Das Boot ist auch in Konstanz nicht voll
Die Linke Liste wendet sich mit einem Brief an OB Uli Burchardt, in dem sie dessen jüngst bekannt gewordenen Äußerungen widerspricht, Konstanz könne keine weiteren Flüchtlinge mehr unterbringen. Sie fordert in dem Schreiben weiter, die Stadtverwaltung müsse angesichts der Flüchtlingskrise in der Wohnungspolitik endlich umsteuern. Die soziale Schieflage des Handlungsprogramms Wohnen erfordere mehr denn je eine Korrektur. Der Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
laut einem Medienbericht haben Sie bei einer Zusammenkunft von Kommunalpolitikern im Landkreis Konstanz geäußert, Sie sähen angesichts des zu erwartenden Zuzugs von Geflüchteten für Konstanz „nur die Chance der Aussiedlung der Flüchtlinge ins Umland“, da in der Stadt eine weitere Verdichtung nicht möglich sei.
Dem widerspricht die Linke Liste Konstanz energisch. Sollte damit angedeutet werden, welche Linie Sie der Konstanzer Verwaltung künftig für den Umgang mit Geflüchteten vorgeben wollen, die gezwungen sind, bei uns Schutz zu suchen, so halten wir das für vollkommen inakzeptabel. Nicht nur, dass eine solche Position von einer unsolidarischen Missachtung der Anstrengungen zeugt, die andere Kommunen im Kreis unternehmen, um die Hilfesuchenden aufzunehmen. Sie lenkt unserer Überzeugung nach vor allem auch davon ab, dass die Konstanzer Verwaltung längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um die anstehenden Aufgaben bei der Flüchtlingsunterbringung zu erledigen.
Nicht nur die LLK hat seit langem immer wieder darauf hingewiesen, dass – angesichts der Zunahme wirtschaftlicher Verheerungen und militärischer Abenteuer, an denen auch die Bundesrepublik beteiligt ist – die brutale Abschottungspolitik der EU zum Scheitern verurteilt ist. Die jetzige Krise kommt also keineswegs überraschend. Richtig ist, dass der Bund und das Land die Kommunen in der Flüchtlingspolitik seit Jahren völlig verantwortungslos im Regen stehen lassen, finanziell, logistisch und personell. Energischen Protest dagegen haben wir aber in Konstanz nicht vernommen, weder von der Stadtspitze noch von den bürgerlichen Mehrheitsfraktionen im Gemeinderat, deren Parteifreunde in Stuttgart und Berlin diese desaströse Politik zu verantworten haben. Daran hat sich bis heute wenig geändert; die beschlossene Aufstockung von Bundes- und Landesmitteln, zu der sich Spitzenpolitiker unter dem Druck der Elendsbilder genötigt sahen, reicht bei weitem nicht aus.
Ungeachtet dessen hat die wohlhabende Stadt Konstanz jedoch durchaus noch Spielräume. Um sie zu nutzen, ist für die Linke Liste vor allem ein Umsteuern in der Wohnungspolitik nötig. Denn die Flüchtlingskrise verschärft nur ein schon lange bestehendes Problem: Es mangelt an erschwinglichem Wohnraum. Die LLK hat deshalb immer wieder darauf hingewiesen, dass das beschlossene „Handlungsprogramm Wohnen“ eine deutliche soziale Schieflage aufweist. Konstanz fehlen vor allem Wohnungen für Menschen mit niedrigen Einkommen. Die LLK fordert in der jetzigen Lage deshalb, dass dieses Programm aufgeschnürt und die Akzente deutlich anders gesetzt werden: Die Stadt muss vor allem in den sozialen Wohnungsbau investieren, um die gestiegene Nachfrage nach günstigem Wohnraum zu befriedigen. Eine solche Kurskorrektur in der Wohnungspolitik ist aus unserer Sicht nicht nur überfällig, sondern gleichzeitig auch ein Mittel, um nationalistischen und rassistischen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen, die die Krise nutzen wollen, um arme Leute gegen noch ärmere aufzuhetzen.
Darüber hinaus fordern wir:
- Die Verwaltung muss endlich weit energischer als bisher gegen Leerstand vorgehen. Es kann nicht sein, dass in der jetzigen Lage Wohn- oder Gewerberäume als Spekulationsobjekte benutzt werden, um private oder institutionelle Gewinne zu maximieren.
