Flüchtlingspolitik: Gegenwind für Landrat Hämmerle

seemoz-HämmerleFrank Hämmerle, Konstanzer Landrat und CDU-Mitglied, bekommt Gegenwind: Parlamentarier der Partei die Linke, aber auch Landtagsabgeordnete der SPD kritisieren scharf die jüngsten Äußerungen des für die Flüchtlings-Unterbringung im Landkreis Verantwortlichen (s. Foto). Er mache sich zum Stichwortgeber für Rassisten und resigniere vor der Aufgabe. Hier beide Erklärungen vom Wochenende im Wortlaut:

DIE LINKE: Hämmerle macht sich zum Stichwortgeber für Rassisten

Mit einer gemeinsamen Erklärung antworten die beiden Kreisräte der Partei DIE LINKE, Marco Radojevic und Hans-Peter Koch, die Landtagskandidaten für die Wahlkreise Konstanz und Singen, Simon Pschorr und Jürgen Geiger, sowie die Stadträte der Linken Liste Konstanz, Anke Schwede und Holger Reile, auf ein Interview von Landrat Frank Hämmerle zur Unterbringung von Flüchtlingen im Landkreis und zur Asylpolitik des Landes und des Bundes. Die Erklärung im Wortlaut:

Mit großer Empörung haben wir ein Interview des Konstanzer Landrats Frank Hämmerle zur Kenntnis nehmen müssen, in dem er sich geradezu zum Stichwortgeber für Fremdenfeinde und Nationalisten macht. Der CDU-Politiker bedient in dem Interview die gesamte Klaviatur dieser „besorgten Bürger“: er redet Verteilungskonflikte zwischen Flüchtlingen und Bürger_innen herbei, beklagt mangelnde Härte bei Abschiebungen, fordert Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen und versteigt sich gar in düstere Szenarien über einen anderen Staat und eine andere Gesellschaft.

Es ist bemerkenswert, dass das CDU-Mitglied Hämmerle sich gerade jetzt so ausführlich und medienwirksam zu diesem Thema äußert. Die Flüchtlingszahlen steigen seit mindestens einem Jahr steil an, worauf hinzuweisen der Landrat bei Sitzungen des Kreistags nicht müde wurde. Nicht nur DIE LINKE hat seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass das Konzept der „Festung Europa“ angesichts der Zunahme von Kriegen und Krisen zum Scheitern verurteilt ist und sich die Politik auf allen Ebenen endlich ihrer Verantwortung in der Flüchtlingspolitik stellen muss. Doch die Verantwortlichen blieben weitgehend untätig, vor allem in Berlin und Stuttgart, aber auch in Konstanz.

Nachdem ein Großteil der Bevölkerung in den letzten Monaten die Geflüchteten mit überwältigender Hilfsbereitschaft empfangen hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass maßgebliche Kreise der Politik alles dafür tun, um die Stimmung zu drehen. In den Kreis dieser unverantwortlichen Scharfmacher reiht sich nun auch der Konstanzer Landrat ein. Es ist geradezu zynisch, sich ausgerechnet in einer Lage, in der rassistische Kräfte Morgenluft wittern und mittlerweile im Nachbarkreis bereits Anschläge auf Gemeinschaftsunterkünfte verübt werden, als „Klartexter“ gegenüber Stuttgart und Berlin zu inszenieren. Verwundern können solche Entgleisungen aber nicht, liegen sie doch ganz auf der Linie der jüngsten Äußerungen von Innenminister de Maizière und CDU-Vize Thomas Strobl im Bundestag. Große Teile der CDU (und inzwischen auch der SPD) scheinen auf AfD-Kurs zu liegen – vielleicht erhofft sich die Union im Südwesten, so bei der Landtagswahl im kommenden Frühjahr den von ihr als angestammt betrachteten Herrschaftssitz in Stuttgart zurückzuerobern.

Zweifelsohne ist die menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge eine große Herausforderung, gerade weil in den letzten Jahrzehnten öffentliche Wohnungen in großem Stil an den Höchstbietenden verscherbelt und der soziale Wohnungsbau weitestgehend eingestellt wurde. Hier braucht es endlich klare Signale aus Berlin und Stuttgart: Notwendig sind jetzt massive Investitionen in die soziale Infrastruktur, vor allem in den sozialen Wohnungsbau. Es darf in in Deutschland nicht mehr möglich sein, die Bevölkerung gegen Flüchtlinge auszuspielen. Angesichts von brennenden Flüchtlingsunterkünften schmerzt es geradezu, als Linker mit seiner Kritik am Ausverkauf öffentlichen Eigentums Recht behalten zu haben.

