Libyen im toten Winkel der Medien
Der Volksaufstand in Libyen unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht von den Revolutionen in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien. Während die Diktatoren Mubarak und Ben Ali nach relativ kurzer Zeit dem friedlichen Druck der Straße nachgaben, verteidigt der libysche Diktator Gaddafi seine Macht mit äußerster Gewalt. Doch die Medien klären über solche Unterschiede nicht auf. Der Libyen-Konflikt, durch die Umweltkatastrophe in Japan ohnehin in die zweite Reihe der Berichterstattung gerückt, bleibt undurchsichtig.
Während die ägyptische und die tunesische Armee bei den Aufständen die Rolle des stabilisierenden Mediators einnahmen, kämpfen in Libyen regierungstreue und abtrünnige Fraktionen der Armee gegeneinander. Aus Perspektive der westlichen Öffentlichkeit besteht der größte Unterschied zwischen den Konflikten jedoch in der medialen Berichterstattung.
Sowohl in Ägypten als auch in Tunesien konzentrierten sich die relevanten Geschehnisse des Aufstands auf die Zentren der Großstädte. Trotz Behinderung durch die staatlichen Behörden konnten die internationalen Medien – allen voran der arabische Sender Al Jazeera – der Weltöffentlichkeit ein vermeintlich transparentes Bild des Konflikts vermitteln. Meldungen und Augenzeugenberichte ließen sich relativ schnell und zuverlässig verifizieren oder falsifizieren. Schaut man sich den Bürgerkrieg in Libyen an, muss man das genaue Gegenteil attestieren: Die Gemengelage ist unübersichtlich und für den um Neutralität bemühten Beobachter kaum zu durchschauen. Selbst die großen Nachrichtenagenturen melden vornehmlich Berichte aus der Kategorie Hörensagen. Verifizierbar sind diese Meldungen nur selten, allzu oft widersprechen sie sich sogar.
Die Medien bieten keine Antworten
Hat Gaddafi wirklich Zivilisten von seiner Luftwaffe bombardieren lassen? Übt das Regime systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus? Und wie verhält es sich mit den Regierungsgegnern? Stehen sie für Demokratie oder handelt es sich vielmehr um einen Machtkampf zwischen verschiedenen Stämmen, in dem es vor allem um die Pfründe und die Einnahmen aus den Ölexporten des Landes geht?
All‘ diese Fragen werden von den großen Medien nicht beantwortet. Vielleicht können sie diese Fragen auch gar nicht beantworten. In Libyen tobt ein Bürgerkrieg und die meisten Quellen sind Teil einer Konfliktpartei. Die Medien neigen seit jeher jedoch dazu, bei Konflikten zu einer der Konfliktparteien zu tendieren und die Neutralität dabei aufzugeben. Welche Konfliktpartei dabei die Herzen und Mikrophone der Medien gewinnt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Im Libyen-Konflikt ist nicht sonderlich schwer zu erraten, welche Konfliktpartei den Medien sympathischer ist.
Muammar al-Gaddafi ist der Prototyp des Anti-Helden. Er ist ein Diktator, der nicht viel von Menschenrechten hält und keinerlei demokratische Legitimation besitzt – darin unterscheidet er sich allerdings nicht von den anderen arabischen Despoten, die vom Westen hofiert werden. Im Unterschied zu den seriös wirkenden Despoten der Ölmonarchien am Golf wirkt Gaddafi jedoch für westliche Augen ziemlich skurril. Mit seiner Operettenuniform, seinem wirren Haar und seinen übergroßen Sonnenbrillen wirkt er wie das Abziehbild eines irren Diktatoren. Seine Rhetorik, die zweifelsohne auf das eigene Volk und nicht auf internationale Beobachter ausgerichtet ist, unterstreicht diesen Eindruck. Selbst der neutrale Beobachter dürfte Probleme damit haben, keine spontane Antipathie zu empfinden, wenn er sich eine Rede Gaddafis ansieht.
Es kann allerdings nicht Aufgabe der Medien sein, Stereotype zu pflegen und Hollywood dabei zu kopieren, filmreife Geschichten vom Kampf der „Guten“ gegen die „Bösen“ zu erzählen. Diese Interpretation der Geschehnisse ist unserem Kopf vorbehalten, Aufgabe der Medien ist es, uns möglichst objektive Fakten zu präsentieren, anhand derer wir uns ein Urteil bilden können. So funktioniert Demokratie. So funktioniert die Berichterstattung über den Konflikt in Libyen allerdings nicht. Hier werden gestellte Kampfszenen mit Paramilitärs als Berichte aus der Kampfzone gesendet. Hier werden nur sehr wenige Worte über die Legitimation und die Ziele der Aufständischen verloren.
Das erste Opfer jedes Krieges ist die Wahrheit
In Kommentaren werden bereits Parallelen zum Kosovo-Konflikt gezogen und es wird als Faktum dargestellt, dass in Libyen „ein Massaker“ stattfände, während man im „Kleingedruckten“ dann einräumt, dass „noch“ keine Massaker an Zivilisten verübt wurden. Auch die kleinen Lügen und Verdrehungen, die man bereits aus anderen Konflikten kennt, findet man in der Berichterstattung über den Libyen-Konflikt wieder. So betitelt die Agentur Reuters ein Bild, auf dem ein Protestzug vor einer Bilderwand mit den Opfern eines Massakers an Gefängnisinsassen aus dem Jahre 1996 zu sehen ist, als Protestzug vor einer Bilderwand mit Opfern des momentanen Bürgerkrieges. Der Zweck heiligt hier nicht die Mittel.
Man mag diese Kritik an den Medien als „Korinthenkackerei“ bezeichnen, schließlich gehören die Sympathien in diesem Konflikt größtenteils den Aufständischen. Es geht jedoch um mehr. Die öffentliche Diskussion im Westen dreht sich momentan darum, ob die NATO – zur Not auch gegen das Völkerrecht – im Libyen-Konflikt intervenieren sollte. Eine solche Intervention wäre völkerrechtlich ein kriegerischer Akt. Ein solcher Akt will jedoch sehr gut begründet sein und darf nur eine absolute ultima ratio darstellen. Um zu bewerten, ob Massaker an der Zivilbevölkerung stattfinden und ob tatsächlich das – völkerrechtlich umstrittene – Nothilferecht hier Anwendung finden kann, sind jedoch möglichst transparente und möglichst objektive Informationen notwendig. Beides ist im Falle Libyen nicht gegeben.
Schon im Kosovo-Krieg wurde das Nothilferecht anhand von Berichten über Massaker, die sich im Nachhinein als Lügen herausstellten, hergeleitet. Die Öffentlichkeit sollte aus dieser Geschichte lernen und die Medienberichte kritisch hinterfragen. Das erste Opfer jedes Krieges ist die Wahrheit. Es gibt keinen Grund anzunehmen, warum dies beim libyschen Bürgerkrieg anders sein sollte.
Autor: Jens Berger/nds