Scala-Kino: „Erhaltet diese Besonderheit“

seemoz-Kümmel-SchnurSo eine Forderung, die der Medienwissenschaftler Albert Kümmel-Schnur gestern Abend bei der Diskussion über das Scala-Kino an der Universität in seinem Impulsvortrag aufstellte. Geladen hatte der „Arbeitskreis kritischer JuristInnen Konstanz“ (AKJ). Hier Kümmel-Schnurs Vortrag „Das Scala-Kino zwischen Zebra und Cinestar“ in voller Länge und unverändert. Über die weiteren Beiträge zum Thema Planungsrecht und Denkmalschutz wird seemoz zeitnah berichten.

„… Drei Kinos in Konstanz zu haben, ist eine tolle Situation, die ich ungern verändert sehen würde. Dass sich darunter ein Kino mit hochwertigem Arthaus-Programm an der Marktstätte, im Zentrum der Stadt befindet, ist wunderbar, begrüßens- und schützenswert. Soweit – so klar und nicht weiter überraschend. Es fragt sich also, was ich zur gegenwärtigen Diskussion überhaupt beitragen kann. Ich werde es mit einer historischen Grundlage, einer ästhetischen Perspektive und einer intermedialen Einschätzung versuchen.

Historische Grundlage

Derzeit haben wir in Konstanz drei Kinos, von denen zwei der Cinestar-Gruppe zugehören, das Scala-Kino und das eigentliche Cinestar. Das Zebra-Kino ist demgegenüber ein kommunales Kino, das auf anderer wirtschaftlicher Grundlage operiert. Jede Konstanzerin, jeder Konstanzer kann an einem normalen Abend zwischen etwa 26 Vorstellungen in 13 Sälen (9 im Cinestar, 3 im Scala, 1 im Zebra) wählen, setzen wir voraus, jedes Kino zeigte an jedem Abend zwei Filme hintereinander – etwa um 18 und um 20 Uhr, Vorfilme nicht gerechnet. Wie ist es zu dieser Situation gekommen?

Die Konstanzer Kinogeschichte, hier fasse ich die Forschungsergebnisse ihrer Historikerin, der Filmwissenschaftlerin Anne Paech, zusammen, beginnt bereits ein Jahr nach der Patentierung des Kinematographen, also 1896, mit Wanderkinos auf Jahrmärkten, etwa am Döbele, und in Kneipen. 1902 konnte sich Konstanz erstmals selbst im kinematographischen Spiegel des Schaustellers Louis Praiss betrachten. Das erste feste Kino, der „Kinematograph Royal“, etablierte sich in Konstanz im Jahr 1908 in der Bodanstraße 8: 120 Sitze, davon 40 durch Säulen sichtbehindert. Danach ging es munter weiter: Kinos wurden gegründet und auch wieder geschlossen. Ab 1911 ist auch in Konstanz die Zeit der Wander- und sog. Ladenkinos vorbei und die ersten großen Säle eröffnen. Es ist die Zeit, in der das Kino endgültig umstellt von den meist halbstündigen, varietéartigen Kurzfilmprogrammen auf lange Spielfilme, bald mit dem Vorläufer unserer Nachrichten, den sogenannten Wochenschauen, versehen.

Der Teil der Geschichte, der uns am heutigen Abend besonders interessiert, beginnt im Jahr 1938, als auf der Marktstätte 22 die Scala Lichtspiele eröffnet werden (nicht etwa 1954, wie derzeit oft zu lesen). Den Namen Scala wird dieses Kino beibehalten, nur der zweite Begriff ändert sich: ab 1949 ist es das Scala Filmtheater, ab 1956 der Scala Filmpalast und seit 1993 das Scala Kino. Weitere Kinos in der Stadt sind in diesem Zeitraum die Gloria Lichtspiele in der Hussenstraße (die gab es bereits von 1920 bis 1937 als Palast Lichtspiele), 1980 geschlossen, das Roxy am Bodanplatz (1951 bis 1982), das nach seiner Schließung zehn Jahre lang leer steht, bevor es als Traumfabrik 1992 wiedereröffnet wird und 12 Jahre lang in sieben Sälen Filme zeigt. 2004 wird im Shoppingcenter Lago ein Cinestar eröffnet, die Traumfabrik wird geschlossen, die Inhaberfamilie steigt beim Cinestar ein. Rund 20 Jahre lang gab es auch in Wollmatingen ein Kino, die Camera (1973 geschlossen), ab 1984 schließlich gründet – zu diesem Zeitpunkt gibt es nur ein Kino (eben das Scala) in der Stadt – eine Gruppe cinephiler Studierender das Zebrakino als kommunales Kino in den gerade von den Franzosen geräumten Chérisy Kasernen, wo es sich nach einem kleinen Abstecher in die Paulskirche (K 9) noch heute befindet.

