Wow! Jetzt hat er es diesen SchweizerInnen gegeben…
Dass unser Kommentar zum Schweizer Volksentscheid vom vergangenen Wochenende („SchweizerInnen lehnen Anti-Ausländer-Initiative ab“) nicht unbeantwortet bleiben würde, war abzusehen. Dass unsere Schweizer Autorin Lieselotte Schiesser ganz anderer Meinung ist, wird auch Gastautor Dennis Riehle nicht überraschen …
Wow! Jetzt hat Dennis Riehle es aber diesen SchweizerInnen gegeben, die „auf Grund ihrer Überheblichkeit“ abgestumpft sind und von denen viele „vor lauter Hybris kaum noch laufen können“ – vermutlich wegen ihres „immer noch auffälligen Nationalstolzes“. Auf der einen Seite beklagt er, die Fremdenfeindlichkeit in der eben zu Ende gegangenen Abstimmungskampagne – auf der anderen wendet er sie dann aber konsequent gegen „die Schweizer“ an. Dabei haben 58,9% dieser SchweizerInnen bewiesen, dass sie von einer solchen Diskreditierung von Ausländern nichts wissen wollen.
Zudem: Was will Dennis Riehle eigentlich? Auf seiner eigenen Homepage spricht er sich dafür aus, „das System der repräsentativen Demokratie in Deutschland um wesentliche Elemente der direktdemokratischen Partizipation“ zu ergänzen: Die Bürger sollen „bei elementaren Sachfragen … in die Entscheidungsfindung einbezogen werden“ und Entscheidungen aus Abstimmungen etc. „müssen für Volksvertreter Verbindlichkeit besitzen“. Ähmmm – hört sich doch sehr nach dem an, was in der Schweiz üblich ist – und gegen das Riehle in seinem Diskussionsbeitrag heftig wettert. Nämlich nach Volksentscheiden, die (siehe Artikel) „im Zweifel auch gegen den Willen der Politik“ ausfallen könnten. Ja, wenn sie immer nur im Sinne der Politik ausfallen dürften, wäre das Volk nur als Claqueur-Vereinigung gefragt und bräuchte gar nicht erst in die Entscheidungsfindung eingebunden zu werden. Denn gegen den Willen der „Politik“ ginge dann ja wieder nichts.
Ja, es stimmt, es gibt keine Garantie, dass direkte Beteiligung des Volkes nicht auch Nationalismus schüren und missbraucht werden kann. Aber: Nationalismus blüht derzeit in Europa in Staaten, die nun wirklich nicht im Ruch stehen, sehr direktdemokratisch zu sein. Front National, Pegida, die AfD und die polnische PIS haben das ohne eine einzige Volksinitiative schweizerischer Prägung geschafft.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat als rechtpopulistische Partei eine Fangemeinde von etwa 30% der Wahlberechtigten – aber sie gewinnt keineswegs garantiert. Sie hat schon geschmacklosere, fremdenfeindlichere Plakate geklebt als dieses Mal – auch wenn das Dennis Riehle entgangen ist. Es gab da mal ein Plakat, das vor Gericht landete, weil es darauf um angeblich messerstechende Kosovaren ging. Dagegen sind/waren auskeilende Schäfchen geradezu zurückhaltend. Und in Deutschland gab es schon in Demos mitgetragene Galgen-Plakate – ganz ohne dass es dazu je überhebliche Schweizer gebraucht hätte, die vor lauter Hybris über ihre direkte Demokratie Einfluss genommen hätten. Auch an deutschen Strassenrändern hingen schon Wahlplakate, die deutlich unter die politische Gürtellinie gingen. Das ist kein Vorrecht der Schweizer.
Noch etwas zu den angeblich fehlenden „unverrückbaren Säulen, die das Volk vor seinem eigenen Opportunismus bewahren“ sollten. Jede Volksinitiative muss in der Schweiz vom Parlament gültig erklärt werden. Damit das geschehen kann, darf sie u. a. die Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts nicht verletzen. Das heißt, dass sie u. a. nicht die Einführung von Folter, Sklaverei, Zwangsarbeit. Leibeigenschaft und die Rückführung eines Verfolgten ins Land seiner Verfolgung (Non-Refoulement-Prinzip) verlangen darf. Zudem darf sie keine Bestrafung ohne gesetzliche Grundlage fordern und sie muss das Recht auf Leben schützen.
