Ein anderes Weihnachten in Palästina
„Ein Volk so zu behandeln wie die Palästinenser, ist nicht jüdisch. Und es ist nicht antisemitisch, dagegen zu sein.“ (Rami Elhanan, Israeli, Jude, Sohn von Holocaust-Überlebenden und Vater eines getöteten Kindes – „Parents-Circle“, Israel/Palästina). Solche Zeugnisse und Eindrücke bringt die Konstanzerin Doris Künzel von einer Begegnungs-und Solidaritätsreise nach Palästina/Israel mit.
„Eingesperrt und umgeben von hohen Mauern“
… das ist kein Sinnbild, sondern Realität für die Palästinenser im Westjordanland. Der Anblick der neun Meter hohen Betonmauer, die das Westjordanland umschließt, war dann auch mein erster Eindruck, der das Gefühl von tiefer Beklemmung bis zum Ende der Reise bei mir anhalten ließ. Seit 2003 auf palästinensischem Grund erbaut, ist diese Mauer, die die israelische Regierung als Schutzwall gegen terroristische Attentäter bezeichnet, mit einer Länge von derzeit 500 Kilometer illegal. Sie verstößt gegen das Völkerrecht, so hat der Internationale Gerichtshof 2004 entschieden. Sie trennt wichtige Zufahrts- und alte Handelsstraßen, trennt ganze Familien, trennt Bauern von ihren Feldern, Schüler von ihren Schulen, Arbeiter von ihrem Arbeitsplatz und kranke Menschen von den Krankenhäusern. Ausgestattet mit 600 Checkpoints, Stacheldraht und elektrischen Anlagen, bestimmt sie den Alltag und das Leben der Palästinenser. 4,6 Millionen Euro wurden für sie veranschlagt und ihr Bau von insgesamt 760 Kilometer Länge hält bis heute unter strengster, militärischer Bewachung an.
So wurde unsere Gruppe gleich zu Beginn unserer Reise Zeuge und Teilnehmer einer Protestandacht gegen weitere Baumaßnahmen im Cremisantal nahe Bethlehem. Zehn Jahre hatte das christliche Kloster Cremisan dagegen geklagt, dass seine 0livenhaine mit bis zu zweitausend Jahre alten Bäumen dem Bau der Mauer bei Beit Jala zum Opfer fallen und 58 Familien dadurch enteignet und vertrieben werden. Vergeblich.
Wie viele Tage zuvor, hatten auch an diesem Morgen die beiden Priester Akthem Hijazin und Saliba Rishmawi ihren provisorischen Altar vor der Baustelle aufgebaut. Um ihn hatten sich die betroffenen Familien, Mitglieder von Menschenrechtsgruppen und unsere Reisegruppe versammelt.
Eine große Anzahl von Militärjeeps, Soldaten mit Maschinenpistolen, Polizeifahrzeuge und Sicherheitskräften waren vor und hinter der Absperrung aufgestellt, um die Baumaßnahmen zu sichern. Bagger und Bulldozer warteten hinter einem Zaun in einiger Entfernung. Es herrschte sichtlich große Nervosität. Wir Ausländer waren hier ganz offenbar ungebetene „Zaungäste“.
Die bewegenden und zornigen Reden der Priester gegen die anhaltende Besatzung, die Enteignung der Familien und die bevorstehende Landzerstörung trieb manchem Anwesenden Tränen der Ohnmacht, Trauer und Wut in die Augen. Hilflos standen wir mit unserer Pacefahne vor den Soldaten und unser Gesang von „We shall overcome“ wurde in diesem Augenblick von den heranfahrenden Baggern und Bulldozern übertönt. Eine Woche später, so erfuhren wir, sind die Olivenbäume herausgerissen, ist das Gelände plattgewalzt, das Fundament der Mauer gegossen und das schöne Tal zerstört.
Beeindruckend waren für mich an diesem Vormittag das überzeugte Eintreten der beiden Priester gegen das Unrecht der Besatzung und seine Folgen für die Menschen. Dieses unbeirrbare, mutige Engagement fanden wir bei allen unseren Gesprächspartnern der von uns besuchten Friedens- und Menschenrechtsgruppen.
