Ach, übrigens: Den Weihnachtsmann gibt es nicht

seemoz-crivellari-friedrich-erikliVergangenen Dienstag fand in Allmannsdorf eine Podiumsdiskussion der Bürgervereinigung Allmannsdorf Staad Egg e.V. (kurz BAS) zu der innovativen Frage statt: „Wie veränderungsbereit ist unsere Gesellschaft?“. Eingeladen waren drei der insgesamt sechs (wenn man die AfD ernst nimmt) LandtagskandidatInnen für den Wahlkreis Konstanz: Fabio Crivellari (CDU), Peter Friedrich (SPD) und Nese Erikli (Bündnis 90/Die Grünen). Die Moderation der Veranstaltung hatte Sven Martin übernommen, selbst CDU-Mitglied und Vorsitzender der BAS.

Martin fühlte sich in seiner Rolle sichtlich wohl. Zuerst musste er, da sich der Landtags-kandidat der Linken, Simon Pschorr, unter das Publikum gemischt hatte, in seiner Einleitung besonders hervorheben, dass es sich hierbei nicht um eine Wahlkampfveranstaltung handelte, was der Grund dafür sei, dass nicht alle Kandidaten eingeladen wurden. Immerhin sind es nur noch knapp drei Monate bis zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Zufälligerweise waren ausschließlich Landtagskandidaten eingeladen, die mit Sicherheit nicht die Absicht hatten, mit ihrem Auftritt in der Diskussion für die Wahl zu punkten, daher merke: Keine Wahlkampfveranstaltung. Grund, warum neben dem klassischen politischen Einheitsbrei keine weiteren Personen des öffentlichen Lebens teilnehmen durften, sei die Sprengung des Rahmens der Veranstaltung. Aha.

Dies könnte man bereits als Antwort auf die Frage nach der Veränderungsbereitschaft unserer Gesellschaft indizieren. Wenn man nur Vertreter derjenigen Parteien einlädt, die permanent auf der Stelle treten, und alles andere zu viel des Guten ist, zeigt sich schon, wie veränderungsbereit die Gesellschaft wirklich ist. Ein murmelnder und grummelnder Teil der Zuschauer wirkte tatsächlich schon mit den überaus harmonischen, gemäßigten Positionen der Diskutanten überfordert. So manch einer erweckte gar den Eindruck, als hätte er mit Nese Erikli als Frau ein Problem, wenn auch nebenbei betont wurde, dass es überhaupt nicht anginge, dass Muslime ihre Frauen unterdrückten. Das sei nämlich ein europäischer Grundwert. Gewettere über Flüchtlinge, Syrer, Islamisten, Ahmeds und wie die alle heißen (ist ja eh alles dasselbe) war hier also vorprogrammiert.

Kapitän Niveau, wir sinken

Unser Lieblingsminister aus Konstanz, Peter Friedrich, kam selbstverständlich zwei Minuten zu spät, denn das gehört sich so, wenn man wichtig ist. Dabei hat er es geschickt eingefädelt, dass er beim obligatorischen Südkurier-Foto auch gleich in der Mitte stand. Das ist unser Peter – immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wohin das Niveau der Diskussion führte, sah man bereits an der ersten Frage: „Darf man angesichts der aktuellen Situation bezüglich der Flüchtlinge in Deutschland Angst haben?“. Abgesehen davon, dass Herr Martin mit seiner gewollt „provokanten“ Frageformulierung à la Frank Plasberg die Fragen nicht geistreicher hätte stellen können, erwartete den Zuschauer daraufhin das übliche politische Rumgeeiere.

Frau Erikli versuchte, problematische Fragen mit dem ihr eigenen, siegessicheren Lächeln zu umschiffen und spielte mit einer missverständlichen Äußerung, ein deutsches Gericht hätte bei einer Entscheidung die Scharia zurate gezogen (Man hat sich damit auseinandergesetzt, die Anwendung allerdings verworfen. Anm. d. Red.), den Flüchtlingsfeinden gehörig in die Karten. Friedrichs Peter wählte da eine taktisch intelligentere Strategie, die er sich in seiner langjährigen politischen Tätigkeit hart erarbeitet hat. Er sprach davon, dass die Gesellschaft einem stetigen Wandel unterliege, daher nicht konservierbar sei und das sei auch gut so und nuschelte dann im Nebensatz etwas von „Steuerung der Zuwanderung“ auf europäischer Ebene. Herr Crivellari wurde vom Moderator mit Vergnügen auf sein Historiker-Dasein reduziert, was dazu führte, dass er seine politische Position nicht allzu sehr deutlich machen konnte. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Ansichten, die er tatsächlich äußerte, beispielsweise Kritik an dem hauptsächlich von seiner eigenen Partei propagierten „Verhinderungsgedanken“ auf Deutschland als Einwanderungsland, grübeln ließen, ob er tatsächlich Kandidat der Christ- und nicht vielmehr der Sozialdemokraten sei.