Allerdings verbietet die Europäische Menschenrechtskovention (so wenig wie diejenige der UNO) die Todesstrafe nicht. Und so hätte es womöglich passieren können, dass eine Initiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe in der Schweiz hätte gestartet werden können. Allerdings ist solch ein Ansinnen frühzeitig gestoppt worden, nachdem es öffentlich massive Kritik gehagelt hatte. Was der Schweiz nämlich fehlt, sind nicht die „unverrückbaren Säulen“, sondern ein Verfassungsgericht. Deshalb hätte es z.B. passieren können, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letztlich darüber hätte entscheiden müssen, ob eine automatische Ausschaffung zulässig gewesen wäre. Dann nämlich, wenn die Durchsetzungsinitiative am vergangenen Wochenende nicht abgelehnt sondern angenommen worden wäre, und der erste von Abschiebung Bedrohte vor dem EGMR geklagt hätte. Denn so international isoliert, wie Dennis Riehle behauptet, ist die Schweiz ja nicht. Sie ist zwar kein EU-Mitglied, aber in der UNO und im Europarat sowie von „Schengen/Dublin“. Mit der EU bestehen – zumindest derzeit noch – bilaterale Verträge, die eine enge Zusammenarbeit mit der EU ermöglichen. Die sind derzeit gefährdet durch die von einer knappen Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten angenommene Initiative gegen die Masseneinwanderung (MEI), welche die Personenfreizügigkeit einschränken soll.
Noch ist unklar, wie die Schweiz aus dem Dilemma herauskommen kann, in das sie diese SVP-Initiative gestürzt hat. Denn Ja, Volksabstimmungen enden nicht immer so, wie man das a) selbst will und wie es b) vernünftig wäre. Aber die Politik ohne Volksabstimmungen ist auch nicht immer wie man das a) selbst will und b) vernünftig. Man schaue sich nur die derzeitige Diskussion um die Flüchtlinge in Deutschland an. Dazu überlege man sich dann noch, was wohl in Deutschland los wäre, kämen diese Flüchtlinge in ein Land mit einem durchschnittlichen Ausländeranteil von 25%, wie es die Schweiz ist – wo doch Seehofer und Co ihre Populismus-Show schon jetzt mindestens so lautstark inszenieren, wie das die SVP in der Schweiz tut.
Lieselotte Schiesser
Herr Riehle, wenn sich die Kritik „in erster Linie an das Schweizer Modell“ richtete: Wie sähe denn Ihr Modell aus (also das, das Sie auf Ihrer Homepage preisen und dessen Unterschiede zum Schweizer Modell irgendwie so ein ganz klein bisschen unklar bleiben)? Und wenn die Kritik nicht gegen „die Schweizer“ ging: Was ist das dann mit…na, Sie wissen schon?
Meine Kritik richtete sich übrigens in erster Linie an das „Schweizer Modell“ und nicht „die Schweizer“…
Politik lebt auch von Emotionen. Und davon macht die rechtsnationale SVP stets besonders Gebrauch. Manchmal geht die Rechnung auf, manchmal nicht. Was war neulich geschehen? Das Land überliess der Partei zu lange die Hoheit über die Frage, wer und warum spontan aus zu schaffen sei. Noch vor wenigen Wochen war eine deutliche Mehrheit der gleichen Meinung, stimmte den „Blocherianern“ und „Köppelianern“ zu. Das nun vorliegende Ergebnis ist besonders zweier Gegenbewegungen der letzen Monate vor der Abstimmung geschuldet. Die eine aufgeworfene Frage ist in der Schweiz ab und zu ein klassisches Argument zur „nationalen Reflexion“: Sie bezieht sich darauf, was ein Entscheid mit der Wirtschaft zu tun haben kann – im Kern mit Arbeitsplätzen. Also mit „mir“. Diese Frage wiederum ist nun mal in der Schweiz eminent mit ausländischen Fachkräften der Industrie, der Forschung, des Bankensystems, der Top-Universitäten, bis hin zum Tourismus, usw., vergesellschaftet, von denen das Land stark profitiert. Die im Land arbeitenden Ausländer und Ausländerinnen sollen sich nicht stets mit der Frage beschäftigen müssen, wie weit sie im Land einer dauernden Beobachtung ausgesetzt sind. Mit der „Gefahr für Arbeitsplätze“, zumal in einer Zeit, die auch für die Schweiz derzeit bestimmend ist, nicht zuletzt als Resultat der Frankenmanipulation der Schweizerischen Nationalbank, sind Abstimmungen zu beeinflussen.
Das zweite Argument zur Reflexion kann langfristig noch bedeutungsvoller sein, allgemein als Gegenkraft zur SVP-Ideologie zu wirken: Es ist dies „der Aufstand“ der Intelligenzia, der Kunstschaffenden, der Schriftsteller, der Gewerkschaften, usw. So kam es dann – überspitzt gesagt – , um ein Beispiel zu nennen, dass ein „Emil“ mit einem „hellen Nein“ stärker wirken konnte, als ein „dunkles Weltwochen-Ja“!
Zu hoffen ist, dass sich diese neue Präsenz bei Abstimmungen nun immer wieder zeigt. Demnächst werden die Rechtsnationalisten versuchen, dass „Landesrecht“ nicht zwingend dem „Europäischen Menschenrechtskatalog“ zu folgen hat. „Nationalstolz“ als emotionale Botschaft kommt bei „Volk“ leider unreflektiert manchmal an. Nicht nur in der Schweiz!
Nein, überrascht ist er nicht. Und er freut sich über streitbare Reaktionen! Das belebt die Demokratie – welche auch immer…