„ICAHD“ – Israeli Committee Against Hausing Demolation
Jessica, eine junge Israeli, Kriegsdienstverweigerin und Aktivistin, berichtet uns bei einer Fahrt durch Ost-Jerusalem über das Ausmaß und die Methoden der Hauszerstörungen bei palästinensischen Familien. Allein 562 palästinensische Häuser und Unterkünfte wurden dieses Jahr in Ost-Jerusalem und der Westbank zerstört, 27 000 Häuser insgesamt seit der Besatzung 1967. Dabei ist die Vorgehensweise für unsere Verhältnisse kaum vorstellbar: Es genügt, dass die Behörden zwei Tage zuvor ein Schreiben an die Haustüre heften mit dem Hinweis, dass das Haus abgerissen wird und die Bewohner ihre Habe zusammenpacken und das Haus verlassen sollen. Gründe dafür sind entweder die Enteignung aufgrund von „Sicherheitsinteressen“ des israelischen Staates oder, dass ein Nachweis (aus osmanischer Zeit!) für den Besitz des Grundes fehlt oder Vergeltungsmaßnahmen gegen die gesamte Familie eines Attentäters. Dann rücken nach zwei Tagen unter Militär- und Polizeiaufsicht die Bulldozer an und reißen das Haus ein. Zynischerweise erhält die Familie danach eine Rechnung für den Abriss und die Entsorgung des Schutts.
„ICAHD“ hat sich zur Aufgabe gemacht, den betroffenen Familien beizustehen, indem es mit Hilfe von Anwälten versucht, den Abriss zu stoppen und falls dies nicht gelingt, den Abriss zu blockieren. Auch wenn der Abriss nicht verhindert werden kann, so gewähren die AktivistInnen von „ICAHD“ doch moralischen Beistand und Solidarität, machen Öffentlichkeitsarbeit und versuchen, den obdachlosen Familien zu helfen.
An einem Aussichtspunkt erklärt uns Jessica anhand einer Karte den Plan der israelischen Regierung für ein „Greater Jerusalem“, bei dem um die Stadt herum systematisch neue Siedlungen gebaut werden. Sie zeigt in der Ferne in die karge Landschaft und berichtet von der Absicht der Regierung, die palästinensische Wüste von all ihren Bewohnern frei zu machen, um das Land für militärische Zwecke zu nutzen und um dort Siedlungen zu bauen. Betroffen sind 62 Prozent der Fläche des Westbankgebiets von Jerusalem, Jericho, Anata, El-Azarija und Abu Dis bis zum Toten Meer. 12.500 palästinensische Beduinen sollen der zwangsweisen Vertreibung und diesem groß angelegten „Landraub“, wie Menschenrechtsgruppen das Vorhaben nennen, zum Opfer fallen.
200 000 jüdische Siedler leben inzwischen in Ost-Jerusalem und ca. 400 000 in den Siedlungen des besetzten Westjordanlands. Sie alle sind illegal, weil nach internationalem Recht die Besatzer das Land nicht für eigene Zwecke nutzen dürfen. Trotz mehrerer UN- und EU-Resolutionen hält ihr rasanter Ausbau jedoch unvermindert an und schafft so unverrückbare Fakten. Es stellt sich mir nach diesem Vortrag, mit Blick auf die Landkarte, die Frage, wo, wenn überhaupt, denn hier jemals ein palästinensischer Staat entstehen soll.
„Rabbis for Human Rights“(RHR)
1988 gegründet, bezeichnen sich die Rabbiner für Menschenrechte als „Stimme des Gewissens“. „Tikun Olam“, bedeutet: „die Welt reparieren“ – dies sei der Grundsatz seiner Organisation, erklärt Rabbi Yehiel Grenimann bei unserem Treffen in Jerusalem. Ihr Vorbild ist Rabbi Abraham Josua Heschel, der in den USA für die Rechte der schwarzen Bevölkerung eintrat. Ein Foto im Büro von RHR zeigt ihn an der Seite von Martin Luther King auf dem berühmten Marsch von Selma (USA), 1965.
