Singen: Guter Flüchtling, schlechter Flüchtling
Rund 300 Gäste besuchten die Bürgerinformationsveranstaltung am Montagabend im Hegau-Gymnasium in Singen, bei der Stadt und Landkreis über die Unterbringung von 190 Geflüchteten in der Großen Kreissporthalle in Singen aufklären wollten. Was Zahlen und Statistiken betraf, gelang dies auch. In Bezug auf die Ängste der ansässigen Bevölkerung haben die Ämter jedoch ausgeprägten Nachholbedarf, wenn man mittel- und langfristig rechte Umtriebe eindämmen will.
Die Vorträge Ludwig Egenhofers, dem Leiter der Unteren Aufnahmebehörde im Landkreis Konstanz, sind bei jenen Informationsabenden im Landkreis mittlerweile Teil des Standardprogramms. Der kernige Allensbacher ist gut darin, wenn es darum geht, zu erläutern, wann wo wie mit wie vielen Geflüchteten zu rechnen ist und wie mit den Menschen vor Ort verfahren wird. Was einzelne Floskeln und Nebenbemerkungen zwischen diesen Zahlen beim Publikum auslösen, darüber macht sich Egenhofer offenbar seltener Gedanken.
Als er versucht zu erklären, wie man bei der Erstankunft Geflüchtete ärztlich untersucht, um in den Unterkünften die Ausbreitung schwerer Krankheiten zu verhindern, verkommt seine Wortwahl zum kolonialen Gebrabbel aus Kaisers Zeiten. Natürlich würden Menschen bei der Erstankunft untersucht, denn „es wäre ja schlimm, wenn unsere Gesundheitsversorgung in Deutschland schlechter wäre als in Afrika oder Afghanistan.“ Ganz so, als müsse man nach der eigenen Flucht am deutschen Wesen genesen.
Und dieses deutsche Wesen ist vor allem um die Sicherheit der eigenen Kinder besorgt. Wenn 190 junge Männer in der Kreissporthalle untergebracht sind, kann das nur heißen, dass Eltern ihre Töchter in Sicherheit bringen müssen. Nicht so drastisch, aber doch bestimmt, monieren zwei Mütter in der Fragerunde, sie hätten Angst um ihre Töchter auf dem Schulweg. Natürlich ist man darum bemüht, die Ängste aufzunehmen, doch der Generalverdacht, männliche Geflüchtete in Massenunterbringungen seien potentielle Triebtäter, wird von Amtsseite nicht ausgeräumt. Eine simple Bemerkung, dass bei sexuellen Übergriffen das Opfer den Täter in 90 Prozent der Fälle näher kennt, hätte genügt.
Das Märchen vom bösen Balkanflüchtling
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das Podium, auf dem unter anderem Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler anwesend war, zwar bemüht ist, Vorbehalte zu entkräften, doch das gelingt vor allem den beiden CDU-Politikern schlecht, obwohl die Stimmung im Saal ruhig genug ist, um den meisten Anwesenden ihre Skepsis zu nehmen. Die Mehrheit scheint wirklich gekommen zu sein, um sich zu informieren, was die Verwaltung zu tun gedenkt, um die Geflüchteten unterzubringen, manche wohl auch, um zu erfahren wie man ihnen helfen kann. Daran änderte auch der Redebeitrag von Siegfried Pauli nichts, der sich zwar als Singener, jedoch nicht als NPD-Landtagskandidat zu erkennen gab. Pauli versuchte Stimmung gegen MigrantInnen zu schüren, da die Zahlen Egenhofers nicht stimmig seien, erntete aber auch für seine als bürgerlich getarnte Sorge nicht den meisten Applaus.
Doch zurück zu Oberbürgermeister Häusler: Für ihn sind Balkangeflüchtete eben die „50 Prozent Flüchtlinge“, die die Sozialsysteme ausnutzten. Es ist nicht das erste Mal, dass Häusler – bei allem Engagement für seine „echten Flüchtlinge“ – während einer Informationsveranstaltung Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge einteilt, und damit jene Ressentiments schürt, die er vorgibt zu bekämpfen.
Eine Studentin aus Konstanz kritisiert den Umgang und das unmenschliche Verfahren mit Balkangeflüchteten. Sie bemerkt, dass Sinti und Roma (auch aus Konstanz) bereits dorthin abgeschoben wurden, wo sie aufgrund von örtlichen Rassismen Übergriffen ausgesetzt sind und keinerlei Perspektive auf ein Leben in Würde haben – geschweige denn in Sicherheit. Egenhofers gepriesene „Freiwillige Rückreise“, damit der Platz für andere frei würde, benennt sie klar als „Schönfärberei“.
