Stuttgart soll endlich zahlen

Mehr als 400 warnstreikende Gewerkschafter, allesamt Landesbedienstete, demonstrierten auf der Konstanzer Marktstätte gegen ihre Dienstherren aus Stuttgart. Pfleger und Ärzte von der Reichenau, Telekom- und Hochschul-Beschäftigte, angestellte Lehrer, aber auch erstaunlich viele Polizisten, aus Konstanz, Rottweil oder Donaueschingen protestierten gegen die Hinhaltetaktik ihrer öffentlichen Arbeitgeber in der laufenden Tarifverhandlung. Und Hanna Binder von der Gewerkschaft ver.di hielt eine tatsächlich aufrüttelnde Rede.

Gewerkschaftssekretärin Binder, gleichzeitig SPD-Stadträtin in Konstanz, verstand es in ihrer engagierten Rede, für die Sorgen der im Öffentlichen Dienst Beschäftigten auch Interesse bei den zahlreichen Passanten zu wecken – viele Fußgänger, viele ShopperInnen blieben stehen und applaudierten spontan, als Hanna Binder die fatalen Auswirkungen der miesen Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst auf alle übrigen BürgerInnen beschrieb.

Es fehlt an Steuerfahndern

So habe, so Binder, die schwarz-gelbe Landesregierung bei der Bekämpfung der Steuerkriminalität versagt. „Eine wichtige Ursache: Die Steuerverwaltung wird durch beständigen Personalabbau so geschwächt, dass sie die Steuerkriminalität immer weniger effektiv bekämpfen kann. Baden-Württemberg ist hier leider ein Vorreiter. CDU und FDP haben in den vergangenen zehn Jahren bei der Steuerverwaltung des Landes jede siebte Stelle abgebaut – etwa 2000 insgesamt. Der Schaden für unser Gemeinwesen ist immens. Die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler fühlen sich von der Regierung allein gelassen.“

Es fehlt an Lebensmittelkontrolleuren

Zweites Beispiel: „222 Lebensmittelkontrolleure sind in Baden-Württemberg derzeit im Einsatz. Sie sind für rund 200.000 Betriebe zuständig – jeder Prüfer also für etwa 900 Firmen. Viel zu wenige, sagen die Verbraucherzentrale, die Beschäftigten, ver.di sowie der Landkreis- und Städtetag. Skandale wie der Dioxin-Skandal sind damit vorprogrammiert. Doch statt die geforderten zusätzlich 130 Stellen neu zu schaffen, bewilligte das Finanzministerium nur die Hälfte. Aber die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen erst ausgebildet werden. Dabei galt der Wirtschaftskontrolldienst in Baden-Württemberg einmal als vorbildlich. Er fiel 2005 der Verwaltungsreform und der damit verbundenen Sparorgie der schwarz-gelben Landesmehrheit zum Opfer.“

Es fehlt an Mitteln für die Krankenhäuser

Weiteres Besipiel: „Seit Jahren weigert sich die Landesregierung, die Krankenhäuser in Baden-Württemberg ausreichend zu finanzieren. Die Krankenhäuser benötigen insgesamt pro Jahr rund 600.000 Mio. EUR, das Land zahlt jedoch nur etwa die Hälfte. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung. Die fehlenden Millionen müssen die Krankenhäuser durch Einsparungen bei den Betriebskosten selbst aufbringen. Folge: Über 5.500 dringend notwendige Stellen können nicht geschaffen werden“.

Was Binder nicht so deutlich sagte, was aber jeder Zuhörer ohnehin verstand: Hier werden die Kostenprobleme geschaffen, mit denen sich die Klinik-Verantwortlichen in Singen, Konstanz oder Rottweil derzeit herumschlagen. Hier wird mutwillig Vorschub für die Privatisierung der öffentlichen Gesundheitsfürsorge geschaffen.

Die Protestler auf der Marktstätte wissen es sowieso: Wenn schon das Land Baden-Württemberg an den Stellen spart, sollten wenigstens die überbelasteten Beschäftigten annähernd gerecht entlohnt werden. Ihre aktuelle Tarifforderung deshalb: 50 EUR als Einmalzahlung und wenigstens drei Prozent mehr pro Monat.

Eine wahrlich bescheidene Forderung, wenn man bedenkt, wie die Landesregierung andererseits flott mal fünf Milliarden hinblättert, um in einem undurchsichtigen Deal längst nicht alle Anteile der EnBW zurück zu kaufen, oder Milliarden an die Atomkrafterzeuger verschleudert, um die Laufzeit der Kernkraftwerke zu Lasten der Verbraucher zu verlängern. Die Landesregierung in Stuttgart soll endlich zahlen, so die Forderung der Protestler, wo es den Menschen nützt: Bei den Löhnen der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst.

Autor: hpk