Die Arbeit von „Rabbis for Human Rights“ besteht aus Aktionen des zivilen Ungehorsams, z.B. bei Hauszerstörungen, anwaltlicher Begleitung bei Landenteignungen und dem Schutz palästinensischer Bauern bei der Olivenernte. Sie versuchen, Hassverbrechen zu verhindern und Palästinenser vor Angriffen radikaler Siedler zu schützen, beraten junge Menschen bei Kriegsdienstverweigerung und stehen ihnen bei, wenn ihnen dafür Gefängnisstrafen drohen. In ihrer Bildungsarbeit versuchen sie aufzuklären, dass die Verletzung von Menschenrechten an der palästinensischen Bevölkerung, wie sie vom israelischen Staat begangen wird, nicht mit dem Judentum vereinbar ist.
„Zochrot“ (Erinnerung) in Tel Aviv
Im Flur fällt unser Blick auf ein altes touristisches Werbeplakat „Visit Palestine“ und eine hebräische Landkarte, die mit schwarzen Punkten übersät ist. Sie kennzeichnen die 600 palästinensischen Städte und Dörfer, die 1948 von jüdischen militärischen Einheiten dem Erdboden gleichgemacht wurden. Von 950 000 palästinensischen Bewohnern wurden damals 800 000 in die Flucht getrieben.
„Um den Konflikt zu verstehen und um eine Lösung zu finden, muss die israelische Gesellschaft anerkennen, dass zur Geschichte und Staatsgründung Israels 1948 auch die „Nakba“ (arab. Katastrophe, Vertreibung der Palästinenser 1948) gehört“, so Umar Al-Ghubari, unser Gesprächspartner. Die Aufklärung und Aufarbeitung der „Nakba“ in der israelischen Bevölkerung, insbesondere bei der Jugend, die wenig von dieser Geschichte weiß, ist das Hauptanliegen von „Zochrot“.
Die Organisation unternimmt Exkursionen mit palästinensischen Zeitzeugen an die historischen Orte der Zerstörung, bei denen die Geschichte der ehemaligen Dörfer und ihrer Bewohner erzählt wird. Inmitten der verbliebenen Steine werden erneut Ortsschilder mit den palästinensischen Namen zur Erinnerung aufgestellt. Die Geschichte der Dörfer wird in Broschüren festgehalten und in Filmen werden die Aussagen der Zeitzeugen und die Exkursionen dokumentiert.
„Zochrot“ ist es untersagt, solche Filme in der Öffentlichkeit zu zeigen, und in den Schulen Israels ist es den LehrerInnen verboten, über die „Nakba“ zu sprechen. Trotz solcher Verbote setzen die AktivistInnen von „Zochrot“ unbeirrbar ihre Arbeit fort, gerade auch dadurch, dass sie versuchen, ehemalige palästinensische Dörfer wieder aufzubauen. Mit der Erstellung einer Nakba-App, mit deren Hilfe die Orte gefunden werden können, hat „Zochrot“ in Israel inzwischen viel Aufsehen erregt.
„Tent of Nations“
„Wir weigern uns Feinde zu sein“, ist auf einem großen Stein am Eingang des Grundstücks des Palästinensers Daoud Nassar zu lesen. Bevor wir das Gelände erreichen, müssen wir aus unserem Bus aussteigen und einen längeren Fußweg zurücklegen. Die Zufahrtsstraße zu Daoud Nassars Land wurde von israelischen Behörden mit Bauschutt versperrt.
Daoud Nassar kämpft seit 1991 um sein eigenes Land, für das er eine rechtmäßige Urkunde aus dem Jahr 1916 besitzt. 160 000 Dollar hat ihn der Rechtsstreit mit dem israelischen Staat, der auf seinem Hügel eine weitere Siedlung bauen will, bisher gekostet. Seitdem erhält Daoud Nassar keine Baugenehmigung für ein Haus, ja, noch nicht einmal für ein Zelt. Unser Gespräch mit ihm findet deshalb in einer Art Erdhöhle statt. Er erzählt, dass das Land schon immer von seiner Familie bewirtschaftet wurde und dort sowohl Oliven, Wein und Früchte angebaut wurden. Obwohl seine Familie selbst nicht auf dem Hügel leben kann, ist er dennoch gezwungen, das Land zu bewirtschaften, denn ließe er es brach liegen, würde es automatisch nach drei Jahren dem israelischen Staat zufallen. Auch mit Gewalt wurde immer wieder versucht, ihm sein Land wegzunehmen. So haben Siedler aus der Umgebung vor einiger Zeit 250 alte Olivenbäume zerstört und vom Militär wurden 1400 Aprikosenbäume kurz vor der Ernte abgeholzt.