Gezwungenermaßen muss das Podium die kritische Anmerkung wegwischen, um sein Gesicht zu wahren. Während Egenhofer den Beitrag energisch damit zurückweist, dass es in Singen „keine Sinti und Roma“ in den Unterkünften gebe, und sein Heil darin sucht, Albaner zu stigmatisieren, zieht Häusler einen Schlussstrich unter allgemeinpolitische Debatten, als es um die Verantwortung der Politik an syrischen Geflüchteten geht. „Wir sind heute nicht hier, um die Weltpolitik zu lösen“, lautet seine Tabumarschroute, als der Landtagskandidat der Linken, Jürgen Geiger, die Bundesregierung dafür kritisiert, dass sie durch Waffenexporte und ihre Außenpolitik Menschen in die Flucht zwingt.
Lieber wird das Lied der armen Kommune besungen, die ratlos hastig weitere Turnhallen freiräumen muss, damit Menschen darin unterkommen können. Menschen, die durch dünne Stellwände getrennt leben, die von der Verwaltungsbehörde „Zimmer“ genannt werden. „Zimmer“, in denen bis zu zwölf Betten stehen, und die den Schutzsuchenden jede Privatsphäre unmöglich machen. Nachdem die Geflüchtetenzahlen Mitte der 1990er nach und nach sanken, baute man auch im Landkreis Konstanz die leerstehenden Heime zurück oder machte Industriezentren daraus, um sie kapitalistisch verwertbar zu machen. Raum für Geflüchtete, der jetzt fehlt.
Sozialer Wohnungsbau statt Missgunst
Der Linke-Kandidat wies in seinem Redebeitrag auch darauf hin, dass die Kommunen nun ausbaden müssten, was ihnen Bundes- und Landesregierung eingebrockt hätten. Jahrelang habe man z.B. beim sozialen Wohnungsbau gekürzt. Das sei die Ursache für den Mangel an erschwinglichem Wohnraum, der durch die Flüchtlingskrise nur verschärft werde. Davon versuchten PolitikerInnen abzulenken, wenn sie nun einheimische Arme gegen die Geflüchteten ausspielten, so Geiger. Tatsächlich erschwert es der überteuerte Wohnungsmarkt zusätzlich, dass Geflüchtete im Anschluss an die Erstunterbringung in einer Wohnung unterkommen. Denn auch der Landkreis Konstanz und dessen Kommunen haben den sozialen Wohnungsbau zu sehr auf die lange Bank geschoben. Statt diesen Fehler vom Podium aus einzuräumen, trifft es dann eben auf breite Zustimmung, wenn im Saal auch die Bedürfnisse von Deutschen mit geringem Einkommen zur Sprache kommen und latent gegen die von Geflüchteten gestellt werden.
Im Sinne einer sozialen Politik wäre es für die Gesellschaft sowie für die politischen EntscheidungsträgerInnen an der Zeit, umzudenken. Die Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau müssen umgehend korrigiert werden, etwas was die VertreterInnen der Linken Liste Konstanz schon seit Jahren im Konstanzer Kommunalparlament fordern. Den Menschen muss erklärt werden, dass der gesellschaftliche Reichtum ungleich verteilt ist, und zwar so, dass es eben nicht die Geflüchteten sind, welche die Schuld an sozialen Konflikten tragen. Es sind soziale Konflikte, bei denen versucht wird, GeringverdienerInnen, Arbeitslose und Geflüchtete gegeneinander auszuspielen. Dazu werden sie künstlich in Gruppen eingeteilt und (leider allzu oft erfolgreich) gegeneinander aufgewiegelt.
Die Konfliktlinie in Europa verläuft nicht zwischen Geflüchteten und Menschen mit geringem Einkommen, sie verläuft zwischen Arm und Reich. Diese Diskrepanzen müssen politisch aufgezeigt werden. Im Alltag muss ein Klima der Missgunst, welches durch AfD und PEGIDA befeuert wird, durch ein Klima des Entgegenkommens ersetzt werden.
Ein Vertreter der Teestube Singen brachte dies auf den Punkt. „Wenn ich nachts in der Stadt unterwegs bin und mir eine Gruppe von vier Leuten entgegenkommt, dann wechsle ich die Straßenseite, egal ob es Deutsche oder Syrer sind. Allerdings habe ich in meiner Freizeit mit Flüchtlingen zu tun“, schildert der junge Mann. Er sucht aktiv den Kontakt zu Geflüchteten: „Ich kann euch nur sagen, geht auf sie zu, ich habe durchweg gute Erfahrungen gemacht. Die haben eine weit strengere Erziehung genossen als ich. Gebt ihnen die Hand, das erwarten sie.“
ryf/Foto: nik