Flüchtlingspolitik: Gemeinderat macht Dampf
Das hatten sich der Oberbürgermeister und seine Mannen von der Verwaltungsspitze ganz anders vorgestellt. Sie wollten sich schwerpunktmäßig in den nächsten Monaten mit der Suche nach Grundstücken und Räumlichkeiten für Gemeinschaftsunterkünfte befassen und dafür die unmittelbar anstehenden Anschlussunterbringungen in Egg und am Zergle in Wollmatingen „vorerst“ zurückstellen und die Bürger erst einmal ausführlich konsultieren. Dafür wurden sie vom Gemeinderat kräftig abgewatscht.
Das Thema Flüchtlingsunterbringung kocht angesichts explodierender Flüchtlingszahlen hoch, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Stadt Konstanz die ganze Angelegenheit auf die lange Bank schieben will, um unter Verweis auf fehlende Unterbringungsmöglichkeiten möglichst wenige Flüchtlinge beherbergen zu müssen. Während andere Gemeinden des Landkreises ihr Soll übererfüllt haben, liegt die Stadt Konstanz in Sachen Flüchtlinge weit zurück, und das gibt die Verwaltung in ihrer Vorlage auch unumwunden zu: „In einer Mail vom 13. Juli 2015 teilt das Landratsamt mit, dass derzeit 336 Flüchtlinge in Konstanz in zwei Unterkünften [Steinstraße und Atrium] untergebracht sind. Bis Ende 2015 muss Konstanz insgesamt 694 Flüchtlinge aufnehmen.“ Das heißt, es fehlen bis Jahresende in Konstanz weitere 358 Plätze.
Gemeinschaftsunterbringung versus Anschlussunterbringung
Um die teils heftige Debatte im Gemeinderat zu verstehen, muss man wissen, dass es zwei Typen der Flüchtlingsunterbringung gibt: In Gemeinschaftsunterkünften (wie etwa in der Steinstraße) erfolgt die Erstunterbringung von Flüchtlingen, für die zwar der Landkreis zuständig ist (= zahlen muss), für die die Kommunen dem Landkreis aber zuarbeiten, indem sie beispielsweise Immobilien vorschlagen und an den Landkreis vermitteln oder vermieten. Das sind Objekte, in denen mindestens 40 Personen untergebracht werden können. Pro Flüchtling besteht ab 2016 ein Anspruch auf 7m² zuzüglich der Flächen für gemeinschaftliche Sanitär- und Küchenbereiche. Flüchtlinge sind verpflichtet, bis zur Entscheidung über das Asylverfahren in diesen Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Der Landkreis wird jetzt Turnhallen als Gemeinschaftsunterkünfte nutzen, so groß ist die Not.
Sobald eine Entscheidung über den Status der Flüchtlinge getroffen wurde, oder wenn die Asylsuchenden 24 Monate in der Gemeinschaftsunterbringung gelebt haben, dürfen sie dort ausziehen. Jede Gemeinde des Landkreises hat dafür je nach ihrer Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen und ist für diese Anschlussunterbringung selbst zuständig. Aufgrund der Situation auf dem Wohnungsmarkt ist es meist unmöglich, für Flüchtlinge eine Wohnung zu finden. Die Gemeinde muss daher für die Flüchtlinge oft selbst Wohnraum suchen oder bauen. Dies können Einzelwohnungen, aber auch Wohnkomplexe oder ähnliches sein. Die Gemeinde hat also ein Problem.
Die Stadt Konstanz hat für eine solche Anschlussunterbringung bisher das Zergle und einen Platz in Egg ins Gespräch gebracht. Dafür hat das Land Fördergelder von 1.071.000 Euro am Zergle und 677 250 Euro in Egg zugesagt. Diese Förderung ist gesichert, wenn der erste Spatenstich für die jeweiligen Projekte am 1. März 2016 getan wird, aber Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn philosophierte schon über eventuelle Verlängerungsmöglichkeiten, was nichts Gutes verheißt.
Will sich die Stadt drücken?
Wie gesagt: Die Verwaltung wollte jetzt erst einmal verstärkt nach Gemeinschaftsunterkünften (für den Landkreis) und erst dann irgendwann nach individuelleren Anschlussunterkünften suchen, um den eigenen Pflichten nachzukommen, statt beides gleichzeitig voranzutreiben. Weshalb eigentlich in dieser Reihenfolge? Warum nicht beides gleichzeitig oder die Anschlussunterbringung, die doch ureigenste Aufgabe der Stadt ist, zuerst? Weshalb also diese beiden Projekte Egg und Zergle „vorerst“ zurückstellen und erst einmal ausgiebige Konsultationen mit den Bürgern durchführen?