Trotz allem weigert sich Daoud Nassar, ein Feind der Israelis zu sein. Im Gegenteil, er lädt sie auf sein Grundstück ein und inzwischen haben einige Siedler den Weg, wenn auch zunächst aus Neugierde, zu ihm gefunden. Sie sind überrascht, dass Daoud Nassar noch nicht einmal einen öffentlichen Zugang zu Wasser für seinen Landbau hat, obwohl gegenüber in der jüdischen Siedlung viele Swimmingpools mit Wasser gefüllt sind. Sie beginnen, sich für seine Geschichte zu interessieren und haben ihm auch schon ihre Hilfe angeboten. Solche Kontakte wurden ihnen jedoch vom israelischen Militär verboten.
Der Streit um Daoud Nassars Grundstück hat inzwischen internationale Öffentlichkeit erlangt. „Tent of Nations“ hat er sein Gelände genannt, auf dem er ungebrochen für jeden ausgerissenen Baum einen neuen Setzling pflanzt. Viele junge Menschen aus allen Teilen der Welt sind ihm inzwischen als Volontäre dabei behilflich. Gemeinsam mit ihnen veranstaltet er für Kinder und Jugendliche kreative Workshops, Sommercamps sowie eine Zeltschule für Bildungsarbeit. Am 05.Mai 2016 feiert er den 100. Geburtstag seines Landes und lädt die Welt dazu ein.
„Neve Shalom/Wahat al Salam“ (Oase des Friedens)
Die Weigerung, Feinde zu sein, der Wille zur Versöhnung und zu einem friedlichen Zusammenleben auf der Basis gleicher Rechte, haben wir auf unserer Reise bei vielen Menschen und Organisationen gefunden. So waren für mich die Philosophie, die Arbeit und das Zusammenleben von 60 arabischen und jüdischen Familien im Dorf „Neve Shalom/Wahat al Salam“ (Oase des Friedens) beispielhaft.
Tief beeindruckt hat mich auch die Versöhnungsarbeit von „Parents Circle-Families Forum“, einem Zusammenschluss von israelischen und palästinensischen Eltern, deren Kinder entweder von israelischen Soldaten oder bei einem palästinensischen Attentat getötet wurden. Rami Elhanan (Israeli) und Georg Christ (Palästinenser) bezeichnen sich heute als Brüder, in deren Adern das gleiche rote Blut fließt und die den gleichen Schmerz und die gleiche Trauer über den Verlust ihrer Kinder empfinden. Bei gemeinsamen Veranstaltungen erzählen sie ihr Schicksal und fordern zur Versöhnung auf.
Auch die Bildungs- Jugend- und Frauenarbeit von „Arab Education Institut“ (AEI), der christlich palästinensischen Partnerorganisation von „Pax Christi“ und die Organisation „Dyar“ von Reverend Dr. Mitri Raheb, leisten einen unschätzbaren Beitrag in der palästinensischen Gesellschaft, die gekennzeichnet ist durch das Unrecht der Besatzung, durch Mangel, Armut, Demütigung und Diskriminierung. Insbesondere versuchen sie, der Jugend, die ohne Hoffnung und Perspektive ist, Halt, Sinn und Lebensfreude zu geben.
So positiv die Begegnung mit diesen Menschen auf dieser Reise für mich war, so bedrückend und deprimierend waren für mich die gesamte Atmosphäre und die Bilder, die dieses Land unter der israelischen Besatzung kennzeichnen: Immer wieder die aus allen Himmelsrichtungen gut sichtbare, kilometerlange Mauer mit Wachtürmen und Stacheldraht, die die Landschaft prägt. Schwer bewachte Checkpoints an den Straßen mit Sperranlagen und käfigartigen Tunnels als Durchgänge, durch die sich täglich tausende PalästinenserInnen auf ihrem Weg zur Arbeit drängen. Überall – ob in den Bazars, der Synagoge, auf den Straßen und Plätzen, unzählige, mit Maschinenpistolen bewaffnete Soldaten, deren Anblick allein Beklemmung und Furcht auslösen. Ihre massive Präsenz, insbesondere in Hebron und am Eingang des Flüchtlingslagers Aida/Bethlehem, stellt nicht nur für mich eine Provokation dar. Eine Gruppe kleiner Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren wirft aus dem Lager mit Steinen nach ihnen und der Geruch von Tränengas hängt bei unserem Besuch noch in der Luft.