Aus historischer Sicht in der Moment der Zebragründung vielleicht der spannendste für den heutigen Abend: Eine ursprünglich reiche Kinolandschaft ist ausgedünnt, Cineasten wünschen sich eine größere Vielfalt und fangen auf eigene Faust an. Diese Situation ist so heute wohl nicht mehr wiederholbar, auch wenn es nicht undenkbar ist, dass wiederum, sollte das Scala nicht bleiben, ein Fähnlein Fieselschweif sich aufmacht, die Medienlandschaft in Konstanz zu beleben.

Das historische Argument besagt also: Kino ist (auch) eine Konstanzer Erfolgsgeschichte. Brecht sie nicht ab! Abgebrochen ist leicht – der Wiederaufbau deutlich mühsamer.

Ästhetische Perspektive

Das ästhetische Argument nährt sich aus der programmatischen Vielfalt und Differenz der drei Konstanzer Kinos. Schematisch lässt sich sagen: Minderheiten-, Independentkino und Kurzfilme im Zebra, Arthouse im Scala, Mainstream und Blockbuster im Cinestar. Programmatisch stehen die drei Kinos nicht in Konkurrenz – es werden schlicht nicht dieselben Filme gezeigt. Gerade deshalb ist es unendlich traurig, wenn mit dem Scalakino ein ganzes Programmsegment (und eben nicht einfach ‚nur‘ ein Kino) aus Konstanz verschwindet (die gegenwärtigen Pläne sehen zwar vor, dieses Programm dem CineStar zu integrieren, doch wird man sich kaum Illusionen machen müssen über die Begrenztheit des Raums, den dieses Programm dort erhalten wird, nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Gründen der Ökonomie im weitesten Sinne). Ästhetisch sei deshalb das Konzept Arthouse und das spezielle Programmprofil des Scala kurz umrissen – so wird wohl am ehesten klar, was verloren geht (selbst wenn der eine oder andere Film dann im Cinestar zu sehen sein wird).

Seit den 1910er Jahren stehen neben den etablierten Kinos Filmclubs, private Vereine, die sich dem Anschauen von (avantgardistischen) Filmen oder dem Wiederanschauen alter Filme, die in den Kinos nicht mehr zu sehen waren, widmete. Kinos solcher Clubs nannte man seit den 1920er Jahren in den USA Arthouses. Ab den 1970er Jahren entstehen in Deutschland die sogenannten Programm- oder auch Filmkunstkinos, die anspruchsvolle Filme sowie Filmreihen mit älteren zeigten – sie übernehmen das Erbe der klassischen Filmclubs. Erst in den 1980er Jahren wird Arthouse zur Bezeichnung einer eigenständigen Programmsparte der Filmproduktion – dazu zählt zunächst und vor allem das klassische europäische Autorenkino, ein Kino, das weniger an vordergründigen Effekten und großen Stars interessiert ist als an interessanten, vielleicht auch komplexen Erzählungen sowie eher, wenn auch nicht notwendigerweise, experimentellen Erzählstrategien.

Arthouse ist kein eindeutiges, wieder erkennbares Label, eher ein randunscharfer Sammelbegriff, der sich mehr durch das definiert, was er nicht ist, als das, was er ist. James Bond und The Avengers sind kein Arthouse. Einfach. Ob das Kino eines extremen japanischen Regisseurs wie Takeshi Miike als Arthouse gewertet werden kann, ist schon sehr viel schwieriger zu entscheiden. Eher nicht. Und dieses ‚eher nicht‘ kann wohl selbst als ästhetische Grenze bestimmt werden: Arthouse ist kein Kino der Extreme, sondern in jeder Hinsicht ein Kino der leisen, mittleren Töne. Beispielhaft wäre das Kino des Koreaners Kim Ki-Duk zu nennen: Filme, die sich auch extreme Momente – Angelhaken in Geschlechtsorganen – leisten, aber diese Momente der Erzählung unterordnen und sie nicht, wie etwa das Action- oder Horrorkino in ihr Zentrum stellen.

