Mutter Courage und der fränkische Freiherr

So habe ich „Mutter Courage“ noch nie gesehen. Und das ist schon viel Gutes, was man über eine Premiere sagen kann. Wenngleich nicht alles so glänzend war wie das Bühnenbild bei dieser Neufassung von „Mutter Courage und ihre Kinder“. Doch Inszenierung, Musikbegleitung, Schauspieler und ein ausverkauftes Stadttheater machten diesen Konstanzer Theaterabend mit dem Bertolt-Brecht-Klassiker zu einem Erlebnis. Was wesentlich mit der politischen Aktualität des Stückes zu tun hat.

Die Inszenierung: Schon im Entree zeigt Regisseur Arnarsson seine Klasse: Die Szenen-Kurzfassungen – auf die folierten Wände des Bühnenbilds projiziert, eine Idee, die übrigens schon Brecht in seiner Berliner Erstaufführung umgesetzt hatte – sind gefüllt mit aktuellen Anspielungen: Da taucht der fränkische Freiherr von und zu auf und George dabbelju Busch, und wir merken: Hier geht es nicht allein um den 30igjährigen Krieg, in dem die Marketenderin Courage ihr Geld und Glück machen will und dabei ihre Kinder verliert – hier geht es um Krieg und Kriegsgewinnler auch in der Gegenwart. Der erst 33jährige Regisseur aus Island, in den letzten zwei Jahren mit internationalen Auszeichnungen reichlich bedacht, bringt „Mutter Courage und ihre Kinder“ in einer erfreulich werkgetreuen, kaum gekürzten, wenngleich sprachlich modernisierten Fassung auf die Bühne. Und führt eindrucksvoll vor: Krieg ist immer und gegenwärtig und überall. Schade höchstens, dass die Schlussszene unklar bleibt: Die von Soldaten gemeuchelte Kattrin stirbt in Konstanz grundlos.

Die Musik: Der musikalische Tausendsassa Gabriel Cazes, über zwei Stunden musizierend auf der Bühne, hat die einst provokante, heute hausbackene Musik von Paul Dessau in Songs und Untermalung gekonnt aufgefrischt. Jazz, Rock und Schlager, aber auch einfühlsame Balladenklänge  schaffen einen modernen Musik-Mix, der Bertolt Brecht wohl gefreut hätte. Das ist Verfremdung im Brecht’schen Sinn, aber auch pure Unterhaltung, vom Publikum erfreut beklatscht.

Das Bühnenbild: Famos. Aus dem Holzwagen der Marketenderin wird ein multifunktionaler Rundbau ganz in Weiß, auf dem sich das gesamte Bühnengeschehen abspielt; die Songs zwei Meter über der Bühne, die Botschaften auf halber Höhe, die Trauer am Fuß des Turms. Das alles umbaut von meterhohen, asepetisch anmutenden, weißen Wänden, über die während der Aufführung soviel blutendes Wasser fließt, dass die Schauspieler zum Schluss im Nass waten. Auch das wohl Brecht in Reinkultur: Vom Tod wir nicht gesprochen – er wird gezeigt.

Die Schauspieler: Es ist schon beeindruckend, was dieses kleine Ensemble allabendlich auf die Bühne stellt. Herausragend dieses Mal Kristin Muthwill – einzig die stumme Kattrin zeigt Mitgefühl:  Menschlichkeit ist sprachlos in diesem Stück. Beeindruckend einmal mehr Frank Lettenewitsch, der als Feldprediger die Doppelzüngigkeit der Menschen im Krieg vorführt. Olga Strub als Mutter Courage hat es schwer. Wer die längst verstorbenen, dennoch stilbildenden Helene Weigel oder Therese Giese in ihren theatralischen Vorführungen kennt, dürfte von der sachlichen Darstellung der Strub enttäuscht sein. Doch das ist womöglich ungerecht – diese  Mutter Courage fügt sich nahtlos ein in die sachlich-politische Inszenierung.

Die Zuschauer: Das Publikum im ausverkauften Stadttheater spendete lang anhaltenden, wenn auch nicht donnernden Applaus. Es fehlte dem Publikum womöglich der morbide Glanz früherer Aufführungen. Aber selbst das ist gut so.

Autor: hpk