Die massiven Unterschiede, die wir in den jeweiligen Ortschaften erlebten: Hier sattes Grün von Bäumen und Blumen, moderne Häuser mit Swimmingpools, Parks mit Teichen, eine gut ausgebaute Infrastruktur mit modernen Läden und Cafés in den jüdischen Siedlungen und West-Jerusalem. Dort Dürre, Staub, Müllberge (die israelische Müllabfuhr verweigert den Abtransport), Bauschutt von abgerissenen Häusern oder halbfertigen Gebäuden, provisorische, schlechte Straßen und schwarze Wassertanks auf den Häusern in den palästinensischen Gebieten. Lediglich 30-70 Liter Wasser stehen jedem Palästinenser täglich zur Verfügung, im Gegensatz zu den 300 Litern, die ein Israeli verbrauchen kann (UNO 2012). Überall ist die Armut der Menschen – 75 Prozent der PalästinenserInnen leben unterhalb der Armutsgrenze – deutlich sichtbar.
Auf den nagelneuen, sauberen Straßen und Autobahnen dürfen nur Israelis und keine Palästinenser fahren, was die Polizei anhand der Nummernschilder überprüft. Palästinenser müssen deshalb oft stundenlange Umwege auf Landstraßen in Kauf nehmen, um beispielsweise in ein Krankenhaus oder zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Immer wieder Hinweisschilder, die entweder den Zutritt für Palästinenser oder den Zutritt für Israelis untersagen. Überhaupt, so habe ich den Eindruck, sollen Israelis keinen Kontakt zur palästinensischen Bevölkerung haben. Wo immer möglich, wird verhindert, dass sie miteinander verkehren und sich gegenseitig kennenlernen.
Am Ende der Reise erinnert mich die Situation an den Satz des südafrikanischen Bischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu vom Juni 2014, in welchem er Israel den Vorwurf eines „Apartheid-Staats“ macht: „Die Nachhaltigkeit von Israels Heimat und damit für das jüdische Volk war schon immer abhängig von seiner Fähigkeit, Gerechtigkeit für die Palästinenser zu liefern. Ich weiß aus erster Hand, dass Israel eine Apartheid-Realität innerhalb seiner Grenzen und durch seine Tätigkeit erstellt. Die Parallelen zu meinem eigenen, geliebten Südafrika sind in der Tat schmerzhaft stark.“ In einem Brief an den Deutschen Evangelischen Kirchentag vom Mai 2015 fordert Bischof Desmond Tutu deshalb den Boykott und Sanktionen gegen Israel, wie sie auch in den 80-er Jahren gegen Südafrikas Apartheidsregime von vielen Ländern verhängt wurden.
Zurück in Deutschland, erreichen uns wenige Tage später die Nachrichten von den Unruhen auf dem Tempelberg, den Messerangriffen junger Palästinenser auf Soldaten und Israelis. Für unsere Reisegruppe war dies vorhersehbar. In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten wir davor gewarnt: „Das Fehlen einer politischen Entwicklung und Israels illegale Siedlungspolitik sowie die harte und unnötige Maßnahme, palästinensische Häuser zu zerstören, haben den gewalttätigen Extremismus auf beiden Seiten erhöht.“ (Ban Ki Moon, UN Generalsekretär August 2015 nach einem tödlichen Anschlag orthodoxer jüdischer Siedler auf eine palästinensische Familie.)
Zu einer ähnlichen Einschätzung ist auch unsere Gruppe nach dieser Reise gekommen. Fehlende Perspektiven, große Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht sowie das Gefühl, in einem großen Gefängnis zu leben, lässt viele junge Palästinenser heute wieder zu Steinen und Messern greifen. Die Antwort des israelischen Staates darauf sind erneut harte Vergeltungs- und Strafmaßnahmen und vielfach auch die Ermordung dieser meist jungen Menschen ohne Anklage, Prozess und Urteil. Allen dürfte klar sein, dass dies keine Lösung ist. Was sie hingegen brauchen ist Friede, Hoffnung und eine Lebensperspektive.