- Alle in Frage kommenden Flächen bzw. Gebäude müssen auf ihre Tauglichkeit geprüft werden. Das gilt nicht nur für städtische Liegenschaften, auch Bundes-, Landes-, kirchliche und private Einrichtungen sind einzubeziehen.
- Für bestehende bzw. neu zu schaffenden Unterkünfte hat der Grundsatz zu gelten: so dezentral wie möglich, so umfangreich wie nötig. Sammelunterkünfte sollten die Ausnahme bleiben, wo immer realisierbar fordern wir eine dezentrale Unterbringung, die soziale Mindeststandards gewährleistet und in die örtliche Infrastruktur eingebunden ist.
- Die bisherige Praxis der Verwaltung, die Planungen weitgehend hinter verschlossenen Türen voranzutreiben und die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist nicht akzeptabel. Die Größe der Aufgabe macht es unumgänglich, die BürgerInnen in die Diskussion um die Flüchtlingsunterbringung einzubeziehen. Das gilt natürlich auch für zivilgesellschaftliche, gewerkschaftliche und karitative Gruppierungen und Einrichtungen.
- Angesichts der zu bewältigenden Aufgaben halten wir eine weitere Personalaufstockung in den involvierten Abteilungen der Stadtverwaltung für unumgänglich. Die Integration der Flüchtlinge ist Aufgabe der Stadt, der sie gegenwärtig nur recht und schlecht nachkommen kann und auch das nur, weil es ein breites ehrenamtliches Engagement der Bevölkerung für die Flüchtlinge gibt.
- Die Stadt muss, über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus, ein Integrationsprogramm für die NeubürgerInnen erarbeiten, das es den Betroffenen ermöglicht und erleichtert, am gesellschaftlichen Leben in Konstanz teilzuhaben.
Mit freundlichen Grüßen,
Anke Schwede, Holger Reile
Linke Liste Konstanz
Frank Hämmerle:
„Politik beginnt mit dem Erkennen der Realität. Man darf die Menschen nicht anlügen“
H. Pschorr, wo leiten sie denn ab, dass ich die neuen und alten Sozialgruppen gegeneinander ausspielen will? Ihnen passt die Realität nicht, auf die ich aufmerksam machen möchte. Ihren Vorsatz auch viele zusätzliche Wohnungssuchenden im unteren Mietsektor zu helfen, kann man menschlich sehr begrüßen, doch erklären sie real, wo und wie sie für 1000 Menschen und deren Familiennachzug zusätzliche bezahlbare Wohnungen herbekommen wollen, wenn noch nicht mal der bisherige Bedarf gedeckt werden konnte. Wie wollen sie denn die anstehenden Sozialkonflikte lösen? Es geht nicht um Slogans, sondern um das Realitätsfremde in ihrer Partei, dass den Wunsch allen Bedürftigen mit günstigen Wohnungen zu versorgen leider nicht aufgehen kann. Leider lässt sich ihr „politischer Wille“ nicht umsetzen, da bauen sie erneut Luftschlösser. Wie bitte, „Profit auf deren Kosten“ und „Realdenker“, wie passt das zusammen? Realismus ist erst mal was theoretisches und darüber diskutieren wir.
Gerd J. Mörsch
Einfacher Bürger in Konstanz
Sehr geehrter Herr Moersch,
Der Einzige, der sich aktuell blamiert, sind Sie, der Sie vor dem Angesicht des Leides der ankommenden Flüchtlinge versuchen, Armut auf der einen und auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen. Den Slogan „Die Flüchtlinge nehmen uns dies und das weg“ hören wir in Deutschland schon lang genug. Richtig war er noch nie. Mit politischem Willen können wir sowohl den Wohnungsmarkt verbessern als auch Flüchtlinge unterbringen. Wer dabei dann aber auch noch Profit auf deren Kosten machen will – also ein Realdenker sein – der wird scheitern. Realismus ist gern das Argument derer, die anstatt anzupacken, den status quo ante akzeptieren wollen.