Die Stadtoberen führten ihre persönliche brutale Arbeitsbelastung sowie Personalengpässe an – ausgerechnet jene Herrschaften also, die am Personal sparen, wo es geht, außer natürlich, wenn es sich um Schickimicki-Fummel wie duale Karrieren oder Kongresshäuser handelt, für die immer wieder bestens dotierte Stellen vom Himmel fallen.
Der (tatsächlich überarbeitete) Sozialbürgermeister Andreas Osner beklagte, dass er mittlerweile 33% seiner Arbeitszeit für Flüchtlingsfragen aufwenden müsse, obwohl er auch noch Schulen, Sport und viele andere Themengebiete am Halse habe. Er lasse sich bisher auch noch in den als Standort vorgesehenen Ortsteilen von den Menschen verbal verhauen und wolle deshalb die Menschen mitnehmen, denn man komme in dieser Frage nicht mit dem Kopf durch die Wand.
Oberbürgermeister Uli Burchardt behauptete, die Stadt kriege das nicht gebacken, schlichtweg aus Mangel an Manpower (die er selbst zu verantworten hat, was er aber zu erwähnen vergaß) und bejammerte die „Kriegsgewinnler“, die Container für 20 Flüchtlinge für 10.000 Euro Monatsmiete anböten (Zwischenruf Holger Reile von der LLK: „Das stimmt doch nicht“). Man darf beim wirtschaftswarmen Uli Burchardt allerdings getrost vermuten, dass er es als Vermieter von Containern nicht anders hielte.
Warum das alles?
Hmmm, eine gute Frage. Die Stadtverwaltung: Guten Willens, aber heillos überlastet. Die Flüchtlinge: Herzlich willkommen, aber zu zahlreich und zudem noch gänzlich unangemeldet. Der Wohnungs- und Grundstücksmarkt: Leer, zumindest für Schlecht- oder Normalbetuchte. Die Bürger: Guten Willens, aber man muss mit ihnen doch erst mal ein paar Monate lang reden, weil vor ihrer eigenen Haustür, Ängste und so.
Ist es diese Gemengelage, die die Stadtoberen zu sehr belastet, als dass sie gleichzeitig beide Unterbringungsmöglichkeiten, Gemeinschafts- und Anschlussunterkünfte, vorantreiben könnten?
In der Vorlage für den Gemeinderat findet sich ein verräterischer Satz: „Der Landkreis unterscheidet bei den zu belegenden Plätzen nicht nach Anschlussunterbringung und Erstaufnahme. […] Die Stadt Konstanz müsste zum Ende des Jahres insgesamt 694 Flüchtlinge/Asylbewerber in Unterkünfte aufnehmen.“ Und dabei ist es egal, ob sie die Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterbringung oder Anschlussunterbringung verfrachtet. Und da ist die Gemeinschafts(massen)unterbringung natürlich die einfachere Lösung, zumal die der Landkreis an der Backe hat. Aber das sagt so natürlich niemand in Konstanz. Da ist Arbeitsüberlastung ein viel sympathischerer Beweggrund.
Wie auch immer, um Motive ging es dem Gemeinderat am Donnerstag nicht, als er der Verwaltung – mit Verlaub – kräftig in den Arsch trat. Nach beinahe zweistündiger Diskussion, in der Christiane Kreitmeier (FGL) gleich mehrere Sternstunden hatte („Herr Osner, wenn 33% ihrer Arbeitszeit für die Flüchtlinge nicht reichen, dann arbeiten Sie doch mehr“), wurde trotz sinistrer Drohungen des Oberbürgermeisters („wenn Sie das beschließen, müssen wir mehrere andere Projekte sterben lassen“) beschlossen, dass 1. die Verwaltung gefälligst gleichzeitig Anschlussunterbringung und Gemeinschaftsunterbringung vorantreiben soll, dass 2. spätestens am 1. März 2016 im Zergle und in Egg (wo auch immer dort) Baubeginn für die Anschlussunterbringung sein soll und dass es 3. gleichzeitig 50 000 Euro für jene Bürgerkonsultation gibt, für die die Stadt kein Personal hat – da fragt sich doch: Warum lässt man eigentlich die Integrationsbeauftragte Elke Cybulla so konsequent außen vor?
