„Jede Waffe kommt in Form eines Flüchtlings zurück“
Wenn Gökay Akbulut, Spitzenkandidatin der Partei die Linke, über die Gründe für Flucht und Vertreibung spricht, könnte das wohl authentischer nicht sein. Die Mannheimer Stadträtin kam mit ihren Eltern 1998 selbst als Geflüchtete aus der Türkei nach Deutschland. Rassistischen Vorurteilen hält sie entgegen, dass niemand Tausende von Kilometern Weg auf sich nimmt, wenn die Situation zu Hause nicht ausweglos ist. In Singen sprach sie vergangenen Dienstag darüber, weswegen für sie „Flüchtlingskrise“ der falsche Begriff ist.
Die eloquente 33-Jährige nannte das Kind beim Namen: „Ich spreche nicht von einer Flüchtlingskrise, denn es ist eine Krise des Kapitalismus.“ Die logische Konsequenz für Akbulut sei daher, sich in ihrer Partei zu engagieren. Denn nur diese zeige sich mit dem Widerstand in Kurdistan gegen den IS solidarisch. Zum anderen betonte die Sozialwissenschaftlerin, dass Solidarität mit Geflüchteten auch voraussetze, eine antikapitalistische Weltordnung anzustreben.
Dementsprechend brandmarkt sie die Politik des Erdogan-Regimes, welches gar mit dem IS kooperiert und gleichzeitig die kurdische Autonomiebewegung bekämpft. „Die PKK ist im Moment die einzige Chance der Kurdinnen und Kurden in der Region“, unterstreicht Akbulut und betont, dass es der kurdischen Arbeiterpartei zu verdanken ist, dass in ihren Reihen Demokratisierungsprozesse vorangekommen seien und in den Räten eine 40-prozentige Frauenquote herrsche.
Und das, obwohl in Kurdistan Menschen zwischen sieben und 70 Lebensjahren vor allem in der Stadt Kobane täglich um das nackte Überleben kämpfen. Höchste Zeit daher, fordert Akbulut, dass die Bundesregierung das überkommene PKK-Verbot aufhebt. Doch was ist schon von einer Bundesregierung zu erwarten, die im Kampf gegen den IS das Bündnis mit der AKP-Regierung des NATO-Partners Türkei wählt?
So scheint die aktuelle Politik kein Interesse daran zu haben, den Krieg in Syrien zu beenden und dem IS die finanzielle Grundlage zu entziehen. Denn auch deutsche Waffen werden im Nahen Osten verwendet. Auch baden-württembergische Firmen profitieren davon. Für Akbulut gerade ein Grund, die Linke zu wählen, da die Grün-Rote Landesregierung Kretschmann keine Anstalten unternommen habe, die blutigen Geschäfte von Heckler&Koch, der Zahnradfabrik Friedrichshafen oder Airbus und Co. einzudämmen. 2015 erhöhten sich die deutschen Waffenexporte gegenüber 2014 noch. „Jede Waffe, die ihren Krieg findet, kommt in Form eines Flüchtlings zurück“, beschreibt Akbulut die verheerenden Auswirkungen der deutschen Politik.
Doch neben Friedensfragen gäbe es in Baden-Württemberg gerade auch wegen der Sozialpolitik hinreichende Gründe, ihrer Partei die Stimme zu geben. Gökay Akbulut nimmt die Landesregierung in die Pflicht: Ein landesweites Sozialticket, um Mobilität für alle Menschen bezahlbar zu machen, sei bisher ausgeblieben. Sie unterstreicht, dass Bayern als Bundesland das Fünffache für sozialen Wohnungsbau ausgibt – angesichts der erdrückenden Mietpreise ein Totalversagen der Koalition in Stuttgart.
Auch Bildungspolitik ist für die Spitzenkandidatin ein wichtiges Thema, da sie beruflich mit zahlreichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund zusammenarbeitet. Die Ganztagsbetreuung sowie gut ausgebaute Gemeinschaftsschulen wären gerade hier notwendige Akzente zur Gleichstellung. Auch machte Akbulut deutlich, dass Grün-Rot sich inzwischen mehrheitlich als Befürworterin des Freihandelsabkommens TTIP positioniert.
Dass neuere Umfragen die Partei bei 5,5 Prozent sehen und GewerkschafterIinnen wie Stuttgart-21-GegnerIinnen dieses Mal explizit dazu aufrufen, am 13. März die Linke zu wählen, legt zumindest den Schluss nahe, dass rund einen Monat vor der Wahl tatsächlich realistische Chancen bestehen, nach der Wahl ein soziales Korrektiv im Landtag zu sehen. „Wer uns wählt, wird nicht mit der CDU zusammen aufwachen“, versichert Akbulut.
RF