Doris Künzel, Konstanz
Ein ausführliches Reisetagebuch unserer Gruppe und ein Fotokalender 2016 mit beeindruckenden Fotos über diese Reise kann zu je 7 Euro über Doris Künzel, doris.kuenzel@freenet.de oder „Pax Christi“ Augsburg, augsburg@paxchristi.de, www.augsburg.paxchristi.de, bestellt werden.
Weitere Infos:
www.icahd.org
www.nswas.com
www.rhr.org.il/eng/
www.tentofnations.org
www.theparentscircle.org
www.aeicenter.org
In keinem anderen Land der Region haben die dort lebenden Araber so viele Rechte, wie in Israel. Israel ist der einzige Staat der Region, in welchem man sich öffentlich zum Atheismus, zum Christentum, zum … bekennen oder sich als Frau mit kurzem Rock zeigen kann, ohne um sein Leben fürchten zu müssen oder befürchten muss, ausgepeitscht zu werden. Nur in Israel haben bekennende Schwule wenigstens eine Chance, ein anständiges Leben zu führen, während sie in benachbarten Ländern z.T. von den eigenen Familien in den Tod getrieben werden.
(Link: Homosexuellen in Palästina bleibt nur die Flucht ins Feindesland – http://lysis.blogsport.de/2005/10/25/sollen-sie-ruhig-denken-das-ich-tot-bin/ Original: FAZ)
In Israel gibt es eine riesige Auswahl an Weltliteratur und Weltpresse, die dem, was man in al-len Nachbarstaaten zusammen kaufen kann weit, weit überlegen ist – von „Mein Kampf“ mal abgesehen, den man in arabischen Ländern oder der Türkei leicht bekommt.
Und dennoch darf natürlich auch Israel kritisiert werden. Aber woher kommt diese Besessenheit (sic!) von zu Vielen, sich immer wieder und ausgerechnet Israel vornehmen zu müssen? Kümmert Euch um die Hinrichtungen im Iran (über 700 Todesurteile, 1. Jahreshälfte 2015), Saudi-Arabien (100, 1. Jahreshälfte 2015). Kümmert euch um die Gleichberechtigung der Frauen in Ägypten, Saudi-Arabien, Iran, Gaza, wo auch immer in der Region! Kümmert Euch um die Religionsfreiheit in Gaza oder der Westbank! Kümmert Euch nur einmal um die Apartheit in Bahrein! Reist nach Gaza, stellt euch auf einen Platz und ruft „Es gibt keinen Gott!“ oder gar „Ich bin Jude!“. Wenn ihr das ein paar Jahre lang gemacht haben werdet, ja dann …
In diesem Artikel wird in keiner Weise antisemitisch argumentiert, sondern von persönlichen Erfahrungen und Begegnungen einer sehr ambitionierten Reise berichtet.
Es werden Fakten aufgelistet, nicht mehr und nicht weniger.
Menschenrechtsverletzungen, egal von wem begangen, müssen öffentlich gemacht werden.
Kleines Rätsel: Aus welchem Ministerium stammen die hier zitierten Aussagen zu den Gefahren der „Rassenmischung“:
„Die Gegner des Romans im Ministerium machten geltend, dass es notwendig sei, die «Identität und das Erbe von Schülern in jedem Sektor» zu bewahren, sowie der Glaube, dass «intime Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden die separate Identität bedrohen würden». Zudem zeigte das Bildungsministerium sich besorgt darüber, dass «junge heranwachsende Menschen nicht über die systemische Sicht verfügten, welche Betrachtungen einschliessen, zu denen die Bewahrung der national-ethnischen Identität des Volkes und die Bedeutung der Rassenmischung gehören».“
Also, wer war’s? a) das Ministerium von J. Goebbels oder b) das Bildungsministerium Südafrikas vor Aufhebung der Apartheid oder c) das israelische Bildungsministerium 2015? Richtig geraten: c. Das ist die Begründung zum Verbot einer Romanlektüre über eine Beziehung einer Israelin zu einem Palästinenser. Der zitierte Text erschien in der jüdischen Schweizer Zeitung „Tachles“ vom 1. Januar 2016. Man braucht offensichtlich niemanden aus anderen Staaten, um den Verdacht der Apartheid aufkommen zu lassen. Das besorgen israelische Ministerien ganz alleine.
