„Die Welt verbessern zu wollen, ist kein Quatsch“

seemoz-Simon (2)Die Themenschwerpunkte des mit 23 Jahren jüngsten Kandidaten für die Landtagswahl im Wahlkreis Konstanz, Simon Pschorr, werden dem politisch interessierten Konstanzer über Podiumsdiskussionen, Infostände und Fragerunden reichlich vermittelt. seemoz hat sich mit ihm getroffen, um weniger über die anstehende Landtagswahl als über seinen Weg in die Politik, linke Problemzonen und eine bessere Welt zu sprechen.

Sie sind ja nun – sagen wir mal – ein sehr junger Politiker. Bereits vor zwei Jahren haben Sie im Alter von 21 Jahren für die Wahl zum Konstanzer Gemeinderat kandidiert. Wie sind Sie eigentlich zur Politik gekommen?
Zur Politik bin ich nicht von selbst gekommen, vielmehr bin ich politisiert worden. Ich glaube, das geht den meisten so, die irgendwann einmal mit Politik in Kontakt kommen. Ich habe früher sehr viel Theater gespielt und in der Theater-Crew, mit der ich unterwegs war, waren einige dabei, die sehr viel Kontakt zur Politik hatten und die selbst schon politisch gefestigt waren. In stundenlangen Gesprächen mit diesen Leuten bin ich mehr oder weniger in die Politik hineingezogen worden. Das hat mich intensiv geprägt und daher kommen viele meiner politischen Überzeugungen.

Und was hat Sie dazu bewogen, sich bei der Linken politisch zu engagieren?
Das war ein Selektionsprozess. Ich habe mir alle Parteien angesehen und habe dann im Ausschlussverfahren festgestellt, welche Partei für mich tatsächlich die passende ist. Ich habe sowohl bei den Grünen als auch bei der SPD einmal reingeschnuppert. Die Programmatiken fand ich jeweils vom Ansatz her richtig, aber bei weitem nicht stringent genug, nicht überzeugend genug. Die Linke ist für mich bisher die einzige Partei, die das Problem der sozialen Spaltung in der Gesellschaft tatsächlich angehen möchte und nicht nur Symptome bekämpft.

Der soziale Aspekt scheint Ihnen sehr wichtig. Gibt es denn auch noch weitere Punkte, die Sie an der Linken besonders angezogen haben?
Ungleichheit ist für mich ein Systemfehler. Das ist ein erhebliches gesellschaftliches Problem – nicht etwa gottgegeben oder ein Ergebnis von Leistung. Darüber hinaus findet man Ungleichheits- und Gleichheitsfragen bei der SPD und bei den Grünen auch, aber ich bin ein überzeugter Pazifist. Friedenspolitik und die Frage von Militärbeteiligung und insbesondere Waffenlieferungen sind mir ein großes Anliegen und da fühle ich mich nur bei der Linken aufgehoben. Schließlich sind für mich soziale Themen drängender als ökologische Fragen – sie hängen miteinander zusammen, keine Frage, aber es hilft nicht, Leute darauf zu verweisen, gefälligst das ökologisch Verträglichere zu kaufen, wenn die Produkte viel zu teuer sind und die Menschen sich diese Produkte schlichtweg nicht leisten können.

seemoz-simon (3)Die Partei Die Linke ist ja, wenn man so will, ein „Problemkind“ im politischen Diskurs Deutschlands. Warum hat die Linke so wenig Zuspruch in der Bevölkerung?
Problemkind ist, glaube ich, schon eine zu negative Bezeichnung. Manche von uns sehen die Partei gerne auch als den „Outlaw“, den „Ronin“ der Parteien – also ein bisschen mit dem Hauch des Verruchten, mit dem Hauch des Bedrohlichen verbunden. Das hat Vor-, aber auch Nachteile. Das spricht insbesondere Personen an, die mit dem etablierten Parteiensystem, mit dem Staat und seiner Ordnung nicht zufrieden sind. In der Öffentlichkeit wird kolportiert, dass wir immer gegen alles wären. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt, ist immer bloß dagegen zu sein auf Dauer keine Strategie, mit der man Politik machen kann. Denn irgendwann wird der Moment kommen, in dem wir Personen davon überzeugt haben, dass bisher alles falsch gelaufen ist. Dann muss ich den Menschen aber auch beweisen, dass ich es richtig machen kann. Dieser Schritt ist bisher noch problematisch und der kommt auch im öffentlichen Diskurs nur schwer an. Das heißt nicht, dass wir nicht Pläne hätten und Ziele, wie wir es anders machen, aber die Strömung, dieses Grundrauschen des „Alles ist schlecht“ ist viel dominanter in der Öffentlichkeit, als das „Und diese Schlussfolgerung müssen wir daraus ziehen“.

Darüber hinaus hängt meiner Partei der Schatten des Ostblocks und der SED nach. Dieser ist zu Teilen natürlich aus der Parteigeschichte und aus der tatsächlichen Mitgliederschaft zu sehen. Teilweise gibt es diesen Schatten auch noch, aber er ist bei weitem nicht so groß wie noch 1990.

