Tiefe Trauer um Uwe Lindner

Uwe-Lindner-2Statt eines Nachrufs: Wir haben Weggefährten gebeten, in aller Kürze an Uwe Lindner zu erinnern – ihre letzten Gedanken in den letzten Stunden. Längst nicht alle konnten wir übers Wochenende ausfindig machen, manche leben in anderen Kontinenten, manche sind unterwegs, andere unauffindbar. Dennoch beschreiben die wenigen Zeilen einen besonderen Menschen, einen aufrechten Linken, der uns am letzten Freitag verlassen hat.

Ich trauere um einen Freund und Genossen

Mehr um einen Freund! Seit unserem ersten Zusammentreffen vor über 40 Jahren hat sich daraus eine tiefe Freundschaft entwickelt. Über unsere jeweilige Betriebsratsarbeit, die wir diskutierten, hatten wir oft konträre Meinungen. Aber wir fanden immer wieder einen Weg, den wir beide gehen konnten.

Uwe war im Costa „der“ Ansprechpartner für alle sozialen Angelegenheiten. Und auch für ALLE, die dabei Hilfe brauchten. Statt weiter aktiv Politik zu betreiben, hat er sich aktiv um die Sorgen und Probleme anderer Menschen gekümmert.

Ich bin sehr traurig und verbeuge mich vor ihm und seiner Leistung.

Bernhard Hanke

Das „Fähnlein der Aufrechten“

Seit ich ihn in meinem Seminar zu marxistischer Literaturkritik kennen lernte, mochte ich den kämpferischen und auch selbstkritischen Studentenvertreter, Linguisten, dann Personalrat. Später teilten wir die Lungenkrankheit und begegneten uns öfter. War ich in Konstanz, ging ich bald ins Costa und saß neben den Spielautomaten, dem Jubiläumsbild des Costa gegenüber, auf dem Uwe als ältester und treuester Stammgast zu sehen war. Kam Uwe herauf von seinem leerer werdenden Stammtisch, blieb er bei mir sitzen auf eine Halbe, später Rotwein. Darauf hatte ich gehofft. Ich wollte ihn erleben, mich aufrichten an seinem Einsatz für die Belegschaft, seinem Selbstbewusstsein gegenüber der Klinikleitung, an seiner Kraft, trotz der immer sichtbarer werdenden Krankheit nicht in Frührente zu gehen. An seiner Unsentimentalität und Freundlichkeit.

Wir klatschten aber auch, über unsere Vergangenheiten und Bekannten. Ich konnte nicht genug der ungeheuerlichen Geschichten über die Costa-Wirte hören. Wir tauschten uns aus über Medikamente, Ärzte, Diagnosen, wie man Treppen am besten schafft und welche Linienbusse für was geschickt seien. Und ich fragte ihn nach seiner „Heimat“, dem Hunsrück und dessen Sprache. Im 6er-, dann 5er-Bus sah ich ihn immer seltener. Was aber, hoffte ich, daran liegen könne, dass ich seltener in Konstanz war. Dennoch schwante mir bei der Krankheit nichts Gutes. Aber nicht sein Tod. Denke ich an Konstanz, denke ich besonders an das „Fähnlein der Aufrechten“, zu dem Uwe gehört.

Hermann Kinder

Ein Mensch, der Spuren hinterlassen hat

Vor einigen Wochen habe ich Uwe noch in seiner Wohnung besucht. Er hatte Mühe mit dem Atmen, sah mitgenommen und müde aus. Aber ich hoffte, dass ihm seine anstehende Kur eine gewisse Erleichterung bringen würde. Nun ist alles ganz anders gekommen: Uwe hat sich für immer verabschiedet. Eigentlich viel zu früh.

Uwe war für mich ein wichtiger, äußerst angenehmer Genosse, gescheit, politisch „sattelfest“ und in viele Aktivitäten involviert, die mich beeindruckten und beeinflussten. Gern hörte ich seinen Reden zu: Er argumentierte stets klar und deutlich, war mir gegenüber nie arrogant, was ich besonders an ihm schätzte.

Die Bandbreite von Uwes Aktivitäten war groß. Besonders erinnere ich mich an einige Kommunalwahlkämpfe mit „linker Ausrichtung“, bei denen er maßgeblich beteiligt war und dabei natürlich auch mich als Kandidatin solidarisch unterstützte.

Insgesamt denke ich, dass Uwe ein Mensch war, der Spuren hinterlassen hat – und dies nicht nur bei mir.