Es ist mir völlig unverständlich, wie man diesem Artikel Antisemitismus unterstellen kann. Er richtet sich in keinster Weise gegen „Juden“ oder gar das „Judentum“. Er drückt die Kritik der israelischen Menschenrechtsorganisationen ( sind sie denn auch antisemitisch?) an der Politik des Staates Israels gegenüber den Palästinensern aus. Er gibt wieder, was UN, EU und der UNO Generalsekretär Ban Ki Moon kritsieren, illegalen Siedlungsbau, Hauszerstörungen und Willkür. Und Bischof Desmond Tutu aus Südafrika versteht von Apartheid sicherlich mehr als die Linksjugend in Deutschland. Es geht hier aber offensichtlich nicht um Inhalte sondern boshafte Unterstellungen um kritische Menschen mundtot zu machen.
Ich kann Christoph Linge nur beipflichten. Natürlich ist nicht jede Kritik am Staat Israel per se antisemitisch. Aber der Reflex, das Tempo und der Unterton, den man dieser Kritik leider zumeist entnehmen kann, sind doch mehr als nur vage Indizien für Antisemitismus.
Natürlich können zwei das Gleiche sagen und dennoch grundverschiedene Haltungen zu Israel haben. Aber ich würde in der Öffentlichkeit oder in einem solchen Artikel eben Dinge, die auch ich vielleicht zu kritisieren hätte, nicht sagen. Warum? Ich will auch nicht das klitzekleinste bisschen Zustimmung derer, die Israel – und mithin die Juden – als das Grundübel ansehen!
Und diese müsste doch eigentlich jedem Autor bewusst sein – und zwar bevor er mit seinem Text in die Öffentlichkeit geht.
Wie gehen wir heute mit Kritik an Israel um? Es scheint nahezu undenkbar geworden zu sein, kritische Worte an den Staat Israel, seine Regierung und ihre Politik zu richten, ohne, dass diese als antisemitisch verstanden wird. Dabei bin ich überzeugt, dass viele Zeilen, die heute so gedeutet werden, tatsächlich nicht an das Volk Israels, sondern seine politischen Repräsentanten gerichtet sind. Gleichsam verunmöglichen diejenigen, die die Unterscheidung zwischen Religion und Politik, zwischen Staat und Volk bewusst unterlassen (Christoph Linge hat hier richtigerweise einige Paradebeispiele aufgezählt), eine legitime Kritik an politischen Strategien eines Landes, die auch Israel – wie jede andere Nation – ertragen muss.
Eine berechtigte Kritik kann es aber dann nur geben, wenn sie mit Augenmaß betrieben und eindeutig formuliert wird. Nicht „Juden“ sind die Empfänger, nicht „Israelis“ – in der Regel ist der Adressat die israelische Regierung, sind es möglicherweise politische Strömungen im Judentum, die genauso wenig als Exempel für eine Religion oder ein Volk herangezogen werden können wie „Islamisten“ oder „Araber“ für den Islam oder ein muslimisch geprägtes Land.
Ich gebe zu, auch mir fällt die Wortwahl nicht immer leicht, werden wir durch die Einfachheit des Pauschalisierens doch geradezu verleitet, von komplizierter Differenzierung Abstand zu nehmen. Aber gerade dort, wo es um heikle Themen geht – wie im Nahen Osten -, muss es uns etwas mehr Genauigkeit und auch Zeit wert sein, Unterschiede deutlich herauszuarbeiten. Lassen wir uns dabei nicht von den Polemikern irritieren oder uns aus Resignation vor dem „Stammtisch-Vulgus“ vereinnahmen. Mit Schattierungen werden wir allemal gerechter – und sei es nur als Zeichen dafür, dass Rassismus, Torheit und vor allem Hass keinen Platz bei uns haben dürfen…
Wäre schön, man würde sich mal an das Schweigen im Winter 2013 erinnern, als vor aller Augen palästinensische Kinder in Yarmouk (dem palästinensischen Stadtteil von Damaskus) verhungerten. Das hatte das Assad-Regime, Teil der “Achse des Widerstandes” gegen Imperialismus und Zionsimus, so angeordnet und durchgeführt:
Mit Fassbomben und Hungerbelagerung.
