„TTIP brächte kleine Betriebe in Bedrängnis“

seemoz-brauerei-härleGottfried Härle aus Leutkirch ist Brauer aus Leidenschaft. Aber als Geschäftsführer der „Brauerei Clemens Härle KG“ (seit 1897) ist er auch grüner Öko-Unternehmer und mischt sich in die Politik ein – nicht nur im Leutkircher Gemeinderat. Derzeit engagiert er sich gegen das Freihandelsabkommen TTIP: Noch im Mai ist in Konstanz ein Streitgespräch mit IHK-Geschäftsführer Claudius Marx geplant. Hier ein seemoz-Gespräch mit Härle über TTIP.

Seemoz: KMU, ein Zusammenschluss kleiner und mittlerer Unternehmen, macht Front gegen TTIP. Ich zitiere Ihr Statement aus diesem Aufruf: „Als Familienunternehmer und qualitätsorientierter Brauer bin ich essentiell auf gentechnikfreies, regionales Braugetreide angewiesen. Wenn mit TTIP die Gentechnik in Deutschland Einzug hält, wie das die amerikanischen Agrarkonzerne wollen, bedroht das nicht nur mein Unternehmen, sondern das Geschäftsmodell unserer ganzen Branche.“ Ist das nicht ein bisschen zuviel der Schwarzmalerei?
Nein, überhaupt nicht: Gerade die neuesten Verhandlungspapiere, die Greenpeace aktuell veröffentlicht hat, zeigen, wie wichtig den Amerikanern ein möglichst ungehinderter Zugang ihrer Agrarprodukte auf den europäischen Markt ist. Das Thema Gentechnik spielt dabei eine große Rolle: Während in Amerika gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht kennzeichnungspflichtig sind, gibt es in Europa – mit Ausnahme für tierische Produkte – eben eine solche Deklarationspflicht. Es steht zu befürchten, daß über TTIP beide Systeme als gleichwertig anerkannt werden.

Also Vereinheitlichung der Standards auf kleinstem Nenner?
Dies hätte zur Folge, dass gentechnisch veränderte Produkte aus den USA – auch ohne Kennzeichnung – in Europa verkauft werden dürften und damit der Verbraucher nicht mehr unterscheiden kann zwischen gentechnisch manipulierten und gentechnikfreien Lebensmitteln. Damit wäre dem Einzug der Gentechnik auch in Europa Tür und Tor geöffnet. Anbieter von gentechnikfreien Produkten hätten zunehmend Wettbewerbsnachteile und müßten darüberhinaus befürchten, dass die Beschaffung gentechnisch unveränderter Rohstoffe immer schwieriger wird.

Dies sind die Gründe dafür, dass immer mehr Lebensmittelverarbeiter sich gegen TTIP aussprechen, darunter auch sehr prominente und bekannte Unternehmen wie die Hofpfisterei in München – eine der größten Bio-Bäckereien in Deutschland – oder auch die Berchtesgadener Molkereien.

Noch sind die meisten Passagen dieses 900-seitigen Vertragswerks der Öffentlichkeit nicht bekannt. Woher kommen dann Ihre Befürchtungen?
Die aktuellen Veröffentlichungen von Greenpeace zeigen, wie begründet unsere Befürchtungen sind. Außerdem sind die Positionspapiere und Forderungen der amerikanischen Agrarlobby und der großen Saatgut- und Lebensmittelkonzerne längst bekannt: Diese zielen alle darauf ab, die Umwelt- und Verbraucherstandards zu senken und damit die amerikanischen Agrarexporte in die EU zu steigern. Dies brächte nicht nur viele kleine und mittlere Lebensmittelbetriebe in ganz Europa in große Bedrängnis, sondern auch große Teile der Landwirtschaft.

Und wie steht es dann um das deutsche Reinheitsgebot, auf das die deutschen Brauer so stolz sind?
Es ist seit langem bekannt, dass den Amerikanern die geschützten Herkunftsbezeichnungen für Lebensmittel in der EU ein großer Dorn im Auge sind. Dazu zählt u.a. auch die Bezeichnung „Bayrisches Bier“. Entlarvend ist, wie bei den Verhandlungen um CETA mit dieser Frage umgegangen worden ist: Geschützt ist nur noch die deutsche Bezeichnung „Bayrisches Bier“, während die englischen und französischen Übersetzungen – also „Bavarian beer“ und „Bière bavaroise“ – nicht mehr unter den Herkunftsschutz fallen.

Etikettenschwindel also?
Dies kann nun dazu führen, dass in Kanada Bier unter diesen Bezeichnungen hergestellt und verkauft werden darf. Natürlich müßte dieses Bier nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut werden. Obwohl der bayrische Brauerbund gegen diese Vereinbarung Sturm gelaufen ist, wurde die entsprechende Passage in CETA nicht mehr geändert. Fazit: TTIP und CETA führen auch zu einer Aushöhlung des deutschen Reinheitsgebots.

Sie sitzen auch im Gemeinderat von Leutkirch. Viele Gemeinden, viele Landkreise haben Petitionen gegen TTIP verfasst. Und Leutkirch?
Bisher haben wir uns im Leutkircher Gemeinderat mit dieser Frage noch nicht befasst. Unsere Fraktion hat aber vor, dieses Thema demnächst auf die Tagesordnung zu bringen.

Das Gespräch mit Clemens Härle führte Hans-Peter Koch