Vera Hemm

Wir verlieren einen Bezugspunkt

Näher kennengelernt habe ich Uwe Lindner eigentlich erst nach seiner Zeit an der Uni. Er hatte Anfang der 70-er Jahre die politische Landschaft an der Konstanzer Hochschule unter anderem als AStA-Vorsitzender nachhaltig geprägt und noch ein knappes Jahrzehnt danach – ich war selbst gerade in die Studierendenvertretung gewählt worden -, fühlte man sich an dem gemessen, was er und seine MitstreiterInnen damals auf die Beine gestellt hatten. Der Kampf gegen die Notstandsgesetze und die Abschaffung der Verfassten Studentenschaft, die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg und die Berufsverbote – das waren einige der großen Themen jener Jahre auch an der vom Nazi-Verbrecher Filbinger gegründeten neuen Lehr- und Forschungsanstalt. Dass die von der Landesregierung eigentlich als „Klein-Harvard am Bodensee“ konzipierte Universität bundesweit schnell den Ruf einer Brutstätte linker Staatsfeinde weghatte, daran hatte Uwe Lindner und die Seinen einen wesentlichen Anteil. Die Seinen, das waren der Marxistische Studentenbund Spartakus (MSB) und die DKP, eine der Strömungen, die aus der 68-er Bewegung hervorgegangen war und sich am damals noch ziemlich real existierenden Sozialismus orientierte. Ich selbst gehörte einer anderen dieser Fraktionen an, die sich bei Vollversammlungen und Veranstaltungen, ja selbst an Kneipentheken leidenschaftliche verbale (zumeist jedenfalls) Scharmützel lieferten.

Erst nach dem „Deutschen Herbst“, der jene „geistig-moralische Wende“ einleitete, die schließlich in die bleiernen Jahre der Regierung Kohl mündete, dämmerte der heillos zerstrittenen linken Bewegung, dass man über all den leidenschaftlichen Streit untereinander den eigentlichen Gegner aus den Augen verloren hatte. Und als wir dann auch in Konstanz angefangen haben, miteinander und nicht mehr übereinander zu reden, lernte ich auch Uwe näher kennen. Begonnen hatte es mit der Bildung einer gemeinsamen Liste für die Wahl zur Studierendenvertretung, ein damals unerhörter Vorgang. In den vielen politischen und später auch privaten Gesprächen, die darauf folgten, wurde mir schnell klar, warum der Mann was bewegen konnte. Er hatte die Gabe, die Dinge auf den Punkt zu bringen und beherrschte die leisen Töne ebenso wie den leidenschaftlichen Appell. Dabei half ihm nicht zuletzt seine Fähigkeit, messerscharfe Analysen mit einem hintersinnigen Humor vorzubringen, der den Gegner schon mal zur Weißglut treiben konnte.

In einer Zeit, in der viele ehemalige Linke sich auf den Marsch in die Institutionen gemacht hatten, gehörte Uwe zu den Initiatoren der AL, aus der später dann die Linke Liste hervorgegangen ist. In der AL sammelten sich damals in dieser Stadt diejenigen, die trotz aller Rückschläge am Ziel einer gesellschaftlichen Alternative zum herrschenden Profitsystem festhielten. Dass sich mit der LLK heute eine demokratisch-sozialistische Gruppierung in der Stadt fest etabliert hat, gehört mit zu den Verdiensten Uwe Lindners. Mit seinem Tod verlieren wir einen wichtigen Bezugspunkt – und das nicht deshalb, weil sein Stammplatz im Spanier künftig verwaist bleiben wird.

Jürgen Geiger

Ein eigenes Namensschild im „Costa“ wahrlich verdient

Ich kannte Uwe seit Anfang der 70-er Jahre. Für ihn, den örtlichen DKP-Vorsitzenden, waren wir Sozialdemokraten natürlich „Reaktionäre“, die es zu bekämpfen galt. Seine engen Beziehungen zur DDR waren für mich, die ich noch in Sachsen eingeschult wurde und den größten Teil meiner Familie dort hatte, aber bald ein Anknüpfungspunkt für durchaus nicht immer und zunehmend weniger kämpferische Gespräche.

Ich denke an jenen Bundestagswahlkampf, in dem sich die Konstanzer CDU lautstark beklagte, ihre politischen Gegner würden systematisch ihre Plakate beschädigen und zerstören. Ich fragte Uwe, wieviele Plakate „seine“ Leute zu verantworten hätten. Seine Antwort („keines“) stärkte den Verdacht, dass eifrige Aktionisten der Jungen Union einen besonderen Wahlkampfgag erfunden und umgesetzt hatten.

Uwe war lange Jahre der Kopf und zugleich Motor der kommunistischen Linken in Konstanz, darüber hinaus ein versierter Betriebsratschef und Gewerkschafter. Das „Costa del Sol“ war, wie wir sagten, sein „Wohnzimmer“, in dem er seine Getreuen traf und ebenso mit seinen politischen Gegner von früher diskutierte. Seinen Platz dort mit dem Namensschild Uwe (niemand sonst hatte und hat das!) gilt es ebenso zu respektieren wie seine zunehmende Unlust, über seine frühen Jahre zu reden. Wir sind uns darin sicher einig: In der Geschichte der Konstanzer Bewegungen der letzten Jahrzehnte hat Uwe ein eigenes Namensschild wahrlich verdient.

