Frau Nahles und Matrix 4.0
Man hatte fast den Eindruck, dass man zu gewissen „Auserwählten“ zählt, wenn man den Weg in die Veranstaltung „Gut leben, gut arbeiten“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gefunden hat. Zunächst musste man auf den eher spärlich beworbenen Bürgerdialog mit Ministerin Andrea Nahles erst einmal aufmerksam werden, um sich dann online unter Angabe persönlicher Daten und der Beantwortung zweier inhaltlich einführender Fragen anzumelden und schließlich an einen für viele Konstanzer eher unüblichen Veranstaltungsort, die Mensa der Universität, zu fahren.
Dort bot sich ein eindrucksvoller Empfang. Schon am Eingang eine Dame im schwarzen Hosenanzug, die ein Schild mit dem Titel der Veranstaltung in Händen hält und nett lächelt. Wenige Meter weiter wieder eine junge Frau, diesmal ohne Schild, die verbal sowie gestikulierend den Weg weist, wenn man orientierungslos dreinschaut. Schließlich werden an einem Stehtischchen vor der Mensa Armbändchen an die Besucher ausgeteilt, wie im All-Inclusive-Hotel oder bei einem Konzert, nur, dass das Tragen dieses Bändchens weit weniger cool ist als der Einlass zu Rock am Ring. Es wirkt vielmehr Möchtegern-cool, Möchtegern-jung. Auch hier wieder ein netter Herr – im schwarzen Anzug.
Überall schwarze Anzüge
Auf der Treppe vor dem Raum steht breitbeinig der nächste Mann. Naja, wie er gekleidet war, dürfte nicht schwer zu erraten sein. Ansonsten sind wenige Leute in Zivil unterwegs. Das ganze sieht nach einem schlechten Science-Fiction-Film aus, einerseits hochprofessionell, andererseits deplatziert und übertrieben. Fast erwartet man die obligatorischen Bodyguards mit Knopf im Ohr. Mit der Bestuhlung wurde weniger übertrieben. Offenbar wurden nicht einmal so viele Stühle aufgestellt, wie sich Leute angemeldet hatten. Ansonsten wurde an schwerem Geschütz nicht gespart: Kamerateam, Scheinwerfer, Großbild-Fernseher, Mischpult. Eine Ausstattung, wie sie sich die Universität leider nur wünschen kann.
Nach zwei kurzen und knackigen Einführungsstatements von Kulturbürgermeister Andreas Osner und Andrea Nahles geht er dann endlich los, der Bürgerdialog. Herr Hölzl, der Chef der Konzilsgaststätte, erkundigt sich, wie er am besten seine Mitarbeiter länger als 10 Stunden pro Tag beschäftigen kann – selbstverständlich am Stück und nur die ‚Führungskräfte‘. Ob so lange Arbeitszeiten womöglich unmenschlich sind, scheint ihn nicht besonders zu interessieren. Frau Nahles gibt bereitwillig Auskunft über Sonderregelungen für das Gastgewerbe und deutet an, dass zwar die Höchstarbeitszeit nicht zur Debatte steht, sie allerdings die Ruhezeitenregelung für hinfällig hält. Industrie 4.0 bedarf nun mal auch einer flexibilisierten Arbeitswelt 4.0, wenn’s sein muss auch auf Kosten der ArbeitnehmerInnen.
Eine Altenpflegerin meldet sich zu Wort und beschwert sich – zu Recht – über die schlechte Arbeitssituation im Pflegesektor. Auch eine Bereichsleiterin des Konstanzer Jobcenters plädiert für eine bessere Finanzierung, um für die „Kunden“ eine gute Betreuung gewährleisten zu können. Forderungen nach BAföG für alle oder bedingungslosem Grundeinkommen werden laut. Es geht um selbstfahrende Autos und Kinder, die aufgrund des G8 keine Zeit mehr für Mußestunden haben.
„Ganz ehrlich gesagt“
Abgesehen davon, dass einige Wortmeldungen in Bezug auf das Ressort der Ministerin glatte Themaverfehlungen waren, schlägt diese sich mit ihren Antworten recht wacker. Auf den ersten Blick zumindest. Sie lacht viel und gibt sich ganz als rheinische Frohnatur. Zwischendurch fallen oftmals Phrasen wie „ehrlich gesagt“, „ganz offen“, „das sage ich jetzt nicht als Ministerin“, „ich will mich hier nicht mit…prügeln“. Zwar beteuert die Ministerin immer wieder, sich den genannten Problemen selbstverständlich anzunehmen. Allerdings fällt auf: Im gesamten Raum gibt es niemanden, der computerschriftlich oder per Hand besonders bedeutende Anregungen dokumentiert. Ob der Podcast der Dokumentation dienlich ist, darf bezweifelt werden. Das Ganze suggeriert etwas zwischen „Volksnähe“ und klassischen Rückziehern, die im Prinzip nichts anderes heißen wollen als: „Das nehme ich mit“. Das kommt dem politiknahen Konstanzer irgendwie bekannt vor…
Nach circa einer dreiviertel Stunde verkündet die Moderatorin, die im Übrigen nicht in der Lage war, die Wortmeldungen der Reihe nach aufzurufen, geschweige denn überhaupt alle zur Kenntnis zu nehmen, obwohl ein Team aus mehreren AnzugträgerInnen zur Unterstützung bereit gestanden hätte, dass Frau Nahles nun bald wegmüsse und dies die letzten Redebeiträge seien. Eine Stunde Bürgerdialog ist dann wohl doch ein wenig knapp bemessen, angesichts der vielen Menschen, die gerne noch etwas geäußert hätten. Tatsächlich besuchen etwa 100 Gäste die Gesprächsrunde, in etwa das Vierfache des mitgereisten Stabes. Naja, die dürfen sich dann immerhin damit begnügen, ihre Anregungen auf schicke Postkarten zu schreiben und abzugeben. Die werden nämlich auf jeden Fall mitgenommen und alle durchgelesen. Zumindest gibt es als krönenden Abschluss noch Häppchen vom Seezeit-Catering, was leider angesichts der Qualität der Mensa-Küche allein nicht ausreicht, um’s rauszureißen.
Kurz und gut: Nette Idee, schlechte Umsetzung. Von dem Geld, das Frau Nahles Flug (!) hierher und wieder zurück nach Berlin, die Anzugträger und der ganze andere technische Schnickschnack gekostet haben, könnte man in Anbetracht der Tatsache, dass das an vielen anderen Orten in Deutschland auch noch so geplant ist, gleich eine ordentliche Bevölkerungsbefragung durchführen. Diese wäre dann auch wirklich repräsentativ und würde nicht nur die Einzelschicksale ein paar „Auserwählter“ beinhalten. Am Ende der Veranstaltung wurde bereits gemunkelt, wie ernst die Ministerin das wohl genommen haben mag und ob diese Inszenierung à la Matrix nicht doch eher eine Form von „Volksbeschwichtigung“ darstellt.
Carla Farré