Dazu gab es von Pax Christi, Friedensfreunden, Ärzten für das Gute usw. eher wenig bis nichts zu hören.
Da erhebt sich schon die Frage, wieso man sich für Wohl und Wehe der Palästinenser genau dann interessiert, wenn man sich dabei in ellenlangen Anwürfen gegen Israel als „Judenstaat“ ergehen kann.
Dass kritische Israelis Verhalten und Vorgehen „ihres“ Staates reflektieren und in Frage stellen, ist richtig und ehrenwert.
Daraus für sich selbst die „Generalabsolution“ abzuleiten, man sei deswegen mit gleichlautender Kritik an Israel keinesfalls Antisemit, ist fadenscheinig:
Sagen 2 das Gleiche, muss das noch lange nicht das Selbe bedeuten.
Vorwürfe wie den der „Apartheit“ in Richtung Israel sieht so (auch) die Linksjugend „problematisch, weil sie zumeist antisemitisch sind.“ (Beschluss auf dem BK vom 19. 4 2015 in Erfurt).
PS: Wer die Messerattacken von Palästinensern auf Juden, eben weil sie Juden sind, „versteht“, der hat wenig begriffen, was „Wenn`s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht`s nochmal so gut“ bedeutet.
Mit diesem munteren Liedchen zog man vor 75 Jahren hierzulande durch die Gassen. Was hinter sowas steht, sollte man im „Nie-Wieder-Land“ eigentlich begriffen haben.
Friede, Hoffnung, Lebensperspektive sind leicht zu erreichen. Es gibt nur zwei kleine Bedingungen die die Palästinenser erfüllen müssen:
1. Anerkennung des Existenzrechtes Israels.
2. Aufhören Juden zu ermorden.
„Friede, Hoffnung, Lebensperspektive“ sind verständnisvolle Begriffe am Schluss dieser Reisebeschreibung aus Palästina. Die Frage ist nur, welcher Weg führt zu diesen Zielen. Seit der UNO-Teilung von 1947 in einen jüdischen und einen arabischen Teil, sowie der darauf folgenden Konstituierung des Staates „Israel“ von 1948, wurden immer wieder „Friedensbemühungen“ unternommen. Nur zwei davon aus jüngerer Zeit: 1993 versuchte selbst der Kämpfer Arafat mit Rabin – unter Vermittlung von Clinton – einen gültigen Friedensvertrag auszuhandeln. Und die Roadmap von 2000 als Folge des Osloer Friedensprozesses sah direkt eine „Zweistaatenlösung“ vor. Aber gleichzeitig wird von „gewissen Staaten“ Israel das Existenzrecht noch immer abgesprochen. Das Bittere ist: Wie eine Lösung des Konflikts aussehen könnte – ja kann! – , wissen viele der direkt Beteiligten. Nur keiner kennt den genauen Weg dorthin – oder besser: will ihn begehen. Vielleicht könnte wenigsten eine wirtschaftliche und soziale Verbesserung „für wirklich alle Menschen der Region“ als kleiner Hoffnungsschimmer etwas Licht ins Dunkel bringen.
Welch kleinlicher Vorwurf gegen einen Riesenskandal in Nahost.
Ob Apartheid oder nicht, die Lage ist katastrophal und Boykott oder Sanktionen wären bei anderen Ländern schon längst der Fall, allein die politische Bedeutung Israels verhindert das.
Selbst wenn es keine südafrikanische Apartheid ist, macht es die Willkür und Aggression besser?
Klar, dass der Apartheidsstaat-Vorwurf nicht fehlen darf, und auch Boykott und Sanktionen gegen Israel gefordert werden.
Ich empfehle hierzu folgende Lektüre:
http://bak-shalom.de/index.php/2015/07/22/der-antisemitische-mythos-vom-israelischen-apartheidsregime/