Spiegelfechterei ums Hörnle

Der Konstanzer Gemeinderat setzte in seiner gestrigen Sitzung die Entscheidung über das Flüchtlingsheim auf dem Gelände der Tennishalle am Hörnle ab und verschob sie auf den 08. bzw. 17.03. Vor allem CDU und SPD sahen noch zu viele offene Fragen. In der anschließenden Debatte wurde aber schnell deutlich, dass das alles pure Spiegelfechterei ist: Das Sagen bei der Erstunterbringung hat der Landkreis, und angesichts der Flüchtlingszahlen werden demnächst ohnehin sämtliche Standorte gebraucht.

Diese Sitzung fand massiven Publikumszuspruch, und es war klar, dass das Stimmvolk gekommen war, um der Debatte über die geplante Gemeinschaftsunterbringung für Flüchtlinge auf dem Gelände der Tennisanlage nahe dem Hörnle zu lauschen. Aber daraus wurde nicht viel, denn der entsprechende Tagesordnungspunkt wurde sang- und klanglos abgesetzt. CDU und SPD hatten bekanntlich alle möglichen Fragen an die Verwaltung gerichtet, die diese so schnell nicht beantworten konnte, und in diesem Fall wollten CDU und SPD nicht abstimmen. Die Entscheidung, das Gelände an den Landkreis für eine Erstunterbringung zu vergeben, wird jetzt vermutlich am 08.03. im Haupt- und Finanzausschuss HFA getroffen.

Oberbürgermeister sichtlich unzufrieden

Oberbürgermeister Uli Burchardt steht sichtlich unter Druck: „Die Frage nach Alternativen und mehr Informationen kann man immer stellen, dann können wir bald gar nichts mehr entscheiden, zumal sich jede Woche die Prioritäten und Flüchtlingszahlen ändern“ bemerkte er mit allem Recht. Natürlich drängte sich bei dem Fragenkatalog auch die Überlegung auf: Wurden diese Fragen vielleicht nur eingereicht, um die Entscheidung weiter hinauszuschieben und den über die Flüchtlingsunterkunft empörten Bürgerinnen und Bürgern entgegenzukommen? Eine Art Lex Hörnle also, nachdem es im letzten Sommer in Egg nach zähem Widerstand der dort ansässigen herrschenden Klasse schon einmal plötzlich eine lokale Alternativlösung für eine Anschlussunterbringung gab, die der Volksmund süffisant als „Lex Ellegast“ bezeichnet?

Soll die Umgebung des Musikerviertels also flüchtlingsfreies Gebiet bleiben? Hat Anselm Venedey wie so oft recht, wenn er vorschlägt, man möge über diesen Standort doch erst nach der Landtagswahl am 13.03. entscheiden, denn dann seien die Köpfe wieder frei – momentan aber habe noch jede/r Politiker/in, der/die einer Gemeinschaftsunterbringung zustimme, Angst, vom Wähler abgestraft zu werden? Fragen über Fragen, und Venedey hat es natürlich leicht, den Finger in die Wunde zu legen, denn seine Freien Wähler treten bei der Landtagswahl gar nicht an.

Wir schaffen das?

Heute heißt es in den bürgerlichen Wohnvierteln: Flüchtlinge notfalls ja, aber auf keinen Fall bei uns. Die Kölner Silvesternacht war für viele ein – oft willkommener – Anlass, sich endgültig von humanitären Lippenbekenntnissen zu verabschieden und sich ihren irrationalen Ängsten zu überlassen.

Wie irrational diese Ängste sind, erläuterte bei der Gemeinderatssitzung der Konstanzer Polizeipräsident Ekkehard Falk. Die Kriminalitätsrate von Flüchtlingen ist in und um Konstanz schlichtweg nicht höher als die Kriminalitätsrate der einheimischen Bevölkerung, und das in allen Altersgruppen. All‘ die Gerüchte über Massenvergewaltigungen in den Lagern, massenhaften Ladendiebstahl, Gutscheine für Bordellbesuche oder einen Maulkorb für die Polizei seien eben haltlose Gerüchte, nichts habe bisher einer polizeilichen Überprüfung standgehalten. Die Polizei Konstanz gehe jeder Anzeige nach und sei bisher auf nichts Nennenswertes gestoßen.

Desinformation?

