Alle wundern sich über Gedeon. Wirklich alle?
Der Singener AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon sorgt wegen offen antisemitischer Aussagen gegenwärtig für einigen medialen Wirbel – noch heute will er sich zu den Vorwürfen äußern. Viele Politiker aus der Region zeigten sich überrascht, was nun wieder die beiden linken Landtagskandidaten Jürgen Geiger und Simon Pschorr überrascht:
Jürgen Geiger: „Klare Kante“ gegen Hetzer zeigen
Ich habe im Wahlkampf bei Veranstaltungen Gedeon konsequent den Handschlag verweigert und das damit begründet, dass ich Rassisten nicht die Hand reiche. Die jetzt bekanntgewordenen widerlichen antisemitischen Verlautbarungen kannte ich damals nicht, dafür andere, nicht minder rassistische Äußerungen. Für mich war und ist klar: Gegen solche Hetzer muss klare Kante gezeigt werden, mit ihnen kann es keinen Dialog geben. Die jetzt von Politikern von der CDU bis zu den Grünen an den Tag gelegte Empörung finde ich deshalb – vorsichtig formuliert – überraschend, denn die menschenfeindlichen Positionen des Herrn Gedeon waren und sind ja kein Geheimnis.
Für mich greifen die jetzt überall lautwerdenden Rücktritts- und Ausschlussforderungen auch zu kurz. Das Hauptproblem liegt weniger in solch abstoßenden Figuren (von denen es in dieser Partei wahrlich genug gibt), sondern im Gesellschaftsbild, für das die AfD mobilisiert: Es greift durch die neoliberale Politik des Sozialabbaus entstandene Unsicherheiten auf und will die Zukunftsängste vieler in völkisch-nationalistische Bahnen lenken: Die deutsche Volksgemeinschaft als Rezept gegen die gesellschaftlichen Verwerfungen der kapitalistischen Produktionsweise. Motto: Wenn wir gegen die da draußen zusammenhalten, schaffen wir das schon. Dieses Denkmuster wird nicht mit der Person Gedeon verschwinden – mit ihm gilt es sich auseinanderzusetzen. Denn das beschworene deutsche Wir gibt es natürlich nicht, die Widersprüche verlaufen nicht zwischen Drinnen und Draußen, sondern zwischen Oben und Unten. Nicht die Flüchtlinge sind für Niedriglöhne und Elendsrenten verantwortlich, sondern eine Politik, die systematisch zugunsten der Reichen umverteilt.
Die AfD-interne Kritik an Gedeon scheint mir übrigens rein taktisch motiviert: Noch überwiegen dort offenbar Kräfte, die den Marsch in die offen nationalistische und autoritäre Gesellschaft häppchenweise schmackhaft machen wollen.
Jürgen Geiger
Simon Pschorr: Journalistischer Meisterstreich
Für die AfD sitzt doch tatsächlich ein Antisemit im Stuttgarter Landtag. Wer hätte das erwartet?
Ausgerechnet der Landkreis Konstanz, genauer der Wahlkreis Singen, stellt diese illustre Person. Es handelt sich hierbei um den Arzt Dr. Wolfgang Gedeon. Seine Gesinnung ist dabei jedoch keine Neuigkeit. Bereits von einigen Jahren verfasste er mehrere Bücher – seiner Meinung nach Meisterwerke – die zusammengefasst zu einer Trilogie seine Gedankenwelt in Schriftform enthalten. Wolfgang Gedeon zeigt sich dabei als bekennender Antisemit, Antizionist und Verteidiger der Holocaust-Leugnung.
Auf seemoz waren bereits 2015 Auszüge seines Werks zu lesen. Auch im Landtagswahlkampf selbst haben die Kandidaten aus Konstanz und Singen, Jürgen Geiger und auch ich, immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Singener Wählerinnen und Wähler mit Wolfgang Gedeon einen Teufel im Medizinerkittel einkaufen. Dass diese Fragen erst jetzt aufgegriffen werden, liegt an der Präsenz und Meinungsgewalt überregionaler Medien.
In den vergangenen Monaten ermittelte auch die Staatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit. Gegen Wolfgang Gedeon war ein Verfahren wegen Volksverhetzung anhängig. Dieses wurde von der zuständigen Behörde eingestellt, und das, obwohl seine Machwerke für jedermann zugänglich im Bestand der Universität Konstanz verwahrt sind. Leider drängt sich jedes Mal, wenn man von einer solchen Einstellung hört, die Frage auf, warum die Motivation deutscher Strafverfolgungsbehörden, rechtsradikalen und volksverhetzerischen Straftaten nachzugehen, so gering ist.
Obwohl nun medial wie politisch heftiger Gegenwind weht, hat der AfD-Abgeordnete keinerlei Anstalten gemacht, seine Positionen zu widerrufen. In einem viral gegangenen Fernsehinterview bekräftigt er nur noch einmal, dass ein anständiger Rechtsstaat Holocaust-Leugnung zu tolerieren hätte. Die Schuld Deutschlands am Mord von Millionen Menschen jüdischen Glaubens und anderer ‚Andersartigkeit‘ zu verleugnen, halte er für eine legitime Meinungsäußerung.
Großspurig hat die AfD-Fraktion im Laufe der letzten Woche angekündigt, hieraus Konsequenzen zu ziehen und Wolfgang Gedeon aus der Fraktion auszuschließen. Wie erwartet ist dies unterblieben. Wolfgang Gedeon dürfte öffentlich – wenig glaubwürdig – seine gesamte Gesinnungswelt verleugnen, um zu Kreuze kriechend von den Kameraden wieder aufgenommen zu werden. An einer Hand werden sich die Tage abzählen lassen, bis er das nächste Mal bekräftigt, dass seine Ansichten der reinen, deutschen Wahrheit entsprächen.
Simon Pschorr
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