ECE Singen: Verscherbeln statt entwickeln

Seit Monaten bestimmt die Debatte über das geplante Shoppingcenter ECE die Singener Kommunalpolitik. Der Gemeinderat wird voraussichtlich mit großer Mehrheit für das ECE stimmen. Oberbürgermeister Bernd Häusler liebäugelt mit einem Bürgerentscheid. Die Stadt am Hohentwiel steht vor einer Entscheidung, die ihr Gesicht massiv verändern könnte. Unsere Singener Gastautorin befürchtet einen Ausverkauf kommunalen Eigentums mit negativen Folgen.

Wer als Kommune versucht ist, seine Grundstücke höchstbietend an private Investoren zu verschachern und sich des Tafelsilbers entledigt, um damit das klamme Stadtsäckel zu füllen, bewirkt damit langfristig eine drastische Verschlechterung der Haushaltsfinanzen. Ob dies den entscheidenden Gremien bewusst ist?

Zugegeben, die Versuchung ist groß. Ein Privatinvestor verspricht Glanz, Glitzer und Gloria. Da sind die Ausgaben für die Verschönerung des ungeliebten Bahnhofvorplatzes schnell verschmerzt, die Entscheider stimmen willig und eilig zu – schließlich fließt erst einmal genügend Geld aus dem Verkauf der kommunalen Grundstücke auf dem Zollareal zurück. Den Haushalt belastet diese Investition damit erst einmal nicht. Zwei Fliegen mit einer Klappe denkt man leicht, ein öffentlicher Schandfleck weg und Geld im Säckel.

Doch das dicke Ende wird kommen. Wer kommunale Grundstücke an private Investoren verkauft und damit das kommunale Eigentum zum Spielball von Spekulanten und Renditejägern macht, gräbt sich selbst das Wasser ab. Steigende Mieten auf dem bereits jetzt schon knappen Wohnungsmarkt und damit hohe Folgekosten für den Sozialhaushalt sind vorprogrammiert. Städte und Regionen profitieren nicht von Privatinvestoren, Off-Shore-Anlegern und Panama-Haien sondern von BürgerInnen, die in der Lage sind Einkommensteuer zu bezahlen, von Handel , Handwerk und Gewerbe, die ihre Gewerbesteuer am Stammsitz zahlen sowie von Konsumenten, die nicht aufgrund schierer Größe eines weiteren monolithisch gefräßigen und austauschbaren Shopping-Tempels kommen, sondern weil sie die Vielseitigkeit, die Atmosphäre, die Authentizität und die Ausstrahlung einer Einkaufsstadt zu schätzen wissen.

In Zeiten des öffentlichen Schlussverkaufes, in denen in Legislaturperioden gedacht und geplant wird und nicht in langfristigen Stadtentwicklungshorizonten, werden die Kritiker des Verramschens von öffentlichem Eigentum als ewig gestrige und Zukunftsverweigerer angeprangert. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer urbanen Stadtentwicklung wird als undurchführbar utopisch abgetan. Man macht sich nicht einmal die Mühe so zu tun, als wäre man an Alternativen interessiert. Es gibt, so heißt es, schlicht und ergreifend keine.

Dabei gibt es bereits Städte, die sich städtebaulich nicht das Heft aus der Hand haben nehmen lassen und ihr kommunales Eigentum zum Höchstpreis an Privatinvestoren verscherbeln. In Ulm befindet sich beispielsweise mittlerweile ein Drittel der gesamten Bodenfläche in kommunalem Besitz, das Ziel ist sozialverträglicher Wohnbau. In Hamburg gilt das Prinzip des revolvierenden Ansatzes, für jeden Quadratmeter verkaufter Fläche muss im gleichen Umfang Fläche angekauft werden. Rückständig? Es gibt Städte die gezielt die Förderung öffentlichen Eigentums vor das Interesse von Privatinvestoren setzen.

Erst ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wohnbebauung, Handel, Dienstleistung, Gewerbe und Kultur macht die urbane Attraktivität einer Stadt aus. Dass dies auch in Bahnhofsnähe möglich ist zeigen andere Städte zuhauf – sogar in Konstanz wurden Brachflächen an der Bahnlinie zur Wohnbebauung freigegeben, der Erfolg zeigt, dies war richtig. Wenn schon Vergleich mit Konstanz, dann aber in aller Konsequenz. Was hingegen Singen anstrebt, ist Uniformität und Beliebigkeit ohne klares Zukunftskonzept. In Singen lautet die Devise offenbar: lieber verscherbeln statt zu entwickeln.

Gabriele Steidle