Gruß
Simon Pschorr
Landtagskandidat Die Linke
@Helmut Dietrich: Ich zerstöre ungern Illusionen, schliesslich braucht man hin und wieder etwas, von dem man träumen oder das man fürchten kann. Aber bezüglich der Zustände auf dem Schweizer Wohnungsmarkt muss ich jetzt doch … Auch wenn es zwischen den Kantonen Unterschiede gibt, ein paar Dinge gibt es, die schweizweit gelten. 1. Der Staat macht in der CH durchaus Vorschriften, was den Wohnungsbau und Mietverhältnisse angeht. 2. Eine dieser Vorschriften besagt, dass Umnutzungen den Gemeinden gemeldet und von diesen genehmigt werden müssen (falls die Umnutzung zulässig ist). 3. Mietpreise sind nicht völlig frei gegeben. Mieter können vor (gesetzlich vorgeschriebene) Mietschlichtungsstellen ziehen, wenn die Mieten die ortsübliche Höhe überschreiten (falls sie siegen, geniessen sie für eine Weile einen Kündigungsschutz). 4. Der Bund legt einen Referenzzinssatz fest, an dem sich die Miethöhen orientieren (müssen). Sinkt dieser, haben die Mieter Anspruch auf eine Mietsenkung, steigt er, dürfen die Mieten im entsprechenden Rahmen erhöht werden. 4. Es gibt durchaus öffentlichen Wohnungsbau, wobei sich dessen Häufigkeit vor allem an den Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt richtet: Er ist in Städten häufiger als auf dem Land. Ausgerechnet in der Stadt Zürich (nicht im ganzen Kanton) gibt es zahlreiche Wohnungen, die der Stadt gehören und deren Mieten sich mehrheitlich im unteren Zürcher Marktsegment bewegen (das Selbe gilt für die Städte Bern und Basel). Darüberhinaus gibt es diverse gemeinnützige Genossenschaften und es gibt Wohnviertel, bei denen die Stadt ZH beim Bau Vorschriften macht – beispielsweise indem die Bewohner aufs Auto verzichten müssen (schreiben Sie das mal in D vor…). 5. Wohngeld gibt es nicht bzw. nur insofern als bei Sozialhilfeabhängigen die Miete in die Berechnung der Sozialhilfe mit einfliesst (Miete+Sozialhilfesatz).
Das Fehlen jeglicher staatlicher Regelungen im Wohnungsbau oder bei Mietverhältnissen in der Schweiz, ist also eine Mär. (Abgesehen davon, gilt die Mietpreisbremse in Deutschland bekanntlich auch nicht überall)
Nein, neoliberal ist der Wohnungsmarkt beim besten Willen nicht, sondern einer der am stärksten regulierten Märkte:
Mietpreisbremse, Umwandlungsverbot, Kündigungsschutz, sozialer Wohnungsbau, Wohngeld sprechen eine andere Sprache. All das gibts z. B. in der Schweiz nicht, mit der Folge dass in Zürich m2 – Preise von 20-30 sfr völlig normal sind.
Aber hier und dort : Es ist ein Markt, und die Nachfrage wird im attrakiven Konstanz in jedem Preissegment das Angebot immer übersteigen, egal wieviele neue Wohnungen hinzukommen. Weder die Neubauten am Seerhein noch die in Petershausen haben zu einer spürbaren Entlastung geführt.
Ja Herr Geiger, hab mir schon gedacht, dass jetzt persönliche Angriffe kommen und ich nun auch ein „rassistischer Brandstifter“ bin. O-Ton der LLK? Hinterfragungen können ja so leicht mit diesen Vorwürfen abgewehrt werden um Realdenker mundtot zu machen. Es ist ziemlich naiv und einfach sich so die Leute vom Leib zu halten, die es wagen Kommentare und Stellungnahmen nicht ihrer Linie entsprechend zu kommentieren. Ich habe nicht erwartet, dass besonders sie meine Einstellung teilen. Zur Stärkung ihrer Argumente brauchen sie Zahlen um ihre Kompetenz aufzuwerten, wobei die Zahlen überhaupt nichts mit der Sache zu tun haben. Selbst „100“ Neubürger verstärken die Kommunale Probleme, die bei der Suche nach bezahlbaren Wohnraum vorhanden sind. Aber es sind nicht nur 100. Natürlich gibt es für ihre Einstellung immer Schuldige, die hier die sogenannte „neoliberal dominierte Lokalpolitik“ ist. Den Slogan kenne ich doch schon aus ihren wilden 70Jahren. Es ist sehr widersprüchlich, wenn die LLK lange schon bezahlbarer Wohnraum einfordert, aber jetzt Wunder geschehen sollen, um zusätzliche 1000 Neubürger auf die Schnelle unterzubringen. Bleibt auf dem Boden und blamiert euch nicht.
