Wie barrierefrei ist Konstanz?
Gegen Barrieren in der Stadt und in den Köpfen: Der nächste Samstag ist der „Europäische Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung“. Aktive rund um Stephan Grumbt, den Konstanzer Behindertenbeauftragten, nutzen den Tag zu Aktionen auf der Marktstätte.
Das Ziel des Aktionstages: Auf Barrieren aufmerksam machen, Lösungen aufzeigen und sich für mehr gesellschaftliche Teilhabe stark zu machen. Menschen mit Behinderung kommen zu Wort und schildern ihre Sichtweisen. Die beteiligten Initiativen informieren über die lokalen Angebote.
Der Caritasverband Konstanz, die Ehrenamtsgruppe „wir-na-und“, der Paritätische Sozialdienst und die Lebenshilfe Konstanz gestalten das Programm in Zusammenarbeit mit Diakonie, der Interessenskreis Stadtplanzukunft, dem Selbsthilfeverein Konstanzer Körperbehinderter und Stephan Grumbt, dem Behindertenbeauftragten der Stadt Konstanz.
Von 14.00 bis 16.30 Uhr wird jede halbe Stunde sinnbildlich die Mauer in den Köpfen mit einem Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen eingerissen. Auf einem Plakat können die Besucher die Barrierefreiheit in Konstanz bewerten und auf einer Karte barrierefreie Orte sowie Hürden markieren. Ihren Blick für Barrieren im Alltag können Interessierte mit einem sogenannten Altersanzug schärfen. Am Glücksrad warten kleine Gewinne. Die „Fröhliche Singgruppe“ mit Menschen mit und ohne Behinderung und „Das Duo“ sorgen für musikalische Begleitung und das „Café der Inklusion“ bietet ein kulinarisches Angebot.
MM/hpk
Wir leben in einer städtebaulich alten Stadt, nicht immer einfach was Barrieren angeht, doch hier passiert in den letzten Jahre einiges. Der eigentliche Skandal ist unser Bahnhof, mit einem unglaublichen WC, dessen Türen nach innen aufgehen, eine Freude für jeden Rollstuhlfahrer, aber das ist eher noch das Wenigste…. Danke an die Bundesbahn für ihr so anschaulich schlechtes Beispiel! Für einen Konzern ist eine derartig misserable Umsetzung von Barrierefreiheit eine echte Schande. Da fragt man sich, wie groß denn die Barrieren in den Köpfen der Manager sind.
Zu Dennis, nicht alle Menschen sind gleich und nicht alle sind ignorant. Ich freue mich über jeden, der am Samstag kommt, und hoffe, dass noch mehr Mauern eingerissen werden.
Und ich habe die Erfahrung gemacht, als ich gefragt habe, dass man desinteressiert weiterlief…
@Dennis Riehle: Woher soll ein an der Ampel Wartender wissen, dass der neben ihm Wartende gern an der Hand genommen und über die Strasse geführt werden möchte? Er kann’s vermuten, aber ein entsprechendes Angebot könnte auch als unerwünschter Übergriff gewertet werden. Dabei gibt es ein ganz einfaches Mittel: Wenn man Hilfe möchte oder braucht, kann man fragen. Ich habe einige Erfahrung gesammelt, wie es ist, mit Rollstuhlabhängigen und(oder Rollator-Abhängigen unterwegs zu sein und kenne Betroffene gut. Nie ist uns – und auch den Betroffenen alleine – passiert, dass Hilfe verweigert wurde. Im Gegenteil: Die gewährte Hilfe war oft ausserordentlich. Sobald man Menschen direkt anspricht, sind sie meist hilfsbereit – hingegen sind viele verunsichert und manche unaufmerksam. Hilflos steht man dagegen weiterhin z.B. am Bahnhof Konstanz, wenn die Ankunft oder Abfahrt eines Gehbehinderten nicht im Voraus angemeldet war (dann wird das Gleisfeld gesperrt, bis die Betroffenen die Schienen „überfahren“ haben). Es gibt also durchaus noch baulichen Handlungsbedarf in Konstanz.
Barrierefreiheit ist öfter in aller Munde als man denken mag. Bei Baugesuchen, im öffentlichen Nahverkehr und in der Stadtplanung wird heute – zurecht – großer Wert auf die Einhaltung von Standards gelegt. Hier ist auch Konstanz auf gutem Weg und zeigt entsprechende Sensibilität.
Viel größerer Handlungsbedarf besteht da eher bei den Menschen selbst: Wer das tägliche Ringen im Bus kennt, wenn Fahrgästen mit einer Behinderung der Sitzplatz vor der Nase weggeschnappt wird, der weiß, wo die wirklichen Barrieren zu finden sind. Im Gedränge in der Fußgängerzone wird geboxt, egal, ob der Nachbar mit Rollator oder Blindenstock unterwegs ist. Und wer im Sehen oder Gehen eingeschränkt an der Ampel darauf wartet, an der Hand über die Straße begleitet zu werden, wird dabei alt.
Denn bei allem Beharren auf die weiterhin wesentliche behindertengerechte Anpassung unserer Umwelt in baulicher Hinsicht bedürfen Personen mit Handicap mindestens gleichsam einen vehementen Einsatz für den Abbau von Gleichgültigkeit, Respektlosigkeit und Rücksichtslosigkeit in der Gesellschaft.
Ich ärgere mich täglich über den wachsenden Egoismus, der mir weitaus größere Probleme bereitet als manch fehlender abgesenkter Bordstein oder die zu hohe Trittstufe. Barrierefreiheit ist in unseren Breiten angesichts eines Wandels hin zu mehr Selbstgerechtigkeit ein multidimensionales Vorhaben, das neue Aufmerksamkeit aus einer veränderten Perspektive braucht.