Der Brief, über den Konstanz spricht
…den aber kaum jemand kennt. Mit der Veröffentlichung des Offenen Briefes der 25 Mediziner des Zentrums für Innere Medizin am Klinikum Konstanz kurz vor Ostern, der dann in einer Sondersitzung des Gemeinderates zur Kündigung des Chefarztes führte, will seemoz die Diskussion versachlichen. Und ein paar Fragen stellen: Wieso wurden bislang die Kritikpunkte, die Anregungen, die Verbesserungsvorschläge aus diesem Brief nicht diskutiert? Wieso wurde bislang nur über den – nebenbei bemerkenswert sachlichen – Ton des Schreiben gestritten und nicht über seinen Inhalt? Sollte ein Unternehmen, in dem 25 Führungskräfte Verbesserungsvorschläge machen, nicht dankbar sein für konstruktive Kritik? Was sagt das über die Führungsqualitäten von Geschäftsführer Ott, was über die Strategie von Bürgermeister Boldt aus?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
voller Sorge um die Zukunft des Zentrums für Innere Medizin und unseres Klinikums insgesamt, fühlen wir uns verpflichtet, diesen offenen Brief an Sie zu richten.
Gerade in unruhigen Zeiten sind die von den Führungspersonen unseres Klinikums selbst angekündigte Transparenz, Verbindlichkeit, Integration – und nicht zuletzt – Glaubwürdigkeit gefragt. Nur so ist die schwierige finanzielle Lage zu meistern. Nur so kann das Potential unseres Hauses ausgeschöpft werden und in möglichen künftigen regionalen Krankenhausstrukturen die ihm gebührende: Berücksichtigung finden. Bedauerlicherweise lassen Geschäftsführung und Krankenhausleitung eben diese Qualitäten vermissen.
Das Personal kann die Wertschätzung für seine Tätigkeit, die mit hoher Motivation unter Zurückstellung persönlicher und privater Interessen erfolgt, nicht mehr erkennen. Zahlreiche Kollegen haben bereits gekündigt, überlegen einen Neuanfang an anderer Stelle oder haben resigniert.
Bereits seit Sommer 2010 sieht sich das Zentrum für Innere Medizin wiederholt mit Projekten und Maßnahmen der Klinkleitung konfrontiert, die weder medizinisch noch betriebswirtschaftlich nachvollziehbar sind. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass die größte Fachabteilung unseres Klinikums, auf deren Leistungsspektrum alle anderen angewiesen sind, systematisch destabilisiert werden soll – bis vor kurzem für uns ohne erkennbaren Grund.
Jetzt allerdings müssen wir von einem Projektantrag an die Geschäftsführung Kenntnis nehmen, der die Etablierung einer interdisziplinären Pneumologisch-Thoraxchirurgischen Klinik zum 01. August 2011 auf der Ebene G (belegt vom ZIM mit Station P12, Internistischer Notaufnahme, Lokaler Schlaganfallstation und Internistischer lntensivstation) vorsieht. Der Antrag ist im Intranet unter NT_serv1/Briefkasten/Projekte einzusehen, wurde ausweislich Unterschriften vom Geschäftsführer und Ärztlichen Direktor am 22. Februar 2011 genehmigt und am 15. März 2011 ins Intranet gestellt. Bis heute unterblieb jegliche Kontaktaufnahme von Geschäftsführung und Krankenhausleitung mit dem Zentrum für Innere Medizin; erst vor wenigen Tagen machte ein Kollege einer anderen Fachabteilung diesen erstaunlichen Fund.
Die Tatsache, dass man im Falle einer Umsetzung die Zerschlagung der Drehscheibe des Zentrums für Innere Medizin in der Ebene G in Kauf nehmen würde, ist schon ernüchternd und empörend genug. Der eigentliche Skandal besteht allerdings darin, dass mit dubiosen Mitteln und indiskutablem Führungsstil gefährliche Strukturveränderungen umgesetzt werden sollen. Insofern sind diese Vorgänge nicht nur für das Zentrum für Innere Medizin, sondern für unser Klinikum insgesamt von Belang. Hier eine kleine Chronologie:
• Juni/Juli 2010: Auflösung der Interdisziplinären Diabetes-Fuß-Station P21
Sehr gut organisierte, kosteneffektive Einheit mit beispielhafter interdisziplinärer Zusammenarbeit (ZIM/Chirurgie I) und hoher Außenwirkung. Als Begründung der Maßnahme wurde die Verbesserung der Belegung von nicht ausgelasteten Stationen im Hauptgebäude genannt. Umsetzung trotz zahlreicher, wiederholt formulierter Bedenken. Ergebnis und jetziger Stand: Trotz hohem Einsatz des gesamten Teams dürfte es Jahre dauern, bis die in der alten Organisationsform garantierte Versorgungsqualität wieder hergestellt ist. Zudem dauern die Personalengpässe an (das Gegenteil war versprochen worden).
