Gemeinsam sind wir Quark
Je näher die Landtagswahlen in Baden-Württemberg rücken, desto hektischer und auch unprofessioneller reagiert ein Teil der BewerberInnen. Peter Friedrich (SPD) wollte mit AfD-Vertretern partout nicht auf ein Podium, Nese Erikli (Grüne) auch nicht. Nun aber wollen beide doch. Sowohl Friedrich als auch Erikli machen bislang keine gute Figur im Wahlkampf und die Meldungen von der jeweiligen Parteibasis klangen auch schon mal besser.
Friedrich hat sich offenbar kräftig verkalkuliert. Das verwundert bei einem erfahrenen und durchweg karriereorientierten Politiker, der ansonsten meist frühzeitig spürt, wie er zu reagieren hat, wenn sich der Wind dreht. Doch diesmal scheint er sich tatsächlich verzockt zu haben und schon fürchtet man in SPD-Kreisen sogar um das sicher geglaubte Landtagsmandat.
Ein Freund, ein guter Freund…
Der Noch-Europaminister hoffte, er könne mit seiner Diskussionsverweigerung, die Südkurier-Lokalchef Jörg Peter Rau ungewohnt kritisch kommentierte, punkten. Das ging nach hinten los und auch innerhalb seiner Partei handelte sich Friedrich harsche Kritik ein. Sein Rückzug vom Diskussions-Rückzug war nur eine Frage von Tagen. Die Schadensliste ist aber noch länger: Das bislang freundschaftliche Verhältnis zwischen Friedrich und Rau scheint offenbar erheblich Schaden gelitten zu haben. Denn Rau hatte Friedrich richtigerweise vorgeworfen, er würde „kneifen“. Derlei Anwürfe kann der SPD-Minister gar nicht ab. Ob sich die Männerfreundschaft wieder kitten lässt?
Der mutige Peter
Ein noch gröberer Fehler aber war, dass Friedrichs Frau, die langjährige Konstanzer SPD-Rätin Hanna Binder, glaubte, sie müsse ihrem Ehegesponst zur Seite stehen. „Peters Entscheidung“, so Binder, sei „mutig“ gewesen, durfte sie im Südkurier quälend lang schwadronieren. Einigkeit bei Eheleuten mag bisweilen beziehungsstärkend wirken, aber dieser partnerschaftliche Flankenschutz geriet doch eher zur ungewollten und kreisweiten Lachnummer. Darauf angesprochen, versanken mehrere Sozen – „aber ich will keinesfalls namentlich zitiert werden“ – ob dieser geballten Peinlichkeit schamerrötend schier unter der Grasnarbe.
Ein schräger Deal
Nun beehrt Peter Friedrich also doch – trotz Anwesenheit der rechten AfD-Trolle – die großen Podiumsdiskussionen in Radolfzell und Konstanz, organisiert vom Südkurier. Da das Verhältnis zwischen dem SPD-Mann und Lokalchef Rau derzeit eisiger kaum sein kann, soll es Südkurier-Chefredakteur Stefan Lutz gewesen sein, der Friedrich zum Einlenken bewogen hat. Allerdings wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der das ganze Diskussionsgestammel erneut ziemlich absurd erscheinen lässt. Bei der Debatte in Konstanz möchte man das Flüchtlingsthema völlig außen vor lassen und auf die geplante Podiumsdiskussion in Radolfzell schieben. Gesichtswahrung für Friedrich? Eine Art Kuhhandel ist da wohl vereinbart worden, der aber in der Realität schnell scheitern könnte. Wie will man denn, bitteschön, Themen wie Wohnungsnot oder Bildungspolitik abhandeln, ohne die Frage einer menschenwürdigen Integration der Flüchtlinge nicht zumindest zu streifen. Und wer jetzt von Affentheater spricht, tut der uns artverwandten Gattung ziemlich unrecht.
Die Brückenbauerin
Nese Erikli, die Kandidatin der Grünen, verliert zumindest auf ihrer Wahlkampf-Website kein Wort über das Thema, das auch parteiintern heftig umstritten war. Überall hängen seit kurzem ihre Bewerbungsplakate, auf denen sie sich als „Bergsteigerin“ und „Brückenbauerin“ bezeichnet. Aber auch im Kreisverband der Grünen rumort es deutlich. Viele haben Erikli nicht verziehen, dass sie zwar legal, aber dennoch putschartig ihrem „Parteifreund“ und noch amtierenden Landtagsabgeordneten Siegfried Lehmann mit ihrer Gegenkandidatur eine erneute Wiederwahl vermasselt hat. „Wenn es um ihre Karriere geht, ist die noch kälter wie eine Hundeschnauze“, ist so oder so ähnlich bis heute zu hören. Mit ihrem forschen Vorgehen hat Erikli nicht wenige Brücken in Richtung ihrer Basis ziemlich humorlos eingerissen.
