Ja zur Bürger-Befragung. Aber dann richtig.
Der Konstanzer Oberbürgermeister schlägt vor, die Bürger selbst über ihre Wünsche zur Stadtentwicklung zu befragen. Diesen Vorschlag begrüßt der BUND in einer Medienmitteilung ausdrücklich, hat aber noch weitere Vorschläge.
„Ich finde es richtig, die Bürger über die Stellschrauben im Handlungsprogramm Wohnen entscheiden zu lassen“, kommentiert Antje Boll, Geschäftsführerin des BUND Umweltzentrums, den Vorschlag Burchardts. „Fragen Sie die Bürger, ob sie sich 25%, 50%, 75% oder sogar 100% Anteil an Wohnungen für Geringverdiener wünschen. Fragen Sie die Leute, ob sie es für richtig halten, dass die Stadt an Bauträger teuer verkauft, während bauwillige Konstanzer Familien im Regen stehen gelassen werden.“
Momentan sehe das Handlungsprogramm lediglich eine Quote von 25% für geförderten Wohnbau vor und dies auch nur für 10 Jahre. Nach Ablauf der Mietpreisbindung würden die Probleme von vorne losgehen. „Das ist kein nachhaltiges Wohnbaukonzept für die Bürger dieser Stadt, sondern führt dazu, dass immer mehr Zuzug von außen bedient wird. Diese Art von Wachstumspolitik schadet Mensch und Natur“, meint Antje Boll.
Zum Schwaketenwald zum jetzigen Zeitpunkt eine Abstimmung machen zu lassen, sei fahrlässig und rausgeschmissenes Steuergeld. Zuerst sollte die Verwaltung die rechtlichen Möglichkeiten prüfen, ob der Wald überhaupt gerodet werden darf. Außerdem sollte man feststellen, ob der eiszeitliche Drumlin aus Geschiebemergel mit Steigungen von 20 bis 35 Prozent überhaupt einen bebauungsfähigen Untergrund darstellt. In jedem Fall könne man von so hohen Erschließungskosten ausgehen, dass eine Bebauung für Geringverdiener auch hier nahezu ausgeschlossen sei.
Die Politik spiele mit falschen Karten: Gesagt wird, es soll für Familien, Rentner und Studenten gebaut werden – tatsächlich gebaut werden aber hochpreisige Eigentumswohnungen über Bauträger. „Würde sich die Stadt auf jene Bauten beschränken, für Bürger, gegenüber denen eine besondere Fürsorgepflicht besteht, gäbe es kein Flächenproblem. Auch die Naturschutzverbände könnten diesen sozialen Geschosswohnungsbau mit neuen Wohnraumkonzepten gut mittragen“, so Boll.
MM/hpk
Lieber Herr Bauer,
Sie haben vollkommen recht: Wir haben nicht nur in Konstanz in den letzten Jahren vermehrt Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung sammeln können. Und nicht selten waren es die fehlenden Rahmenbedingungen und ein enttäuschtes Vertrauen, was am Ende dazu führte, dass die Begeisterung über Partizipation nicht überschäumte.
Nachdem die Landesregierung die direktdemokratischen Möglichkeiten gefördert hat, wurde zwar klar, dass die Politik sich bei wichtigen Fragen eine wegweisende Entscheidungskompetenz der Bevölkerung wünscht. Allerdings ist ein bloßes Ankreuzen von „Ja“ oder „Nein“ nur dann als verbindliches und den sozialen Frieden stärkendes Mittel der Ergänzung unserer repräsentativ gestalteten Staatsform nützlich, wenn der eigentlichen Abstimmung eine fundierte Vorbereitung vorausgeht.
Und sie besteht aus Information, aus Transparenz und dem Willen, auf Augenhöhe miteinander Tatsachen auszutauschen, auf deren Basis rationale Meinungsabwägungen zustande kommen. Insofern begrüße ich auch Ihre Anregung, wonach sich der Gemeinderat als gewählte Volksvertretung intensiv mit der Formulierung der Fragestellung beschäftigt und sich daneben – in Zusammenarbeit mit der Verwaltung – um eine breite Aufklärung bemüht. Dazu gehört das Offenlegen unterschiedlicher Argumente, rechtlicher Möglichkeiten und utopielsoer Perspektiven ohne ideologische Beeinflussung oder persönliche Prognosen.
Möglicherweise ist bis zu der entscheidenden Phase der Bürgerbefragung auch die seit längerem in abgeschirmtem Kreise debattierte und in Erarbeitung stehende Leitlinie der Arbeitsgruppe für Bürgerbeteiligung in der Stadt Konstanz öffentlich – und gibt uns genau diesen strukturierten Weg vor, der Bürgerbeteiligung (egal, in welcher Ausformung sie letztlich zur Anwendung kommt) allseits zu einem akzeptierten und ehrlich angesehenen Mittel der Politik-Verwaltung-Bürger – Kommunikation werden lässt.
Ob am Ende ein festes Votum des Wahlvolkes steht oder die Partizipation „lediglich“ als ein Einbeziehen in die politische Debatte und Entscheidungsprozesse (wie oftmals bei baulichen Angelegenheiten schon heute vielfach praktiziert) daherkommt: Mir ist es lieber, wenn wir uns dafür Zeit nehmen und entsprechend ausführlich vor- und gleichzeitig fair miteinander umgehen, als eine Bürgerbefragung nur um des Symbolcharakters willen im Hau-Ruck – Verfahren durchzuziehen…
Ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2016!
