Von Heirats- und anderen Strafen
Politik ist selten eine rein rationale Angelegenheit. Manchmal aber würde man sich schon mehr „Ratio“ bei der Sache wünschen. Zum Beispiel, wenn am 28. Februar die Schweizer Stimmberechtigten offiziell nur darüber entscheiden dürfen, ob die „Heiratsstrafe“ abgeschafft wird, inoffiziell aber auch gleich „Ehe“ als etwas definiert werden soll, was ausschließlich zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann.
Wer beim Begriff „Heiratsstrafe“ an Zwangsverehelichung denkt, liegt falsch. Es geht lediglich um eine steuerliche „Strafe“. Die tritt dadurch in Kraft, dass nach einer Eheschließung die Einkommen der Ehepartner zusammengezählt und wie ein Einkommen besteuert werden. Wie in Deutschland auch muss man aber beispielsweise für 10 000 Franken Einkommen mehr Steuern bezahlen als für zweimal 5000. In Deutschland versucht man, diese Ungleichbehandlung durch das „Splitting“ wieder aufzuheben – in den Steuergesetzen der Schweizer Kantone ebenfalls.
30 Jahre und kein Ende
Beim Splitting in den Kantonen wird die Einkommenssumme (so es zwei Einkommen gibt) geteilt – je nach Steuergesetz durch 2 (wie Anzahl der Partner) oder durch 1,9 (weil ein zusammenlebendes Paar geringere Kosten hat als zwei einzeln Lebende). Damit bleibt die ungerecht hohe Ehepaar-Besteuerung auf die Bundessteuer beschränkt, die den kleineren Teil der Steuerzahlungen der Betroffenen ausmacht. Seit 30 Jahren ist auch bundesgerichtlich entschieden, dass diese „Heiratsstrafe“ gegen die Verfassung verstößt und geändert werden muss.
Dass es National- und Ständerat (Parlament) noch immer nicht geschafft haben, gemeinsam eine Lösung zu finden, nutzte 2011 die Christliche Volkspartei (CVP) als Wahlschlager, um sich als besonders „familienfreundlich“ zu deklarieren: Sie lancierte die Initiative „Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe“, die jetzt zur Entscheidung ansteht. Wer nun meint, die Partei renne damit offene Türen ein, täuscht sich.
Altbackene Ehedefinition
Allerdings hat die Opposition gegen die Initiative wenig mit dem (angeblichen) Hauptziel zu tun, sondern mit den Bedingungen, unter denen dieses Ziel nach CVP-Vorstellung nur erreicht werden könnte: Die Ehe wird in der Initiative – und damit bei deren Annahme auch in der Verfassung – als „auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ umschrieben, die „in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft“ bildet.
Bisher ist in der Schweizer Verfassung lediglich das „Recht auf Ehe und Familie“ verankert – es ist aber nirgends definiert, was die Ehe ist. Damit könnte man die Ehe für Schwule und Lesben per Gesetz einführen, ohne die Verfassung ändern zu müssen. Der Volksabstimmung würde dieses Gesetz nur unterbreitet, wenn jemand dafür 50 000 Unterschriften sammelt (sog. fakultatives Referendum). Angesichts einer 70-prozentigen Zustimmung der Bevölkerung zur Ehe für Gleichgeschlechtliche ein möglicherweise schwieriges Unterfangen. Würde die Initiative aber angenommen, müsste für die Einführung der „Schwulenehe“ die Verfassung geändert werden – mit einer zwingend vorgeschriebenen Volksabstimmung. Vor allem wegen dieser Ehedefinition lehnen die meisten Parteien die Initiative ab.
Der zweite Ablehnungsgrund ist die postulierte „steuerliche Wirtschaftsgemeinschaft“, denn sie würde die bisher praktizierte, gemeinsame Steuerveranlagung in der Verfassung festschreiben. Es gibt aber im Parlament auch Stimmen, die sich für die Einzelveranlagung aussprechen. Diese würde „aus Abschied und Traktanden fallen“ wie man in der Schweiz gerne sagt, wenn etwas endgültig versenkt wird.
Die CVP versucht derzeit gerade, die Ehedefinition in der Initiative als Nebensächlichkeit darzustellen, die völlig bedeutungslos sei. Tatsache ist aber, dass ihr darin sogar die Juristen widersprechen, die sie selbst als Zeugen anruft.
Chancenlose Juso-Initiative
Und weil Abstimmungstermine in der Schweiz – wenn schon, denn schon – gerne gründlich genutzt werden, wird am 28. Februar auch noch über eine Initiative der Jungsozialisten (Juso) entschieden, mit der Börsenspekulationen mit Grundnahrungsmitteln verboten werden sollen. Heute wird an den Börsen auf die Preise von Reis, Mais, Soja und anderen Grundnahrungsmitteln „gewettet“. Spekulanten verdienen an sinkenden und steigenden Rohstoffpreisen Vermögen, obwohl sie mit dem Handel dieser Güter nichts zu tun haben. Diese Spekulationen wollen die Juso verbieten, weil sie darin einen Grund sehen, dass die Nahrungsmittelpreise vor allem in den 3. Welt stark steigen.
Wer die Gegner dieser Initiative sind, kann sich jeder an den fünf eigenen Fingern abzählen: Banken, Börsenhändler. Fondsmanager und Wirtschaftsverbände. Sie argumentieren, dieser Handel spiele in der Schweiz kaum eine Rolle – die großen Player säßen im Ausland. Außerdem wirke sich diese Spekulation nicht auf die Rohstoffpreise aus, dafür seien eher das Klima vor Ort und/oder Lagerhaltung oder Handelseinschränkungen verantwortlich.
Realistisch betrachtet hat die Initiative in der Volksabstimmung keine Chance, angenommen zu werden. Erstens ist das Thema sehr komplex und nur für jene zu durchschauen, die sich intensiv mit dem Problem beschäftigen, und zweitens haben die meisten Schweizer ein schon fast inniges Verhältnis zum Wohlergehen der heimischen Banken und drittens ein deutlich weniger herzliches Verhältnis zu den Jungsozialisten.
Lieselotte Schiesser