Der Südkurier kriegte dieses Mal von verschiedenen Seiten sein Fett weg. Bürgermeister Andreas Osner und Oberbürgermeister Uli Burchardt kritisierten die vom Südkurier veranstaltete Bürgerdiskussion vor einer Woche am Hörnle, bei der es hoch herging. Osner beklagte die Aggressivität der Gegner der Flüchtlingsunterkunft bei diesem Event. Vertreter von „Save me“ sowie Flüchtlinge hätten dort Angst gehabt (höhnisches Gelächter aus dem Publikum, das mehrheitlich aus Gegnern der Flüchtlingsunterkunft bestand; jemand im Publikum sagte, wenn ich’s richtig verstand, „die sollen sich nicht so haben, diese Weicheier“). Uli Burchardt hingegen war sauer, dass ihm eine Gemeinderätin vorgeworfen hatte, dort nicht selbst angetreten zu sein: Der Südkurier hat ihn nach seinen Worten schlichtweg nicht rechtzeitig eingeladen, und auch Osner war erst zwei Tage vorher gefragt worden. Selbst den Landkreis einzuladen, der letztlich über die Flüchtlingsunterkünfte entscheidet, hat Jörg-Peter Rau vom Südkurier nach Osners Angaben vergessen, Harald Nops vom Landratsamt sei dort nur als Privatmann anwesend gewesen.

Osner zeigte sich auch genervt von einem Zwischenruf aus dem Gemeinderat, er habe bei dieser Versammlung nur geredet, statt Bürgerfragen zu beantworten. Man kann es ihm nicht verdenken: Einerseits schreit alles nach mehr Information, andererseits wird ihm, wenn er zehn Minuten lang Fakten referiert, vorgeworfen, er höre den Bürgern nicht zu.

Handwerkliche Fehler des jugendlich-spontanen Herrn Rau also? Das publizistische Konzept, die Debatte zu emotionalisieren, sei für den Südkurier aufgegangen, meinte Osner. Erst als das Stichwort „Hörnle“ in der Zeitung aufgetaucht sei, habe der Ärger angefangen, vorher habe monatelang niemand etwas gegen einen Standort in dieser Gegend gehabt. Auch Stadträtin Anne Mühlhäußer (FGL) ermahnte den Südkurier, genauer zu berichten: Kinder hätten sie gefragt, ob sie wegen der Flüchtlinge nächsten Sommer nicht zum Baden ans Hörnle dürften. Sie forderte, die Debatte sachlicher zu führen, und endete mit dem denkwürdigen Satz: „Bis die Welt insgesamt nicht gerechter geworden ist, müssen wir uns den Flüchtlingsströmen stellen.“

Alternativgelände? Fehlanzeige!

Die Gegner der Flüchtlingsunterkunft auf dem Tennisgelände am Hörnle hatten sich auch darüber erregt, dass die Stadt ein ihr vom Getränkehändler Kountz angebotenes Gelände nicht als Alternativstandort in Betracht gezogen habe. Das stellte sich in einem Telefonat zwischen dem Oberbürgermeister und Kountz allerdings schnell als Luftnummer heraus: Kountz hatte das Grundstück zwar angeboten – aber nicht der Stadt, die davon bis dato überhaupt nichts wusste, sondern nur dem dafür auch zuständigen Landkreis. Man merkt schon, hier läuft eine Debatte gezielt und absehbar aus dem Ruder…

Stadt Konstanz ohne Handlungsspielraum

Einige Punkte stellte die Verwaltung ganz unmissverständlich klar:

1. Die Erstunterbringung von Flüchtlingen ist Sache des Landkreises, die Stadt kann dem Kreis nur durch Vorschläge oder das Verpachten von Grundstücken zuarbeiten.

2. Dass der Landkreis wegen des dortigen Untergrundes kein Interesse am Konstanzer Flugplatz mehr hat, sondern Notunterkünfte lieber auf dem Parkplatz am Schwaketenbad errichtet, wo es einen festen Untergrund und die entsprechenden Leitungen bereits gibt, ist ausschließlich Sache des Landkreises, nicht der Stadt.

3. Die Stadt wird nicht offen über Gespräche mit Grundstückseigentümern berichten, weil sie damit solche Verhandlungen gefährden würde.

4. Da für Gemeinschaftsunterkünfte der Landkreis zuständig ist, muss die Stadt dazu auch keine Bürgerbeteiligung durchführen.

5. Da weiterhin massenhaft Flüchtlinge zu erwarten sind, ist das Gerede von der Suche nach und der Debatte über Alternativstandorte sinnlos: Es geht nur noch um die zeitliche Reihenfolge, in der die Flächen bebaut werden.

6. Man braucht nach den derzeitigen Schätzungen in Konstanz bis Ende 2016 etwa 1772 bis 2583 Plätze für Flüchtlinge. Nur bei intensiver Bautätigkeit können ein oder zwei Turnhallen in diesem Jahr vielleicht wieder freigegeben werden.

Das sind die Eckpunkte aller Debatten über die lokale und regionale Flüchtlingspolitik in den nächsten Monaten und Jahren. Und an denen kann auch der Konstanzer Gemeinderat nicht rütteln.

O Pugliese