Brigitte Leipold

No sports, versteht sich

Und er hat es lange ausgehalten in verqualmten Räumen. Wir gehörten während der Uni-Jahre verschiedenen „Strömungen“ an… Und später waren wir auch zunächst in unterschiedlichen Teilen in den Kliniken Schmieder beschäftigt. Dann aber teilten wir uns dasselbe Betriebsratsbüro in Allensbach. Ich war eine Zeitlang sein Stellvertreter dort. Nicht immer zogen wir in dieselbe Richtung.

Uwe hatte eine gute Nase fürs Machbare. In einer anderen Strömung hätte man ihn Realo genannt. Dies schloss ein, manche Friedenspfeife zu rauchen. Als erfolgreicher Interessenvertreter wird er Vielen von uns in Erinnerung bleiben. Nun hat er Zeit für den „großen Plan“.

Mike Roth

Eine historische Persönlichkeit der Konstanzer Politikszene

Trauer mischt sich mit Erinnerung an Uwe, der dem gleichen Jahrgang angehörte wie ich selbst. Kennengelernt haben wir uns Mitte der siebziger Jahre an der Uni Konstanz. Beide gehörten wir dem politischen Lager vom Marxistischen Studenten Bund Spartakus (MSB) und Deutscher Kommunistischer Partei (DKP) an. Meine Beziehung zu seiner ältesten Schwester brachte ihn mir auch privat näher.

Die politische Atmosphäre des studentischen Aufbegehrens gegen die althergebrachte Honoratioren-Universität, die ihren Ausgang in den 68-iger Jahren hatte, bestimmte den Universitätsalltag auch in Konstanz. Uwe war einer ihrer markantesten Repräsentanten: klug, vielbelesen und ein eloquenter Diskutant. Er hatte Marx nicht nur ansatzweise gelesen, er schöpfte ideologisch aus diesem Wissen, analysierte gesellschaftliche Zusammenhänge aufgrund dieser Kenntnis glaubhaft und überzeugend.

Die Losung „Licht in dunkle Rathausecken“ bestimmte Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre die Politik der DKP in Konstanz. Die bürgerliche Ratsmehrheit grenzte sozialpolitisch große Teile der Bürger aus. Uwe bestimmte mit seiner Sachkenntnis und politischen Erfahrung die DKP- Forderungen nach mehr günstigen Kindergärten, für bezahlbare Wohnungen und Nahverkehr zum Nulltarif.

Er war eingebunden in die Organisierung internationaler Solidarität gegen den Krieg in Vietnam, gegen den Putsch in Chile und gegen die Apartheitspolitik Südafrikas.

Er war ein sozialpolitisch denkender und handelnder Mensch. Ein Kommunist.

Er blieb es auch nach dem Ende der DDR, als die DKP zur Randerscheinung der Geschichte wurde. In den wenigen Gesprächen mit ihm in dieser Umbruchzeit zeigte sich der kritisch reflektierende, auch zweifelnde Uwe, der die Ursachen für den Niedergang der DDR anhand des Selbstverständnisses der DKP hinterfragte.

Beruflich wurde er zum Betriebsrat der Schmieder Kliniken gewählt. Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender waren selbstverständliche Karrieresprünge auf Grund seines sozialen Engagements und seiner intellektuellen Durchsetzbarkeit.

Wollte man Uwe treffen, musste man nur ins Costa gehen. Hier, in seinem „Wohnzimmer“, führte er nicht nur politische Gespräche, sondern half Ausländerkindern bei Schulproblemen, beriet Antragsteller, die beim Sozialamt oder anderen Behörden Unterstützung suchten.

Natürlich gab es menschliche Schwächen. Er konnte arrogant sein, wenn er es mit Gesprächspartnern zu tun hatte, die Fragen aufwarfen, die er als längst geklärt verstand. Und er war beratungsresistent, wenn es um seinen gesundheitlichen Zustand ging. Er rauchte unverdrossen weiter, als seine Atembeschwerden immer bedrohlicher wurden. Auch Krankenhausaufenthalte und Reha-Maßnahmen brachten ihn nicht zur Einsicht. Ärztliche Vorsorgeuntersuchungen lehnte er ab. Als er während eines REHA-Aufenthalts in Königsfeld zusammenbrach und in die Intensivstation des Krankenhauses Villingen eingeliefert wurde, war es zu spät. Er erwachte aus dem Koma nicht mehr.

Mit Uwe Lindner ist eine historische Persönlichkeit der Konstanzer Politikszene viel zu früh, aber für mich nicht überraschend, gestorben.

Hendrik Riemer