Eine schlanke Verwaltung ist, scheint’s, schnell mit humanitären Aufgaben wie mit mehr Bürgerbeteiligung überfordert. Und die Klatsche, die sie sich eingefangen hat, haben zumindest Teile der Verwaltung in diesem Fall aus humanitären Gründen redlich verdient.
O. Pugliese
Eine Sternstunde von Frau Kreitmeier ist es wohl auch, weil sie ihr Verständnis von Bürgerbeteiligung erklärt: „Konsultationen im Sinne von Hören ja, aber nicht von am Ende auch eine Bebauung verhindern zu können. Bei diesen ganzen Gesprächen muss ganz klar sein, …, es wird diese Bebauung geben.“ Das ist dann wohl der offene Dialog, den sie mit den Bürgern sucht.
@JensLöffler, manchmal hat man wirklich den Eindruck, da sitzen ein paar wenige in der Verwaltung, die die Bürger bewusst auf die Palme bringen wollen. So schafft man keine Willkommenskultur, sonder man gibt sich Mühe das Gegenteil zu erreichen.
“ – mit Verlaub – kräftig in den A… trat“:
Was dabei die Mehrheit des Gemeinderates leider übersehen hat:
Sie schlug damit auch einer Vielzahl Bürger mitten ins Gesicht.
Bürger, die eben nicht gesagt haben: „Flüchtlinge ja, aber nicht bei uns…“, sondern sich schlau gemacht haben in der Thematik bei Verbänden, Initiativen und dem Landratsamt und mit der Stadt einfach darüber ins Gespräch kommen wollten. Bürger, von denen sich einige schon jetzt für Flüchtlinge engagieren …
Alle Fragen an die Verwaltung und die Bürgermeister seit der Bürgeranhörung vom 9.6. blieben unbeantwortet, alle Terminanfragen wurden abschlägig beschieden oder wieder abgesagt mit Verweis auf das laufende Verfahren und das in der Gemeinderatssitzung ohnehin nichts beschlossen würde. Es wurde zahlreiche Alternativen vorgeschlagen, gebeten mit anderen Gemeinden ins Gespräch zu kommen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben (mit Wohnungsmarktsituationen analog Konstanz!) etc. – keinerlei Reaktion!
Der Gemeinderat hat sich vorher 2 Stunden Zeit genommen über Pappeln zu reden… es gab Ortstermine, Expertenanhörungen etc. und monatelange Diskussionen.
Die Diskussion über Flüchtlinge und deren Unterbringung hatte im Vergleich viel weniger Aufmerksamkeit bekommen: keine Ortstermine des GR oder von Ausschüssen, keine Experten, kein Austausch mit den Bürgern. Hier läuft schon beim Vorgehen und der Gewwichtung etwas falsch, egal wie man das Ergebnis der Abstimmung bewertet!
Im letzten Beschluss wurden für ein sogenanntes „Konsultationsverfahren“ € 50.000 leichterhand (ich weiss, immerhin die Linken haben wohl dagegengestimmt) genehmigt.
Was das genau bedeuten soll, erschliesst sich mir auch nach meiner Rückfrage in der Bürgerfragestunde leider nicht.
Warüber soll in einem Konsultationsverfahren mit den Bürgern noch gesprochen werden?!?
Und wozu braucht man dafür € 50.000?
Wenn es nur darum geht, ob in Egg und im Zergle Schwarz- oder Hybridpappeln als Begrünung dienen sollen, um ein letztes Mal das „Tägermoos“ zu bemühen, dann verzichten die meisten glaube ich gerne. Das Geld wäre besser nicht ausgegeben oder in der Flüchtlingsarbeit besser angelegt!
Meiner Meinung nach dient es jedoch nur für die Beruhigung der GR-Mitglieder: So kann man sagen, man hätte die Bürger konsultiert… auch wenn das Abstimmungsverhalten das Gegenteil beweisst.
Solange Egg seinen im Gemeinderat bestens vernetzten Spielplatzanwohnerverein (aka „Bürgergemeinschaft“) hat, wird wohl in der Egger Pampa gebaut. Weit weg von allen Eggern und weit weg von jedweder Möglichkeit einer Integration in die Dorfgemeinschaft. Schade. Da hätte ich mir mehr vom Gemeinderat erhofft als dieses An-den-Rand-Geschiebe.