Freihändler Gabriel – solange es nützt
In der Stahlindustrie in Deutschland sind 80 000 Arbeitsplätze gefährdet. Die Ursache: Die chinesischen Stahlproduzenten überschwemmen den Weltmarkt. Der Vorwurf: Aufgrund niedriger ökologischer Standards und Löhne betreiben die einen Dumpingwettbewerb. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel tritt jetzt für Schutzzölle ein. Ansonsten ist er jedoch ein Fan des „freien“ Handels, insbesondere ein Freund des Freihandelsabkommens TTIP.
Dies gilt aber nur, solange die deutschen Unternehmen profitieren. Das Problem ist nicht, dass Gabriel jetzt für Schutzzölle eintritt, sondern dass er diese Abwehrmaßnahmen anderen Ländern nicht zugesteht, wenn sie sich vor Deutschland schützen; sie hätten gute Gründe.
Der globale Stahlmarkt ist hart umkämpft. Die Branche leidet unter massiven Überkapazitäten – also unter dem im Kapitalismus so typischen und absurden Problem, dass es von einer Ware zu viel gibt. Es tobt also der Konkurrenzkampf. Und da wird mit harten Bandagen gekämpft. Den Chinesen wird vorgeworfen, dass sie mit niedrigen ökologischen Standards und Löhnen sowie staatlichen Subventionen einen Dumpingwettbewerb betreiben. Die EU hat nun 37 Stahlerzeugnisse aus China und Russland vorläufig mit Einfuhrzöllen belegt. Als Grund nannte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström die „unfaire Konkurrenz durch künstlich billige Importe“, die „unsere Industrie bedroht“.
Wenn deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt durch Schutzzölle anderer Länder ausgebremst werden, ertönt die Warnung: „Deutsche Jobs in Gefahr“. Wenn die deutsche Industrie jedoch immer neue Exportrekorde aufstellt, redet niemand von den daraus folgenden Jobverlusten im Ausland. Als vor zehn Jahren der globale Textilmarkt liberalisiert wurde, überschwemmte China die Welt mit billigen Textilien und ruinierte damit die lokalen Industrien in Portugal und Griechenland. Das hat in Deutschland niemand beklagt.
Gabriel und seine Kollegen aus anderen EU-Ländern nennen Chinas Preispolitik „unfair“. Sie präsentieren sich als Freunde eines „fairen“ Handels, zu dessen Förderung die EU mehr als 60 Freihandelsabkommen geschlossen hat. „Fair“ nennen sie, wenn für alle Länder gleiche Bedingungen herrschen. Fair ist in dieser Logik ein Wettrennen zwischen einem VW-Golf und einem Ferrari, wenn es nur auf der gleichen Straße stattfindet. Dass deutsche Unternehmen die Konkurrenz im Ausland plattmachen, das ist fair. Als unfair galt auch nie die Praxis der EU, ihre hoch subventionierten Agrarüberschüsse in Afrika zu verschleudern und dort die lokalen Produzenten in den Ruin zu treiben. Dabei wären in solchen Fällen Schutzzölle absolut angemessen.
Die EU beklagt „künstlich niedrige Preise“, China und Russland betrieben „Dumping“. Darunter versteht man, wenn ein Unternehmen Produkte dauerhaft unter Herstellungskosten verkauft. „Dumping“ liegt also vor, wenn ein Unternehmen keinen Gewinn mit dem Verkauf macht. Das ist „künstlich“. Nicht künstlich, also ganz „natürlich“ war dagegen die Politik der Bundesregierung, jahrelang das Lohnniveau in Deutschland zu drücken, um Wettbewerbsfähigkeit und Exportüberschüsse auf mittlerweile zwei Billionen Euro seit 2000 zu steigern.
Dieses Lohndumping galt nicht als „unfair“, weil hier ja nur die Beschäftigten verzichten mussten, während die Exportwirtschaft Rekordüberschüsse erwirtschaftete. Diese Überschüsse haben zwar im Ausland ganze Branchen ruiniert und Südeuropa in die Schuldenkrise getrieben. Aber das gilt als deren Problem – und niemals als Folge von Lohndumping.
Als unfair galt auch lange Chinas Politik der Abwertung seiner Landeswährung, mit der die chinesischen Ausfuhren gefördert werden sollten. Ganz und gar nicht unfair soll dagegen die Politik der Europäischen Zentralbank sein, mit der sie aktuell den Wert des Euro drückt. Dies gilt vielmehr als willkommene Hilfe für Europas Exportwirtschaft.
Michael Schlecht