Ist das Kleist oder kann das weg?

seemoz-Der zerbrochene Krug 2Ein Klassiker am Stadttheater Konstanz – frau war gespannt. Doch was unsere Kritikerin zu sehen und hören bekam, was ganz und gar nicht klassisch und führte dann zu dieser sehr persönlichen Einschätzung: Ist das Kleist oder kann das weg?

Diese Frage stellte ich mir ernsthaft, als ich am vergangenen Samstag mal wieder das Konstanzer Stadttheater besuchte. Ich hatte mir schon länger vorgenommen, mir die Inszenierung des Stücks „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist nicht entgehen zu lassen. Dieses Theaterstück zählte bisher nicht zu den Stücken, die ich bereits im Theater gesehen oder zuhause gelesen hatte. Jedoch war ich vom Hörensagen über den ungefähren Inhalt informiert und freute mich auf eine unterhaltsame, amüsante Kriminalgeschichte, die Korruption und Versagen der Justiz thematisierte.

Die Premiere des von Michael von zur Mühlen inszenierten Stücks fand bereits am 19. Februar statt, jedoch war auch dieses Mal der Saal nahezu ausverkauft. Da meine Pläne für den Abend eher kurzfristiger Natur waren, verpasste ich die Einführungsveranstaltung knapp, ließ mir allerdings sagen, dass es wohl „kreativ“ werden würde. „Kreativ“ klang zunächst ja gar nicht schlecht. Das bunt gemischte Publikum aus Jung und Alt könnte sicher etwas „kreatives“ vertragen.

Klatschen als Allheilmittel

Das Licht im Zuschauerraum ging auf einen lauten, durch eine Stimme aus dem Off erteilten Befehl hin, aus. Das mochte zunächst befremdlich erscheinen, wenn man aber ein erprobter „Theatergänger“ ist, ist man in dieser Hinsicht so einiges (Darsteller in Publikum, sprechende Wände etc.) gewöhnt und wundert sich über derartige Vorkommnisse nur selten. Hinter dem Vorhang kam ein Bühnenbild, einem Stillleben des 19. Jahrhunderts nachempfunden, zum Vorschein und präsentierte nach der Entstehungszeit des Stückes ausstaffierte Darsteller und Requisiten. Alle Schauspieler hielten still wie in Stein gemeißelte Statuen, lediglich der Klavierspieler bewegte sich, schlug ein paar Tasten an und trällerte ein Liedchen dazu. Das Liedchen dauerte diese gewisse Zeit zu lang, die dazu führte, das sich im Publikum zunehmend Unruhe breit machte. Der Vorhang schloss sich wieder und der Klavierspieler verstummte.

Was machte das ach so kultivierte Publikum? Na klar, es klatschte. Die meisten Menschen, die ins Theater gehen, scheinen klatschen nicht mehr als Würdigung des Gespielten zu verstehen, sondern als Anstandsgeste, die man tätigen muss, egal was man dafür bekommen hat. Zur Belohnung öffnete sich der Vorhang wieder. Das Stillleben von zuvor erschien erneut, nur nicht mehr in romantisierendem Gelblicht, sondern diesmal in grellem Neonlicht. Der zweite Unterschied: Die Schauspieler starrten nicht mehr irgendwohin, sondern das Publikum an. Dies dauerte wiederholt ein etwas zu langes Weilchen. Das Publikum war durch das Gestarre sichtlich überfordert. Was sollte es nun tun? Na klar, klatschen.

Gähnende Langeweile

Ob es nun das Klatschen war, das die Schauspieler zum Sprechen ermunterte oder dass die fünf Minuten Starren um waren, weiß man nicht. Immerhin begann nun endlich der Textteil des Stückes – Textteil in diesem Fall wörtlich genommen. Nahezu monoton und ausdruckslos leierten die Darsteller ihren Text herunter. Wobei „ihren“ an dieser Stelle eigentlich nicht zutrifft. Eine eindeutige Rollenverteilung gab es in dieser Aufführung nicht. Man hatte eher das Gefühl, dass die Seiten im Reclam-Heftchen wahllos aufgeteilt worden sind. Sowohl die verwirrende Textwiedergabe als auch die unpassend affektierte Tonlage der Sprechenden führten (nicht nur) bei mir zum Schwinden der Aufmerksamkeit. Noch nie zuvor habe ich im Theater so oft auf die Uhr gesehen und ich war wirklich schon oft im Theater. Ich begann, Mitleid mit dem armen Herrn Kleist zu haben, der sich an diesem Abend bestimmt unzählige Male im Grabe umdrehen musste. Ich blickte auf die Uhr, zum Ausgang und wieder zurück, schaute die anderen Zuschauer an, die zwischendurch einnickten, vor sich hin sinnierten oder aus Langeweile im Programmheft lasen.

