Von Whistleblowern und anderen „Volksfeinden“
Fast 140 Jahre alt und dennoch brennend aktuell: Hendrik Ibsens Drama „Ein Volksfeind“, das am letzten Wochenende Premiere am Stadttheater Konstanz hatte, erzählt von einem Mutigen, der gegen die Stadtoberen aufmuckt, von Redakteuren, die heute dieses und morgen das Gegenteil schreiben, und von Opportunisten überall in der Stadt, die der Mehrheitsmeinung hinterher laufen. Der Klassiker aber spielt nicht in Konstanz, sondern in Südnorwegen.
Und aus dem Stück in fünf Akten wird hierzulande ein Kammerspiel ohne Pause und Ortswechsel, aber immer noch ein Politthriller mit Anleihen beim Familiendrama und der satirischen Komödie. Das wohl wichtigste, wenn auch nicht populärste Stück des norwegischen Nationaldichters ist ein Rundumschlag – unter schauspielerischem wie politischem Aspekt.
Die Geschichte: Skandal in dem Kurort an der norwegischen Südküste – das Wasser des Heilbades ist durch Industrieabfälle verseucht. Das belegen Analysen des Badearztes Tomas Stockmann. Mithilfe der Presse will er den Skandal öffentlich machen und einen Umbau des Bades erzwingen. Doch Tomas‘ eigener Bruder Peter, der Bürgermeister, will weitermachen wie bisher, den Skandal, aber auch Investitionen vermeiden. Ein Bruderkrieg um Ansehen und Macht der Brüder, aber auch um den Willen der Mehrheit und den Einfluss von Minderheiten entbrennt. Letztlich rutscht Tomas in die Rolle eines Michael Kohlhaas, der um der Wahrheit willen das Schicksal seiner Familie aufs Spiel setzt.
Das alles wird in eineinhalb Stunden vom anerkannten Klassiker-Regisseur Dietrich W. Hilsdorf mit gediegener Handwerklichkeit auf die Bühne gebracht – mit unübersehbaren Längen und ohne erkennbaren Spannungsbogen. Was womöglich dem Kammerspiel-Charakter geschuldet ist, der dem Drama aufgezwungen wird – immer dasselbe Bühnenbild (ein Biedermeier-Esszimmer mit riesigem Tisch, an dem sich alle Konflikte abspielen) und ohne Ortswechsel, wie sie Ibsens Original noch vorsah.
Vermutlich eine Folge von Sparmaßnahmen, die einen Bühnenumbau nicht mehr erlauben, sicher aber auch eine Konsequenz der Unsitte am Konstanzer Theater, auf eine Pause inmitten der Vorstellung zu verzichten. So können kaum dramatische Auf und Abs erzeugt, so kann kaum noch Spannung aufgebaut werden, so plätschern auch spannende Dialoge nur noch dahin, und retardierende Momente werden Mangelware.
Dass trotzalledem noch ein ansehnlicher Theaterabend entstand, war zum einen dem brisanten Thema (man hätte sich einige spritzige Seitenhiebe mit Lokalkolorit gewünscht), vor allem aber der wieder einmal beeindruckenden Leistung des Ensembles zu verdanken. Die konkurrierenden Brüder (Georg Melich und Axel Julius Fündeling) zeigten sich als wahre Hauptdarsteller, denen die tragenden Frauenrollen (Jana Alexia Rödiger und Sylvana Schneider) aber ein echtes Pendant war. Und auch Arlen Konietz als kauziger Opportunist oder Sebastian Haase als Wendehals im Journalisten-Kostüm verdienten sich anerkennenden Applaus. Den spendete das Publikum dann auch.
hpk
Nächste Vorstellungen im Stadttheater: Dienstag 3.5 – 20:00; Mittwoch 4.5 – 15:00; Freitag 6.5 – 19:30; Samstag 7.5 – 20:00 Stadttheater; Sonntag 8.5 – 18:00; Dienstag 10.5 – 19:30; Mittwoch 11.5 – 20:00; Donnerstag 12.5 – 20:00; Freitag 13.5 – 19:30; Samstag 14.5 – 20:00; Mittwoch 25.5 – 20:00; Donnerstag 09.6 – 19:30.