• Seit Oktober 2010: Geplante Verlegung der Internistischen Notaufnahme auf die Ebene B und Zusammenführung mit der Chirurgischen Notfallaufnahme
Schlüssige Begründungen dieses Vorhabens stehen seitens Geschäftsführung und Krankenhausleitung immer noch aus. Umgekehrt liegen mehrere stringente Stellungnahmen der betroffenen Organisationseinheiten darüber vor, warum die interimsweise Rückverlagerung der inneren Notaufnahme in die Zentrale Notaufnahme bis zum Umzug der Notaufnahme in den Neubau keine Maßnahme zur Optimierung infolge einer Reduzierung der Personalkosten durch Zentralisierung darstellt, sondern mit dem Erhalt der jetzigen qualitativ hochwertigen Versorgung schlichtweg inkompatibel ist und sich auch betriebswirtschaftlich nicht rechnet.
• November 2010: Gescheitertes Misstrauensvotum gegen Prof. Müller-Esch
…in seiner Funktion als langjähriger Ärztlicher Direktor, in dessen Vorbereitung auch die Geschäftsführung einbezogen wurde. Prof. Müller-Esch und seine beiden Stellvertreter Prof. Gessler und Prof. Reith treten einen Monat später von ihren Ämtern zurück. Dieser von Stillosigkeiten geprägte Vorgang ist beispiellos in der Geschichte unseres Klinikums und charakterisiert die Initiatoren ohne weiteren Kommentar.
• Seit Januar 2011: Geplante Verlagerung der Lokalen Schlaganfalleinheit in die Internistische Intensivstation zum 01.05.2011.
Vordergründig wird als Begründung die notwendige Reduzierung des Stellenplans in der Pflege angeführt. Auch hier gibt es unsererseits schlüssige Entgegnungen, die klar den medizinischen und betriebswirtschaftlichen Schaden einer solchen Maßnahme belegen: Medizinisch betrachtet, wäre die zu erbringende Behandlungsqualität nicht mehr sichergestellt, die Voraussetzungen für eine Rezertifizierung wären entfallen. Betriebswirtschaftlich gesehen, könnte ein erlös steigernder Code bei über 50% der Stroke-Patienten nicht mehr abgerechnet werden; empfindliche Einbußen wären die Folge. Überdies müsste in einem derartigen Setting einer Abwanderung von Schlaganfallpatienten in die Akutneurologie der Kliniken Schmieder Allensbach bzw. nach Singen gerechnet werden. Diese Einschätzung haben auch unsere Neurologischen Konsiliarärzte der Geschäftsführung schriftlich mitgeteilt.
• Seit Februar 2011: Stellenbesetzung im Zentrum für Innere Medizin
Initial stellt die Geschäftsführung die weitestgehende Refinanzierung des Ärztlichen Dienstes im ZIM über die DRG-Erlöse in Frage. Auf mehrere Bitten hin, einen verbindlichen Stellenplan für das laufende Jahr festzulegen, erfolgt keine Reaktion. Die nur durch gemeinsames Auftreten aller ärztlichen Mitarbeiter im Gespräch mit Geschäftsführung und Krankenhausleitung erwirkte Wiederbesetzung einer der zu besetzenden Stellen erfolgt mit dem kuriosen Vorbehalt des Geschäftsführers, dass dadurch bedingt keine Stellen in der Pflege wieder besetzt werden könnten. In den nächsten Monaten werden drei weitere exzellente Assistenzarztkollegen das ZIM verlassen.
Die Geschäftsführung ist mittlerweile zur Einsicht gekommen, dass eine Wiederbesetzung auch aus wirtschaftlicher Sicht durchaus angezeigt ist. Jetzt bezeichnet sie die trotzdem nicht erteilte Genehmigung als Druckmittel auf den Chefarzt, den Maßnahmen Verlegung der Internistischen Notaufnahme und Verlagerung der Lokalen Schlaganfalleinheit in die Intensivstation zuzustimmen. Der Ärztliche Priv. Doz. Dr. Zantl schließt sich dieser Linie an und erklärt den Assistenzärzten des ZIM, ihr eigener Chefarzt sei durch fehlende Veränderungsbereitschaft (!) für ihre Stellenmisere verantwortlich.