Das ästhetische Argument besagt also: Vielfalt und die damit verbundene Wahlmöglichkeit sind in sich Werte, die sich zu erhalten lohnen. Arthouse ist ein zentrales und besonders in Europa gepflegtes Segment der gegenwärtigen Filmproduktion. Es ist für eine Kleinstadt ungewöhnlich, dass alle Spielarten des Gegenwartkinos tatsächlich vertreten sind – erhaltet diese Besonderheit!

Intermediale Einschätzung

Filme guckt man heute nicht mehr nur im Kino – das gilt zwar schon seit den Videorekordern der 1970er Jahre, aber erst heute ist es unter digitalen Bedingungen in hoher Qualität und zu günstigen Konditionen möglich. Diese Situation ist für das Kino auch immer belebend gewesen – vom durch Videotechnologie ermöglichten Autorenkino der 1970er und 80er Jahre bis zum Entstehen neuer, großer Kinos mit hervorragender Technik, bequemen Sitzen und einem erheblich erweiterten kulinarischen Konsumprogramm in den 1990er Jahren: Cineplex, Cinemaxx, Cinestar sind Ketten, die bieten, was Heimkino kaum bieten kann.

Kino hat bislang alle Schübe der Privatisierung des Filmeschauens – Fernsehen, Video, Internet – überlebt, weil es nicht nur eine Plattform zum Filmeschauen, sondern ein sozialer Ort ist. Beim Kino geht es um ein gemeinsames Erlebnis. Und Kino kann aus diesem Grund auch ein Ort der Identitätsstiftung eines Kollektivs, um einen möglichst neutralen Ausdruck zu verwenden, sein.

Das Scala ist ein sowohl modernes wie auch altmodisches Kino. Es verfügt über moderne Digitaltechnologie, zeigt diese aber im Gewand eines Kinodispositivs, wie man es ‚von früher‘ kennt. Dazu gehört bereits der Eingangsbereich, ein langgestreckter Gang, der rechts und links mit Kinoplakaten und Filmstills das Programm bewirbt. Das Schlendern durch diesen Gang ist ein eigenständiges mediales Erlebnis, das mit dem Scala aus Konstanz verschwinden würde. Gummibärchen, Popcorn, Cola und Bier, ein großer und zwei kleine Säle – hier kann sowohl großes Kinoerlebnis angeboten werden, aber auch Filme für ein eher kleines Publikum sind zu sehen.

Dieses Kino, deshalb habe ich mich des völlig unwissenschaftlichen Ausdrucks ‚von früher‘ bedient, hat einen hohen identifikatorischen Wert. Das zeigt sich auch am Publikum – das Scala ist das Kino des Konstanzer Bürgertums, das Kino der Menschen, die auch Theater, Philharmonie und Museum besuchen. Diese Gruppe ist weder im Zebra noch im Cinestar angemessen adressiert, macht aber doch – noch – den Kern der Konstanzer Bevölkerung aus. Diese Gruppe versteht sich als ‚Konstanz‘, identifiziert sich anders mit der Stadt als Studierende, für die die Stadt nur Zwischenstation ist, oder Jugendliche, die Identität ohnehin erst finden müssen und deshalb auch extremen Reizen zugeneigt sind.

Das Scala ist momentan wahrscheinlich der kinematographische Ort mit der höchsten Identitätsbindung in der Stadt – das ist, zugegeben, nicht empirisch bewiesen, aber doch sehr wahrscheinlich. Es zu schließen, wäre ein erneuter Verlust für den ohnehin immer eingeschränkteren öffentlichen Raum in Konstanz, der leider in der Stadt auch nur wenig FürsprecherInnen von Einfluss hat. Klar ist auch ein Kino, wenn es nicht kommunal ist, kommerziell, es handelt mit visuell und akustisch getriggerten Gefühlen, doch ist es gleichzeitig wie ein Café, in das man geht, um dort lesend, Gespräche führend oder einfach vor sich hindösend Zeit zu verbringen und nicht eben schnell einen Coffee-to-run im Pappbecher runterzukippen,

Das intermediale Argument besagt: Kino ist ein öffentliches, soziales Medium, nicht einfach eine zusätzliche Plattform zum Filmeschauen. Erhaltet diese Spielart des Sozialen.

Albert Kümmel-Schnur