Grünes Brauchtumserwachen
Allgemein wird behauptet, Erikli verstünde sich auf den Marketingbereich. Was also tun zu fasnächtlicher Zeit? Richtig, man wanzt und biedert sich einfach hemmungslos an – und instrumentalisiert die Narrenzeit. So ist es auch kein Wunder, dass aus Eriklis Wahlkampfbüro Ende letzter Woche eine Pressemitteilung mit folgender Überschrift kam: „Landtagskandidatin führt gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden und allen Närrinnen und Narren den Hemdglonkerumzug an!“ Will heißen: Erikli hat ihren politischen Ziehvater Cem Özdemir wohl überreden können, hemdglonkerig durch die Konstanzer Altstadt zu ziehen. „Nur das passende Nachthemd mit Schlafhaube muss ich ihm noch nähen“, erklärte Erikli. Da zog es manch grünen Parteigängern vor Ort endgültig die Wollsocken aus und ein Uraltöko verstieg sich sogar zu der groben Behauptung: „Erikli und Özdemir schließen hiermit ihre jahrelangen Integrationsbemühungen kurz vor der Landtagswahl erfolgreich ab“.
H. Reile
„Bei der Debatte in Konstanz möchte man das Flüchtlingsthema völlig außen vor lassen…“
Ich male mir gerade aus, wie das dem Publikum erklärt wird.
Vielleicht so:
„Verehrte politisch interessierte Gäste!
Zu unserer Podiumsdiskussion begrüßen wir heute Abend Vertreter der für die kommende Landtagswahl relevanten Parteien.
Ich möchte Sie allerdings schon im Vorhinein darauf aufmerksam machen, dass das Thema „Flüchtlinge“ heute Abend ausgespart wird.
Eine Podiumsdiskussion soll schließlich nicht zu einem Streitgespräch ausarten – schließlich möchten wir Ihnen einen harmonischen Abend ohne schrille Misstöne bereiten.
Wie ich immer sage: Man muss die Meinungsfreiheit in einer Demokratie ja nicht ins Extrem treiben.
Dennoch werden Sie, verehrte Gäste, heute Abend sicher interessante Meinungen zu vielen Themen hören, die Ihnen bei Ihrer Wahlentscheidung hilfreich sein werden.
Meine erste Frage an die Diskutanten lautet: Halten Sie und Ihre Partei die jüngste Portoerhöhung für Briefe für gerechtfertigt oder nicht?
Wenn Sie vielleicht als Erster Stellung nehmen wollen, Herr…
Wenn man ein wenig weiter denkt als an einen Aprilscherz, bekommt diese ganze Affäre von Anfang bis zum beschämenden Ende eine sehr bedenkliche Note. Politiker/innen, die den Wahlkampf mit Showbusiness verwechseln und die damit das Wahlvolk für ziemlich dumm halten, so dumm, dass eine Präsenz auf einem Hemdglonkerumzug (der von Schulen für Schülerinnen und Schüler sehr liebevoll, geistreich und lange Zeit vorher gründlich vorbereitet wird) zum Kreuz auf dem Stimmzettel führen könnte, haben auf jeden Fall eines nicht: Gespür für die öffentliche Meinung. Und das ist wohl das, was man am meisten von ihnen erwartet.
Die ganze Sache ist einfach nur von Anfang bis Ende und bis in jedes Detail furchtbar peinlich. Zumindest für jemanden, der dieser Partei seit 1986 angehört. So wie ich.
Großartig! Frau Erikli kann nähen! Schlafkappen nähen! Jetzt habe ich kapiert: Das kann Lehmann nicht! Ja, im Konstanzer Wahlkreis geht’s ums nackte politische Überleben! Wie hieß es früher? „Paris ist eine Messe wert!“ Und wer in Konstanz siegen will, braucht den Segen in Print und den Hemdglonkermarsch durch die Niederburg! Das nennt man Integration!