Ein radikal anderes Europa
Yanis Varoufakis hat eine neue linke Bewegung vorgestellt. Sein Projekt ist höchst ambitioniert – und vielleicht nötiger denn je. Denn es geht ihm um ein radikal anderes Europa – heute, bei einer zweiten Eröffnungsveranstaltung in Madrid, wo nach den letzten Wahlen gewaltige Veränderungen möglich sind, ebenso wie bei der ersten Vorstellung der neuen Bewegung diese Woche in Berlin.
Für Bedenkenträger ist Yanis Varoufakis’ Initiative Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM25), die am vergangenen Dienstag in der Berliner Volksbühne vorgestellt wurde, ein gefundenes Fressen. Der linksliberale Publizist Albrecht von Lucke spottete, bei Varoufakis werde zwölf Euro Eintritt für die Revolution verlangt. Und Feuilletonisten kritisierten die Werbeästhetik und die weichgespülte Erneuerungsrhetorik des Theaterabends.
Doch tatsächlich hat die DiEM25-Initiative, die sich die radikale Demokratisierung Europas auf die Fahnen schreibt, einen stärkeren Impuls gegeben, als man erwarten durfte. Dass der geschasste griechische Finanzminister nach wie vor als Medienmagnet funktioniert und sowohl an der morgendlichen Pressekonferenz als auch an der Abendveranstaltung der Raum aus allen Nähten platzte, war weniger überraschend. Auch die Antworten von Varoufakis und seinem Mitstreiter, dem kroatischen Philosophen Srecko Horvat, auf die zu erwartende Kritik blieben im Rahmen. Ja, natürlich könne ihr Versuch scheitern, eine transnationale Bewegung aufzubauen. Und nein, Bewegungen gründe man gewöhnlich nicht auf einer Pressekonferenz. Aber in Anbetracht der europäischen Krise und des sich rasant ausbreitenden Faschismus der Rechten müsse man endlich Gegenprojekte entwickeln.
Ein radikal anderes Europa
Bemerkenswert war allerdings die Runde, die die OrganisatorInnen offensichtlich chaotisch, aber nicht wahllos versammelt hatten. An die 150 Personen debattierten den ganzen Tag und teilten in dreiminütigen Kurzstatements ihre Sicht der Lage mit.
Dabei wurde das Bild eines pluralen und radikal anderen Europas erstaunlich sichtbar. Der polnische Verleger Slawomir Sierakowski machte auf die extremen Schwierigkeiten kritischer Politik in Osteuropa aufmerksam. Die französisch-arabische Filmemacherin Hind Meddeb sprach über den Kolonialismus als die unsichtbare Seite europäischer Identität. Der US-amerikanische Wikileaks-Aktivist Jacob Appelbaum verwies auf die Staatenlosen als Teil der neu zu schaffenden demokratischen Gemeinschaft – und der italienische Philosoph Sandro Mezzadra stellte die Flüchtlingskrise in den Mittelpunkt jeder linken Politik. Parteiprominenz spielte in dieser Runde keine Rolle, stattdessen dominierte ein diffuser gesellschaftlich-radikaldemokratischer Blick.
Sicherlich sind auch die Leerstellen nicht zu übersehen. Varoufakis’ „anderes» Europa“ ist weiß und stark von AkademikerInnen geprägt. Und ja, der Diskurs von DiEM25 ist so offen demokratisch, dass er an Beliebigkeit grenzt. Doch die These, die sich dahinter verbirgt, ist politischer, als viele KritikerInnen meinen. Varoufakis geht von einem autoritären und reaktionären Durchmarsch in Europa aus. Deshalb gelte es, als Gegengewicht eine Bewegung aufzubauen, die Liberale ebenso erreiche wie Grüne und Linke.
Wichtiges Agenda Setting
Varoufakis will also nicht nur eine paneuropäische, sondern auch eine „transversale“ Bewegung, wie sie sich zuletzt 2011 bei den Platzbesetzungen in Spanien und Griechenland gezeigt hat. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang auch, wer DiEM25 im spanischen Staat unterstützt: nicht die Parteigranden von Podemos, die in den Medien zuletzt als große Strategen der neuen Linken gefeiert wurden, sondern die alternativen basisdemokratischen Bürgerkandidaturen. Das Netzwerk der Ciudades Rebeldes, der seit Mai 2015 links regierten Großstädte, steht exemplarisch dafür, wie eine Demokratisierungsbewegung aussehen könnte. Aus der Bewegung gegen Zwangsräumungen PAH entstanden, haben diese Kandidaturen den Versuch gestartet, Institutionen zu verändern, ohne ihre Basisdemokratie preiszugeben.
DiEM25 möchte offenkundig etwas Ähnliches in Gang setzen und dabei Selbstorganisierung, lokale Arbeit und ein transnationales Projekt miteinander verbinden. Dass das gelingen wird, darf man bezweifeln. Bewegungen werden tatsächlich nicht auf Pressekonferenzen gegründet. Aber die Varoufakis-Initiative ist trotzdem wichtig. Sie betreibt eine Art Agenda Setting für die alternative Linke in Europa. Auf der Abendveranstaltung waren zwar neben Slavoj Zizek und Julian Assange dann vor allem PolitikerInnen zu hören, aber auch da eher solche, die aus BürgerInnenbewegungen kommen: kritische Grüne aus Britannien, Frankreich und Portugal, Unabhängige aus Irland.
Der Gründungsabend von DiEM25 lässt sich leicht als langatmige Theaterveranstaltung denunzieren, für die Eintrittskarten gelöst werden mussten (im Übrigen auch von den Prominenten). Doch aus der Perspektive der europäischen Peripherie stellt es sich anders dar: Griechenland war 2015 der Beweis, dass auch die simpelsten Sozialstandards in der Europäischen Union nur noch verteidigt werden können, wenn grenzüberschreitende Bewegungen entstehen. Dem europäischen Rand kann es egal sein, welches Hemd Varoufakis in Berlin trug. Was zählt, ist, dass eine Bewegung in Gang gesetzt wird, die nicht umgehend repräsentieren und Ämter übernehmen will.
Am heutigen 19. Februar geht es in Madrid mit der von antikapitalistischen Linken einberufenen Plan-B-Konferenz weiter. Die Lage ist ernst – und eine Kritik, die das antirassistisch-demokratische Projekt leichtfertig kaputtredet, macht sie nur noch ernster.
Raul Zelik (woz)