• Seit Februar 2011: Wirtschaftlichkeit der Medizinischen Fachabteilungen
Bürgermeister Boldt stellt im Februar im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Kliniken bzw. Berufsgruppen die Behauptung auf, dass das Zentrum für Innere Medizin mit ca. 1 Million Euro Defizit vordringlich Strukturanpassungen vorzunehmen habe, während die Verwaltung sehr sparsam arbeite. Er lässt sich von dieser Fehlaussage nicht abbringen, unterstellt dem Chefarzt des Zentrums für Innere Medizin ein eigentümliches Verhältnis zu Zahlen und Daten in der Vergangenheit und teilt weiter mit, dass er, Bürgmeister Boldt, bezüglich Zahlen nur dem Geschäftsführer und Controlling Glauben schenke.
Mitte März erstellen Herr Heydger/Controlling und Fr. Stollenwerk/Referentin der Geschäftsführung eine Sitzungsvorlage „Wirtschaftlichkeit der Abteilungen“ für den Krankenhausausschuss. Im Textteil wird dem ärztlichen und pflegerischen Personal fehlende Bereitschaft für dringende Anpassungen attestiert, der rudimentäre Zahlenteil wartet mit nicht herleitbaren, mit dem Vorjahr nicht vergleichbaren, viele Fragen offen lassende Daten auf. Das 1 Jahr zuvor noch positiv dargestellte ZIM soll jetzt trotz annähernd gleicher Erlössituation und drastischer Reduzierung des Personals seine Finanzierungslücke von ca. 100000 Euro (2009) auf 1 Million Euro (2010) vergrößert haben (!) Geschäftsführung und Controlling bleiben die Erklärung dafür in einer Sondersitzung des Chefarztgremiums am 22. März schuldig.
Ein umfangreicher Fragenkatalog zur Validität der Daten erfährt durch den Geschäftsführer eine „Beantwortung“ dahingehend, dass das Controlling die Abbildung der Wirtschaftlichkeit der Fachabteilungen sehr eindrücklich und nachvollziehbar erläutert habe, weitere Auskünfte nicht nötig und aus zeitlichen Gründen wie auch aus Gründen der Verschwiegenheitspflicht nicht möglich seien. Damit nicht genug, werden demjenigen, der die Ausschussvorlage verbreitet habe, ggf. rechtliche Konsequenzen in Aussicht gestellt. Paradox insofern, als Herr Ott selbst die komplette Vorlage allen Chefärzten unseres Klinikums zugeleitet hat.
• Seit März 2011: Krankenhaus-Holding für den Landkreis Konstanz
In der Projektgruppe Medizin sind seitens des Klinikums Konstanz ausschließlich operative Fächer berücksichtigt. Ärztliche Vertreter sind Priv. Doz. Dr. Zantl und Dr. Kiefer. In der Arbeitsgruppe Thoraxchirurgie/Pulmologie sind neben Dr. Kiefer die Pulmologen aus Radolfzell und Stockach dabei; eine Teilnahme von Prof. Müller-Esch für das ZIM ist nicht erwünscht.
• Seit Januar 2011 (?): lnterdisziplinäre Pneumologisch-Thoraxchirurgische Klinik im Rahmen des Lungenzentrums Bodensee
Im Jahr 2009 nahm die Thoraxchirurgische Klinik als neues Fachgebiet unseres Klinikums ihre Arbeit auf. Strategisch war sie als wichtiger Baustein zur Etablierung eines Lungenzentrums Bodensee gemeinsam mit dem Zentrum für Innere Medizin konzipiert. Zur Verankerung dieses Lungenzentrums in der Region wurde das Konstrukt um eine entsprechende Partnerschaft mit dem Klinikum Friedrichshafen, die in einer Kooperationsvereinbarung definiert ist, erweitert.
Bedauerlicherweise konnte die Thoraxchirurgie die in sie gesetzten Erwartungen in den beiden Jahren ihres Bestehens nur ungenügend erfüllen: so wurden 2010 lediglich 153 Patienten mit einem CM von 330 Punkten stationär behandelt. Zudem vernachlässigte man die Kooperation mit dem Klinikum Friedrichshafen.