Rationale Argumente unerwünscht

Bei einem Statement von Nese Erikli gegen weitere Waffenexporte in Krisengebiete konnte sich dann ein – nennen wir ihn Beobachter – nicht mehr an sich halten und warf den überaus logischen Gedanken ein, Deutschland müsse doch weiterhin Waffen exportieren, sonst könne es finanziell nicht für die Flüchtlinge aufkommen. Selbst Herr Martin, dem es sowieso schon schwerfiel, zweifelhafte Formulierungen zu vermeiden, ließ sich schließlich zur Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und „normalen Menschen“ hinreißen.

Bedauerlicherweise setzten sich diese und ähnliche Argumentationsmuster in den Kleingruppen am Ende fort. Manche trugen geradezu vor sich her, dass sie ihrem angestauten Ärger Luft machen wollten und nicht auf konstruktive Gespräche aus waren. Da wurde dann über den angeblich laschen Umgang mit ausländischen Straftätern hergezogen ohne Verständnis für die Gleichbehandlung aller vor dem deutschen Gesetz, das doch so hoch gehalten wird. Zugleich wurde es für völlig übertrieben gehalten, dass vor kurzem in Singen ein Mann für die falsche Anschuldigung, ein Flüchtling habe seine Frau vergewaltigt, rechtskräftig verurteilt wurde.

Rationale Gegenargumente waren unerwünscht. Ebenso wie bei der Forderung, man müsse den Deutschen über einen zusätzlichen Soli klar zu verstehen geben, dass sie für die Flüchtlinge aufkommen müssen, weil das die Solidarität der Gesellschaft fördere. Wenn entgegnet wurde, dass das nur zu mehr Ungerechtigkeit in Deutschland und daraus folgender rechter Hetze führe, wurden verbal die Ohren zugehalten und „Lalala“ gesungen, einem Kind gleich, das gerade erfährt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, diese Wahrheit aber partout nicht hören möchte. Es will viel lieber weiterhin seinen gefüllten Stiefel bekommen, so wie diese Menschen sich viel lieber weiterhin aufregen möchten. Besser, Deutschland führte, wie etwa Ungarn oder Polen, Kontingente für Flüchtlinge ein und verstößt damit genauso gegen EU-Recht, anstatt die übrigen EU-Länder für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen und sie zu ermuntern, das Ganze gemeinsam gebacken zu bekommen.

Vielen Dank für die Blumen

Glücklicherweise wurden Behauptungen, wie, junge männliche Flüchtlinge würden Frauen zum Gruß nicht die Hand schütteln, durch ein paar nette Damen und deren persönliche Erfahrungen schnell wieder entkräftet. Lob geht an die Menschen, die auf Augenhöhe, aufgeschlossen und sachlich miteinander diskutiert haben und bereit waren, sich auf Neues einzulassen. Wie veränderungsbereit eine Gesellschaft letztendlich ist, lässt sich nämlich nicht herbeireden. Das hat auch nichts mit blanken politischen Fakten zu tun. Es hängt vom Willen jedes Einzelnen ab, ob er bereit ist, sich zu verändern und entweder will man oder man will nicht. Wenn die individuelle Ablehnung vieler zur politischen Stimme zusammengefasst wird, nennt man das AfD. Das ändert nichts an der Tatsache, dass es jeder Einzelne mit seinem oder ihrem Gewissen vereinbaren muss, wenn Menschen im Mittelmeer jämmerlich ersaufen. Sich hinter einer Masse, dem sog. Volk, zu verstecken, zeugt nur von den eigenen Gewissensbissen.

Zum Abschluss erhielt jeder geladene Landtagskandidat ein kleines Präsent. Die Männer, wie es sich in unserer ach so gleichgestellten Gesellschaft gehört, bekamen Bier. Frau Erikli hingegen musste sich – dem Wunsche nach eigenem Alkohol zum Trotz – mit einem rosa Blumensträußchen zufrieden geben. Und Herr Friedrich vergaß dann aus lauter Dankbarkeit sein Bier im Pfarrsaal. Tja, da ist das Bier wohl zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

Carla Farré