„Es ist so weit, heute verlieren wir unsere Heimat“
Am Donnerstag öffnet das Kulturzentrum am Münster seine Türen für eine bemerkenswerte Sonderausstellung: „Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung“. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts waren viele jüdische Familien nach Konstanz gezogen und prägten das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben der Stadt entscheidend mit. Doch 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, endete der Traum vom Zusammenleben. Wer nicht rechtzeitig emigrieren konnte, wurde in Konzentrationslager verschleppt.
Anfangs, so der Konstanzer Museumsleiter Tobias Engelsing, sei man schon ein wenig skeptisch gewesen, ob die Suche nach Erinnerungsstücken für die Ausstellung erfolgreich sein würde: „Wir haben die uns bekannten Adressen angeschrieben, darunter die von noch lebenden Emigrierten und ihrer Kinder und Enkel“. Doch auf Reaktionen musste man nicht lange warten, denn aus allen Teilen der Welt kam per Post oder Internet Zuspruch von jüdischen Familien, deren Vorfahren einst in Konstanz gelebt hatten. Die meisten zeigten sich dankbar über die geplante Ausstellung: „Es ist schön, dass die Schicksale unserer Familien nicht vergessen wurden und wir werden alles tun, um Euch zu helfen“. Und nur wenig später trafen die ersten Kisten mit Erinnerungsstücken am Bodensee ein: Tagebücher, Briefe, Fotos, Textilien, Schmuck und vieles andere mehr.
Beklemmende Momente
Bei der Sichtung des eingegangenen Materials, so Engelsing, habe man mehrmals „ starke Momente der Rührung“ erlebt, wie beispielsweise beim Anblick eines kleinen Lederetuis: „Da waren Konstanzer Hausschlüssel drin. Die Familie musste ihr Haus verkaufen, natürlich zu einem Dumpingpreis, wie das damals bei der sogenannten Arisierung üblich war. Einen Schlüssel haben sie, als sie ihr Haus zum letzten Mal abgeschlossen haben, zur Erinnerung mitgenommen“. Oder beim Lesen des Tagebuches eines Jungen, der notiert hatte: „Jetzt ist es soweit, wir verlieren unsere Heimat, wir dürfen nicht mehr in die Schule, heute habe ich meinen letzten Schultag gehabt“. Beklemmung machte sich bei den Ausstellungsmachern breit, als sie ein Sommerkleid in Händen hielten, das die Mutter einer heute noch lebenden Emigrierten trug, als sie Konstanz verlassen hat.
Die Rolle der IHK
Über die Arisierung jüdischen Eigentums gibt es im Konstanzer Stadtarchiv keinen Quellenbestand. Engelsings Vermutung: „Der ist wohl nach 1945 gesäubert worden, um die belasteten Neueigentümer zu entlasten. Die Arisierung in Konstanz ist bisher ein dunkles Kapitel“. Fündig wurde man hingegen beim baden-württembergischen Wirtschaftsarchiv und stieß dabei auf Akten der Industrie- und Handelskammern (IHK). Deren Gutachter spielten während der NS-Zeit eine wichtige, aber auch schmutzige Rolle bei der Enteignung jüdischen Eigentums. 1933 gab es laut Recherchen von Engelsing in Konstanz 46 Gewerbe jüdischer Inhaber, meist Einzelhandelsunternehmen, aber auch kleinere Handwerksbetriebe und Verlage, Arztpraxen und Anwaltskanzleien. Jüdische Inhaber, denen frühzeitig klar geworden war, dass sie keine Zukunft mehr haben würden im NS-Staat, konnten noch zu halbwegs akzeptablen Konditionen ihr Eigentum verkaufen, aber auch nur dann, wenn sie auf faire Interessenten trafen.
Zynische Schnäppchenjagd
Aber schon ab 1934 änderte sich das, der Druck auf die jüdische Bevölkerung wurde stärker, und wer sein Hab und Gut veräußern wollte, bekam in der Regel nur noch einen Spottpreis dafür. Fachleute von der IHK, meist Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, schätzten das jüdische Vermögen und oft genug fiel dabei sinngemäß der Satz: „Das Judengeschäft ist ja nichts mehr wert, der Umsatz ist seit 1933 drastisch eingebrochen“. Engelsings Fazit: „Auch in Konstanz setzte schnell eine Art Schnäppchenjagd ein, die ab 1937 vom badischen Staat nach Kräften gefördert und unterstützt wurde. Während man anfangs den zur Emigration entschlossenen Juden, die dadurch aber unter großem Zeitdruck standen, einen Gutteil ihres Vermögens gelassen hat, wurden in der Folgezeit die Abgaben und Steuern derart erhöht, dass viele vormals vermögende Familien ihre Heimat als arme Kirchenmäuse verlassen mussten“. Und manchen sind als letzte Erinnerung eben nur noch ihre Hausschlüssel geblieben.
Einige jüdische Familien harrten in Konstanz aus, hoffend, der NS-Spuk würde bald ein Ende haben. Sie täuschten sich und bezahlten diese Fehleinschätzung mit ihrem Leben. Vor 75 Jahren, im Oktober 1940, wurden 112 Konstanzer Juden nach Gurs, die meisten von ihnen später in die Vernichtungslager Auschwitz und Majdanek, deportiert. Auch Briefe von dort werden in der Ausstellung zu sehen sein, dazu Paketzettel mit dem lapidaren Vermerk: „Zustellung nicht mehr möglich“.
Politprominenz glänzt durch Abwesenheit
Eröffnet wird die Ausstellung mit einer Gedenkfeier am kommenden Mittwoch um 19 Uhr im Oberen Saal des Konzilgebäudes, bei der auch der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman eine Rede halten wird. Eingeladen wurden alle Oberbürgermeister und Bürgermeister aus dem Landkreis Konstanz, darunter auch einige, in deren Städten früher jüdische Gemeinden existierten. Doch der Rücklauf war bescheiden und Tobias Engelsing kann seinen Ärger darüber auch gar nicht verhehlen: „Fast die gesamte politische Prominenz hat abgesagt. Würden wir aber eine Ausstellung über gutes Essen am Bodensee machen, dann wären die alle da“.
Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung. 16. Juli bis 30.12.2015 im Kulturzentrum am Münster. Öffentliche Führungen jeden Dienstag ab 16 Uhr. Führungen für Schulklassen und Jugendliche jederzeit auf Anfrage. Kontakt: Dr. Lisa Foege, Telefon: 07531-900 851 oder per Mail: lisa.foege@konstanz.de
Bildnachweis: Die Fotografien wurden uns freundlicherweise vom Rosgartenmuseum überlassen. Das Teaserbild ganz oben zeigt die Kinder der Familien Veit und Schatz beim Sonntagsspaziergang im Konstanzer Hafen. Das zweite die Passpapiere der Familie Levinger mit dem 1938 eingeführten „Judenstempel“, einem gelben „J“ im Inneren und einem schwarzen „J“ auf der Kennkarte. Auf dem dritten Bild (zum Vergrößern auf das Bild clicken) ist unter anderem das Geschäftshaus des kurz vor Kriegsbeginn emigrierten Hemdenherstellers Iwan Leib zu sehen. Es wurde 1940 beschlagnahmt und arisiert. 1948 forderte Leib seinen ehemaligen Besitz mit Erfolg zurück.
H. Reile