Dennis Riehle
Eine Anmerkung zum bezahlbaren Wohnraum.
Bezahlbar ist ein schwammiger Begriff, wenn das Einkommen dazu nicht feststeht.
Berechnungsfaktoren:
1. Studien gehen davon aus, dass 25% des Nettoeinkommens zur Verwendung der Warmmiete zumutbar sind.
2. Zwischen der letzten Mietspiegelanpassung 2013 und dem neuen, empirisch belegten Mietspiegel 2015 in Konstanz, bestand eine Teuerung von 9,1%.
3. Die Sozialmieten sind in Konstanz so definiert, dass sie 90% der ortsüblichen Mieten betragen dürfen.
4. Der Unterschied zwischen Warm- und Kaltmiete beträgt ca. 20%, unterliegt aber starken Schwankungen in den einzelnen Häusern.
5. Im Konstanzer Mietspiegel 2015 kostet in der Grundtabelle (ohne Zuschläge für Lage und Ausstattung …) ein Neubau bei 20 qm 15,32 EUR/qm, bei 80 qm (für eine Familie) 9,02 EUR/qm.
Eine neu gebaute Sozialwohnung kostet daher bei Bezug in zwei Jahren:
– bei 20 qm: (15,32 EUR/qm + 20% Warmzuschlag + 9,1 % Teuerungszuschlag, -10% Sozialmietenabschlag x 20 qm) 364 EUR.
Dieser Preis ist zumutbar ab einem Nettogehalt von 1.457 EUR.
– bei 80 qm für eine Familie mit obiger Berechnung (insgesamt jetzige Neubaumiete x 1,178): 858 EUR.
Dieser Preis ist zumutbar ab einem Nettogehalt von 3.433 EUR.
Das sind die Zahlen des Mietspiegels. Die Stadt geht von neuen Mieten von unter 8 EUR/qm, bzw. 8-10 EUR/qm im überwiegenden Teil aus.
Vorgesehen sind nur 500 Wohnungen im Sozialmietenbereich. Zum Vergleich: bei der Wobak umfasst die Warteliste ca. 3000 Suchende. Ca. 300-400 Wohnungen werden dort pro Jahr neu vergeben. Der Bedarf wurde vor der großen Fluchtwelle berechnet. Meines Erachtens damals schon deutlich unzureichend, wenn allein nur die zu erwartende Altersarmut durch Minijobber in Rente berücksichtigt wird.
Zum Vergleich auch aus der aktuellen Diskussion: unterstes Schauspielergehalt 1.100 EUR netto.
Der Bedarf für preisgünstigen Wohnraum und der Handlungsbedarf dazu ist offensichtlich. Das macht die Stadt richtig. Der Anteil der preisgünstigen Wohnungen in EUR/qm muss jedoch deutlich höher ausfallen. Dazu sind erhebliche finanzielle Mittel bereit zu stellen. Und es bedarf der Erläuterung, wie diese preisgünstigen Wohnungen unter 8 EUR/qm trotz der jetzt schon höheren Mietpreise, die letztlich die Bau-und Bodenkosten widerspiegeln, erreicht werden sollen.
Ob Konstanz ausreichend Fläche hat, um den Wohnbedarf in der Breite statt in der Höhe zu erfüllen, steht auf einem Extrablatt.
Bernhard Wittlinger
Ja! Sehr einverstanden.
Jedoch: Die Abstimmungsfrage muss noch formuliert werden und das ist die Aufgabe unserer gewählten Vertreter im Gemeinderat.
Lieber Christoph Bauer,
Ich biete Ihnen zum Thema folgende Grundeinstellung an, die ich auch bei der vergangenen Gemeinderatssitzung so formuliert habe: „Wir sollten es tunlichst vermeiden, hochgekochte Emotionen vor die jeweiligen Pro- und Contra-Argumente zu stellen. Will heißen: Wer für das Projekt votiert, ist deswegen noch lange kein Umweltbanause ohne Sinn und Verstand. Und wer sich dagegen ausspricht, sollte auch nicht hören müssen, dass es ihm allein darum ginge, mit einer pathologischen Verweigerungshaltung den Bau günstigen Wohnraums zu verhindern“. Einverstanden?
Die Politik spielt nicht mit falschen Karten!
Die Politik beginnt gerade damit, die Karten auf den Tisch zu legen.
Natürlich müssen vor einem Bürgerbescheid noch viele Fragen gestellt und auch beantwortet werden.
Dass Frau Boll vom BUND, schon alle Antworten auf noch nicht gestellte Fragen zu kennen scheint, ist wirklich erstaunlich.
Sie weiß jetzt schon, dass hochpreisige Eigentumswohnungen über Bauträger gebaut werden sollen, sie fabuliert über eiszeitlichen Drumlin aus Geschiebemergel an nicht bebaubare Steilhängen und scheint jetzt schon die hohen Erschließungskosten zu kennen….
Ich finde es, gelinde gesagt schade, dass die ökokonservative Ecke einen Wahlkampf eröffnet, der so geführt, die Stadt entzweien wird und dessen Fragestellungen noch nicht ansatzweise geklärt sind.
Machen wir doch eine Bürgerbefragung über die Fragen der Bürgerbefragung, oder Fragen wir einfach den BUND, der kennt sie.
Wenn wir alle Bürgerbeteiligung wollen, dann bitte schaffen und akzeptieren wir die Grundvoraussetzung für dieses demokratische Instrument, nämlich ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen und Respekt vor demokratischen Regeln.