Wie könnte man denn Ihrer Meinung nach mit diesem Imageproblem der Linken in der Öffentlichkeit umgehen und den Schatten besser beleuchten?
Für uns, für mich ist das eine große Schwierigkeit. Das liegt mitunter daran, dass ich zu jung bin für diesen Schatten. Ich bin von der Altersgruppe her nicht passend für diesen Vorwurf. Ich bin 1992 geboren, also bereits drei Jahre nach dem Mauerfall und zwei Jahre nach der Wiedervereinigung. Für mich ist das ein Absurdum, wenn man mir das vorwirft. Nachdem es bei uns in der Partei sehr wohl viele Menschen gibt, die mit der DDR positive Erfahrungen gemacht haben, kann ich die Bezugnahme zur DDR auch nicht ganz von mir weisen. Es ist ein Teil der Erziehung und der Schulbildung, die DDR als ein von Grund auf fehlerhaftes, negatives Gesellschaftskonstrukt darzustellen. Ob das nun wirklich der Wahrheit entspricht, möchte ich bezweifeln.

Genauso entspricht es aber nicht der Wahrheit, dass die DDR das Paradies war. Wenn man klar anspricht, wo die Hoch- und Tiefpunkte einer Gesellschaft sind, dann kann man die Gesellschaft auch entsprechend modifizieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Das gilt für die DDR genauso wie für die Bundesrepublik. Auch die BRD hat ihre goldenen Seiten, dafür aber ebenso ganz viele dunkle Flecken. Festzustellen bleibt: Die DDR war ein Unrechtsstaat und ich bin froh, in einem Rechtsstaat leben zu dürfen. Was wir aber bei der gesamten Diskussion um die DDR nicht vergessen dürfen, ist: Deutschland hat mit dem Dritten Reich eine schwärzere Vergangenheit.

Wir haben die DDR-Nostalgiker angesprochen. Mit einem linken Archetypen assoziiert man meist solche und ältere Personen, die Marx gelesen haben, rauchen und selbst stets knapp am sozialen Abgrund schrammen. Was unterscheidet Sie von diesem Klischee-Linken?
Der Klischee-Linke ist schon richtigerweise ein Klischee. Denn an den Zahlen zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg kann man klar feststellen, dass die Linke mit 31 Kandidaten mit Abstand die meisten Kandidaten unter 35 Jahren und den jüngsten mit 19 Jahren stellt. Das heißt, es gibt bei uns eine ganz große Gruppe junger Leute, aber natürlich gibt es auch die alten Kader-Linken. Ich bin jemand, der nicht mit Marx aufgewachsen ist. Mein Elternhaus ist eher SPD-nah. Dies hat mich allerdings nicht davon abgehalten, Marx zu lesen (lacht). Ich bin auch niemand, der sich durch die K-Gruppen gekämpft hat. Ich bin zur Linken gekommen, weil ich ein soziales Gewissen habe und nicht durch Indoktrination. Dieser Unterschied spiegelt sich dann aber auch in meinem Programm und in meiner Arbeitsweise wider. Manches Mal kann ich mir vorstellen, dass ich für einige Alt-Linke viel zu flexibel, modern und progressiv bin. Ideologie zu lernen, hat noch niemals zu Flexibilität geführt, weder im Geiste noch im Handeln.

seemoz-simon (4)Wo wir gerade von Ideologie sprechen – mit den Begriffen „Kommunismus“ und „Sozialismus“ wird ja gerne mal wild um sich geworfen. Oftmals werden die beiden auch synonym verwendet. Wie stehen Sie zu diesem Pärchen, das auch mit der linken Szene – oftmals in negativem Kontext – in Verbindung gebracht wird?
Die Linke ist eine sozialistische Partei. Sozialismus ist per se nichts Schlechtes. Alleine in Deutschland hat Sozialismus diesen widerlichen Beigeschmack. In allen anderen europäischen Staaten gibt es sozialistische Parteien verschiedener Couleur. Man schaue sich nur die Sozialdemokraten in Frankreich an, die heißen auch Sozialisten. Unter Sozialismus ist an sich in Europa der linke Flügel der Arbeiterbewegung zu fassen. Darüber hinaus verstehe ich mich auch als Kommunist. Das hat aber etwas damit zu tun, wie ich Kommunismus verstehe. Kommunismus ist für mich erst einmal das Ziel einer Gesellschaft ohne Widersprüche – das Ziel einer Gesellschaft ohne Klassen. Das heißt: Eine Gesellschaft, in der jedermann nicht nur Chancen, sondern auch tatsächlich Möglichkeiten hat, ein gleichberechtigtes Leben zu führen. Es geht gerade nicht um die Möglichkeit, sich über andere zu erheben und sich zulasten anderer zu bereichern, sondern um das Recht, mit allen gemeinsam auf Augenhöhe leben zu können. Das ist bisher ein Traum geblieben. Aber Träume sind eben nicht nur Schäume, sondern können einem auch ein Ziel vermitteln und einen Wunsch, auf den man hinarbeiten kann. Das ist nichts, was in unendlicher Ferne liegt, sondern was man ganz nah greifen kann.

