrun Mangold

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