Wer jetzt den Notstand im Landkreis ausruft, spielt nicht nur den alten und neuen Nazis in die Karten, sondern stiehlt sich selbst aus der Verantwortung. Die größte Gefahr für unsere Gesellschaft geht nicht von Flüchtlingen aus, sondern von den politisch Verantwortlichen, die seit Jahren die Versorgung der Menschen mit lebenswichtigen Leistungen wie Wohnen, Bildung und Gesundheit den Profitinteressen der Konzerne unterordnen. Das zu ändern ist jetzt mehr denn je die Aufgabe verantwortungsvoller Politik und eben nicht die weitere Aushöhlung des Rechts auf Asyl für Menschen, die in höchster Gefahr und größter Not bei uns Zuflucht suchen.


SPD: Gemeinsam und entschlossen handeln

Sehr geehrter Herr Landrat;

„Wir schaffen es nicht,“ fasst der Südkurier ein Gespräch mit Ihnen zu den Herausforderungen, vor denen wir alle in der Betreuung und Integration von Flüchtlingen stehen., zusammen. Aus diesen Worten spricht verständliche Frustration, gleichzeitig aber auch gefährliche Resignation.

Wer brächte kein Verständnis für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamts auf, die fieberhaft auf der Suche nach Unterkünften für Flüchtlinge sind. Kaum gelingt es, neue Unterkünfte und Plätze zu organisieren, folgt die Nachricht, dass alle Bemühungen nicht ausreichen, sondern dass noch viel mehr nötig ist. Wer würde nicht das Gefühl bekommen, die Aufgabe könnte so vergeblich wie das Werk des Sysiphos sein, der ständig einen Stein auf den Berg trägt, nur damit er auf der anderen wiederum herabrollt.

Gefährlich ist jedoch die Resignation, die Sie verbreiten. Denn Sie  unterschlagen und unterschätzen so die vielfältigen Ressourcen, die  unsere Gesellschaft für die Integration für Flüchtlingen verfügt und die derzeit in großem Stil mobilisiert werden. Man muss nicht nur das vielfältige bürgerschaftliche Engagement in den vielen Helferkreisen bemühen. Sie blenden vollständig den unendlich großen Willen von Flüchtlingen aus. Nachdem sie sich vor Krieg und Verfolgung retten konnten, treibt sie der Wunsch ihr Leben selbständig und aus eigener Kraft gestalten zu wollen. Wer wie ich die Tatkraft und den Antrieb mancher Flüchtlinge erlebt hat, macht sich weniger Sorgen, ob die Integration vielleicht misslingen könnte.

Niemand unterschätzt jedoch, wie groß die Herausforderung ist, vor der unsere Gesellschaft steht. Auf der Ebene des Landes werden wir daher die Ressourcen bereitstellen, die für diese Aufgabe notwendig ist. In den Vorbereitungen für den Nachtragshaushalt, an den wir Abgeordnete derzeit mitwirken, unterlegen wir sie mit den erforderlichen Finanzmitteln. Auch der Bund hat seine Verantwortung erkannt und gibt zusätzliche Hilfen frei, die wir an die Kommunen in vollem Umfang weiterreichen werden.

Nicht nur Flüchtlinge suchen Wohnungen. Schon jetzt haben wir es mit angespannten Märkten zu tun, in denen es schon lange für Normalverdiener schwer geworden ist. Schonungslos fallen nun wohnungspolitische Defizite auf.  Auch Sie sprechen sie an, jedoch in einer beinahe demagogischen Verkürzung und in einem sachlich falschen Kontext. Sie unterstellen, dass Flüchtlinge im sozialen Wohnungsbau bevorzugt werden könnten. Dabei wissen Sie selbst, dass es außer der  WOBAK in Konstanz im Kreis kaum noch Unternehmen mehr gibt, die sozial gebundene Wohnungen bauen und vermieten.

Die Flüchtlingszahlen haben den Bund dazu gebracht, eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für Sozialwohnungen aufzubringen. Im Land haben wir die soziale Mietwohnungsförderung ausgebaut, ein Wohnungsgipfel wird uns weitere Perspektiven aufzeigen. Wir haben also derzeit die Chance, den lange vernachlässigten sozialen Wohnungsbau wieder zu beleben und neu auszurichten. Und davon profitieren nicht nur Flüchtlinge, sondern alle Bürger!

Daher appelliere ich nicht nur an Sie: Nicht Parolen sind jetzt gefragt, sondern gemeinsames, entschlossenes Handeln.

Angesichts der öffentlichen Wirkungen, die Ihr Interview hat, haben Sie sicher Verständnis dafür, dass ich meine Antwort als offenen Brief formuliert habe.

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Peter-Storz MdL