Eben bezeichneten Sie die Linke als eine Partei der Arbeiter. Wie würden Sie denn einen „Nicht-Arbeiter“ zu überzeugen versuchen, sich für die Linke stark zu machen? Welche Anreize gäbe es da?
Wir sind primär eine Partei, die sich an arbeitende Menschen richtet und an Menschen, die ihre Erwerbsarbeit verloren haben, oder aber ihrer Arbeit beispielsweise aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht mehr nachgehen können. Allerdings muss man festhalten, dass unsere Mitgliederstruktur dem ganz erheblich widerspricht. Unsere Mitglieder dritteln sich ziemlich genau zwischen Arbeitern, Erwerbslosen und Intellektuellen. Was spricht Intellektuelle an unserer Partei an? Ich glaube, die Idee einer besseren Gesellschaft bedarf eines gewissen Vorstellungsvermögens. Es ist natürlich, wie gerade schon angesprochen, eher ein Traum, den man entwickeln muss, an dem man zusammen arbeiten kann, der aber den Reiz hat, dass sich, wenn verschiedene Leute verschiedene Ideen einbringen, sich am Ende ein Gesamtbild schaffen lässt. Ich glaube, für viele Intellektuelle steht am Anfang die Erkenntnis, dass es soziale Ungerechtigkeiten gibt und dann folgt der Wunsch, an dem Haus einer gerechteren Gesellschaft Stein für Stein mit bauen zu wollen. Zudem: Intellektuelle waren schon immer dazu bereit, einmal anders über die Gesellschaft nachzudenken und über den Tellerrand zu blicken.

Auch mal anders“ ist ein gutes Stichwort, um auf die Landtagswahlen zurückzukommen. Was unterscheidet in Baden-Württemberg, in Konstanz Die Linke von den übrigen „großen Parteien“?
Um die Frage für gesamt Baden-Württemberg zu beantworten, würde ich sagen, unterscheidet uns ganz klar ein unbedingtes und unbestrittenes Einstehen für MigrantInnen und für Personen ohne deutschen Pass von den übrigen Parteien. Das ist, meine ich, auf Landesebene für uns ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Die Grünen im Land schieben schamlos ab, fordern Obergrenzen und beteiligen sich an der Implementation von Asylpaketen mit den verschiedensten sozialen Frechheiten für Personen mit Migrationshintergrund, insbesondere für Geflüchtete. Für den Wahlkreis Konstanz trifft das nicht zu. Das wäre gegenüber manchen VertreterInnen anderer Parteien in Konstanz nicht fair. Auch hier findet sich besonders mit Fabio Crivellari ein Kandidat, der sehr offen und menschenfreundlich gegenüber Geflüchteten ist.

In Konstanz muss ich klar feststellen, dass ich der einzige Kandidat bin, der sich konsequent mit einer zunehmenden sozialen Spaltung in dieser Stadt auseinandersetzt. Diese soziale Spaltung zeigt sich nicht nur in den irrationalen, horrend angewachsenen Mietpreisen, sondern auch und seit neuestem besonders in der Entwicklung der Stadtstruktur. Das sieht man beispielsweise an der Debatte um das Scala-Kino, mit der nur ein Symptom zutage tritt. Das Symptom der Krankheit „Entwickle die Stadt zu einem Einkaufsparadies für einige wenige Wohlhabende, vor allem für Schweizer Kunden, und vergiss dabei die Möglichkeit des Wohnens in der Stadt, das nicht nur mit dem reinen Habitieren, mit dem In-einer Wohnung-Sitzen verbunden ist, sondern auch mit dem Wunsch, in Konstanz etwas zu erleben und am öffentlichen Leben teilzuhaben“.

In unserem Gespräch klang immer wieder das Thema einer besseren Gesellschaft an. Sehen Sie sich als Weltverbesserer?
Ja. Ich will die Welt für alle verbessern. Ich glaube, das möchte eigentlich jeder, der den Wunsch hat, dass eine Gesellschaft sozialer und gerechter wird. Die Welt zu verbessern, ist nichts Schlechtes. Das klingt schon wieder so, als wäre „Weltverbesserer“ eine negative Zuschreibung, ähnlich wie „Gutmensch“. Es ist pervers, dass mit dem Wunsch, für alle etwas besser zu machen und für uns alle eine bessere Gemeinschaft zu entwickeln, der Beigeschmack der Lächerlichkeit und der Irrationalität verbunden ist. Die Welt verbessern zu wollen, ist kein Quatsch. Wir sind vielleicht nicht verantwortlich für aktuelle, miserable Zustände auf dieser Welt, aber wir sind definitiv dafür verantwortlich, wenn es so bleibt.

Carla Farré

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