Es folgten ein, zwei Lacher – mehr aufgrund von Irritation, denn Humor. Die pubertierende Schulklasse im Publikum war wohl derart verstört, dass sie einige Male lachen musste, weil es einfach so komisch war – komisch hier keineswegs im humoristischen Sinne. Es wurde der Eindruck erweckt, dass sich in der Inszenierung über das Stück lustig gemacht wurde anstatt, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Material erfolgt war.

Quittiert wurde das Ganze von den ersten beiden Damen, die den Saal nach gut der Hälfte der Aufführung verließen. Bis dahin hatte sich am monotonen Vortrag kaum etwas geändert. Nur langsam wurde das Rezitieren des Stücks etwas energischer. Wenn das Klavierklimpern wieder einsetzte, war es wenigstens nicht mehr ganz so langweilig. Um das Verständnis der Handlung hatte ich mich redlich bemüht, aber das Zuhören wurde mir mit der Zeit einfach zu anstrengend.

Katharsis

Vermutlich um die Eintönigkeit zu durchbrechen und die Zuschauer doch noch etwas zu unterhalten (ein anderer Grund kommt mir nicht in den Sinn), fing die älteste Darstellerin schließlich an, sich auszuziehen. Ich bin sicher nicht verklemmt und nackte Menschen auf der Bühne – von mir aus, wenn es der Handlung zuträglich ist. Also sicher nicht in diesem Fall, ganz abgesehen davon, dass es Frauen gibt (und das sage ich als Frau), die nackt sicher ästhetischer anzusehen gewesen wären. Nicht verwunderlich, dass nun ein Vater mit zwei circa zehn und zwölfjährigen Kindern den Saal verließ.

Eineinhalb von zwei Stunden waren um. Es kam zu dem, wozu es kommen musste in derartigen Inszenierungen: Die Darsteller vernichteten ihr Bühnenbild, rissen die Biedermeier-Tapete von den Wänden und zum Vorschein kam eine Kulisse wie am Fuße eines antiken Tempels. Der Klavierspieler, der eben noch so fröhlich geklimpert hatte, haute in die Tasten, brüllte wild um sich und….na, ahnen Sie’s? Jawohl, begann sich auszuziehen. Er hopste kreischend und seine Genitalien schwingend die Stufen des antiken Tempels hinauf, warf sich vorne ein weißes Laken gleichsam einer Toga über und setzte sich einen goldenen Lorbeerkranz auf. Der Text, den er wiedergab, war kaum verständlich, aber sicher nicht Kleist. Es war der Inbegriff von Chaos.

Nachdem ich schon länger zum Ausgang geschielt hatte, fasste ich mir nun ein Herz, bat die Personen neben mir, mich durchzulassen (dabei würden sie sicher nichts verpassen) und verließ den Zuschauersaal. Die Tür riss ich dabei absichtlich weit auf, um erstens meinem Ärger Luft zu machen und zweitens zur Inszenierung eventuell noch einen Beitrag zu leisten, denn schlechter konnte es meiner Meinung nach nicht mehr werden. Natürlich wurde die Tür von einer fleißigen Mitarbeiterin eifrigst wieder verschlossen, wahrscheinlich, um andere Zuschauer nicht in Versuchung zu führen. Dafür schien es jedoch zu spät. Auf der Treppe traf ich auf eine ganze Schar verärgerter Menschen, die sich bereits darüber aufregten, dass das „sein Geld nicht wert war“. Naja, vielleicht gab es ja am Ende der Aufführung noch die alles erklärende Wendung. Die Garderobenfrau fragte mich mitleidsvoll: „Haben Sie alles gesehen?“ Und ich antwortete nur: „Ja, genug“.

Carla Farré