Gerd J. Moersch
Sehr geehrter Herr GJM, ziemlich schrill und vor allem gänzlich schräg finde ich lediglich die Beharrlichkeit, mit der Sie versuchen, geradezu krampfhaft Flüchtlinge gegen „Einheimische“ in Stellung zu bringen. Solche Töne liegen ganz auf der Linie der Leute, die gegenwärtig landauf, landab als rassistische Brandstifter unterwegs sind – und das nicht nur verbal.
Dazu kommt, dass der von Ihnen behauptete Widerspruch sich gerade für Konstanz an der Realität blamiert. Laut städtischer Statistik („Konstanz in Zahlen 2015“) sind nämlich 7167 der 83 179 EinwohnerInnen erst innerhalb der letzten 10 Jahren neu in die Stadt „eingewandert“ – Tendenz übrigens steigend –, ohne dass diejenigen, die jetzt Alarm schlagen, ein Problem darin gesehen hätten. Im Gegenteil, diese Entwicklung wurde allgemein begrüßt, als Zeichen für die Attraktivität einer prosperierenden Stadt. Und da soll es jetzt unmöglich sein, einige weitere hundert Neubürger_innen unterzubringen?
Die Wohnungsnot in Konstanz geht auf’s Konto einer neoliberal dominierten Lokalpolitik, die in der wachsenden Stadt jahrzehntelang das Feld des Wohnungsbaus, eigentlich genuine Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge, weitgehend privaten Anlegern überlassen hat. Mit dieser Logik hat auch das „Handlungsprogramm Wohnen“ nicht grundsätzlich gebrochen, weil es dem Erfordernis, vor allem im „unteren Segment“ Wohnraum zu schaffen, nicht ausreichend Rechnung trägt.
Konstanz hat also kein Problem mit Flüchtlingen, es hat ein generelles Problem mit der Verteilungsgerechtigkeit, das Erwerbslosen, Alleinerziehenden, RentnerInnen, NiedriglöhnerInnen, und nun eben auch noch einigen hundert Geflüchteten, gewaltige Schwierigkeiten bereitet. Wenn man schon Widersprüche aufmacht, dann bitte die richtigen: Die verlaufen nicht zwischen „heimischen Bürgern“ (wer immer das sein soll, siehe oben) und Flüchtlingen, sondern zwischen oben und unten. Was wir dringender denn je brauchen, sind Investitionen in die soziale Infrastruktur, u. a. mit dem Ziel, mehr Sozialwohnungen zu schaffen.
Versuche, jetzt arme Leute gegen noch ärmere auszuspielen, sind einfach nur als erbärmlich zu bezeichnen und natürlich mit der LLK, die als sozialistische Gruppierung der gesellschaftlichen Emanzipation verpflichtet ist, niemals zu machen.
Jürgen Geiger
Dieser Kommentar gehört eher unter der Rubrik „Schräg & Schrill“: Da sollte man doch besser auf dem Boden bleiben und keine Luftschlösser bauen.
Wer soll denn jetzt auf die Schnelle für 1000 Flüchtlinge Wohnungen bauen, da die Handwerker sowieso schon über beide Ohren mit Aufträgen „überlastet“ sind? Hat die Gemeinde soviel Rücklagen im Zauberetat um dies zu finanzieren? Wer sorgt sich denn noch um die allgemeine Wohnungsnot unserer Studenten und die wirtschaftlich Schwachen in der Gesellschaft, die schon lange preiswerte Wohnungen suchen?
Immer wieder hat die LLK das Fehlen bezahlbarer Wohnungen angeprangert. Jetzt steigen die Flüchtlingszahlen und der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen wächst täglich durch die Flüchtlingswelle ins Uferlose. Wie etwa soll über Nacht der Bedarf aus dem Boden gestampft werden? Die LLK bietet keine detaillierte Lösungen an. Wie wird sich die LLK bei den anstehenden Verteilungskämpfen positionieren? Wird sie weiterhin Luftschlösser bauen?
Kürzlich besorgte Nazis in Bautzen https://lauterbautzner.eu/2015/09/19/betrunkene-asylheimkritiker/ und in Freital: http://www.sz-online.de/sachsen/anschlag-auf-linkspartei-in-freital-3203988.html
M. Fiebig