Mit Kopfschütteln und Empörung nehmen wir jetzt den Projektantrag von Herrn Dr. Kiefer zur Etablierung einer eigenständigen Pneumologie am Klinikum zur Kenntnis, für die neben einem Chefarzt zwei Assistenzärzte, eine Physiotherapeutin und 14 Pflegekräfte als zusätzliche Personalkosten aufgeführt werden. Ebenso unglaublich ist die Unterstellung einer rudimentären pneumologischen Kompetenz im ZIM durch den Antragssteller: Auch Herrn Dr. Kiefer sind die Controlling-Daten des ZIM zugänglich, die allein unter TOP 20 DRG’s solche aus der Pulmologie mit einem Gesamterlösvolumen von über 700 CM-Punkten entsprechend knapp 3 Millionen ausweisen. Bezeichnend ist ferner die Tatsache, dass man offenbar Personal in erheblichem Umfang wegspart, um es an anderer Stelle in ein Projekt mit derzeit unsicherem Ausgang investieren zu können.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Am Beispiel des ZIM ist festzuhalten:
• Durch fehlende Transparenz, Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit hat unser Vertrauen in die Geschäftsführung und die Krankenhausleitung erheblichen Schaden genommen.
• Medizinisch wie auch betriebswirtschaftlich sinnlose Maßnahmen werden trotz vielfacher, begründeter Kritik weiter betrieben.
• Eine Schlüsselrolle dabei spielt das am Zentrum für Innere Medizin vorbei aufgelegte Projekt einer Pneumologischen Fachabteilung mit eigenem Chefarzt und weiterem Personalbedarf in den Räumlichkeiten des Zentrums für Innere Medizin auf Ebene G.
• Zur Durchsetzung fragwürdiger Ziele wird auch die Verbreitung von nicht herleitbaren und viele Fragen offen lassenden Daten eingesetzt – in unserem Fall mit der Absicht, dem ZIM fehlende Wirtschaftlichkeit zu attestieren.
• Ein derartiges Vorgehen von Geschäftsführung und Krankenhausleitung setzt zwangsläufig sowohl die bisherige medizinische Versorgung als auch betriebswirtschaftliche Erlöse aufs Spiel und verstärkt darüber hinaus die jetzt schon festzustellende Abwanderung vieler Kolleginnen und Kollegen aus Pflege und Medizin.
• Zum Wohl unseres Klinikums, seiner Patienten und seiner Belegschaft sind Geschäftsführung und Krankenhausleitung aufgerufen, von widersinnigen Strukturmaßnahmen Abstand zu nehmen und umgehend in einen offenen, fairen Dialog mit den Beschäftigten einzutreten.
Die Ärzteschaft des Zentrums für Innere Medizin“
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Chefarzt-Kündigung: Weisschedels Mahnungen verpufften
Der Kommentar von fanello trifft absolut ins Schwarze. Außerdem wundere ich mich, warum sich die Mehrheit, die ja der Kündigung zugestimmt hat, nicht meldet – so entsteht doch in der Öffentlichkeit ein völlig flascher Eindruck!
Hat schon mal jemand gefragt, was ein Herr Müller-Esch jährlich an Erträgen aus seiner Abteilung zieht? Da kann es schon mal vorkommen, dass Veränderungen oder Sparmaßnahmen unangenehm sind. Cui bono? Diejenigen, die sich jetzt so aufregen, sollten daran denken, dass das Klinikum der Stadt bzw. der Stiftung gehört, und nicht einem Chefarzt. Die Mehrheit im Stiftungsrat hat das erkannt, auch wenn die Stimmen der Unterlegenen jetzt offenbar mehr Gewicht haben – nur weil ihr Gezeter jetzt von den Medien gefragt ist?
Wie gut, dass es SEEMOZ gibt. Hier wird man umfangreich und ausführlich informiert. Stampft doch die „ZITATENZEITUNG SÜDKURIER“ endlich ein. Seit H.J.Rau Lokalchef ist, gibt es sowieso keine objektive journalistische Arbeit mehr. Die Abonnenten merken nicht, dass wegen immer mehr platzraubender Werbeanzeigen im redaktionellen Teil gar kein Platz mehr für eine ausreichende Pressearbeit vorhanden ist. Gut verpackt im Umschlag SÜDKURIER kommen die Werbeprospekte auch in die Briefkästen, wo draufsteht „KEINE WERBUNG ERWÜNSCHT“.