„Wir hätten mehr Unterstützung erwartet“
Nicht alle Reden, die auf der gestrigen Sondersitzung des Gemeinderats gehalten wurden, waren salbungsvoll, wie seemoz noch gestern vermutete. Gegenbeispiel: Marco Radojevic (Foto), der im Namen der Konstanzer Studierendenvertretung den Politikern ins Gewissen redete – und nichts ausließ: Wohnungsnot, Kulturdebakel, Verkehrschaos. Im Wortlaut (von der Redaktion der besseren Lesbarkeit wegen nur mit einigen Zwischentiteln versehen):
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Burchardt, sehr geehrter Prof. Rüdiger, sehr geehrte Damen und Herren,
ich muss gleich vorweg sagen, dass es eine gewisse Genugtuung ist, ausnahmsweise hier vorne stehen zu dürfen und nicht der Gelangweilte, sondern der Langweiler zu sein. Dieser Perspektivenwechsel tut mir zumindest gut und wie es Ihnen allen damit geht, können Sie ja am Ende meines Kurzvortrages bewerten. Jedenfalls kann ich jetzt schon einmal sagen, dass der Narzissmus, den man gemeinhin Politikern und Professoren nachsagt, auch vor einem einfachen, bescheidenen Studierendenvertreter wie mir nicht Halt macht, wenn man die Chance hat 10 Minuten den städtischen und universitären Eliten die Meinung zu geigen.
Herr Prof. Rüdiger, Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen kann ich aber schon einmal beruhigen: Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Studierendenvertretung funktioniert bestens und da gibt es daher nicht viel zu beanstanden und außerdem wäre es unseren Gästen gegenüber unhöflich, wenn man ihnen nicht die Zeit widmet, die sie verdienen.
Doch zuerst zur Studierendenvertretung. Wir als Studierendenvertretung vertreten – und ja, das ist etwas redundant – die über 11 000 Studierenden an unserer Universität. Ich könnte nun jedes einzelne der dutzend Gremien aufzählen, aber da man Gäste ja gut behandeln sollte, beschränke ich mich mal nur auf die Arbeit, die in direktem Zusammenhang mit der Stadt stehen:
Wir haben ein Kulturticket eingeführt, mit dem Studierende gegen Vorlage ihres Studierendena-Ausweises kostenlos das Theater und die Philharmonie besuchen können. Durch die Solidarfinanzierung dieses Tickets machen wir nicht nur Kultur für jeden und jede erschwinglich, sondern verschaffen den kulturellen Einrichtungen auch einen festen Finanzbetrag, mit dem sie rechnen können. Wir erleichtern damit also nicht nur den Zugang zur Kultur, sondern stärken auch die Kultur an sich in unserer Stadt. Und lassen Sie mich sagen: Bei allen schweren politischen Problemen, die wir hier in der Stadt, im Bund, ja, weltweit haben, muss ein Mehr an Kultur immer das Ziel eines demokratischen Gemeinwesens sein. Egal, ob nun Theater, Philharmonie oder ein Punkrockkonzert in der schäbigsten Spelunke, ohne Kultur verkümmert die Gesellschaft und das Gemeinwesen.
Da sind dann auch Sie als Räte und Bürgermeister in der Pflicht, die nötigen Mittel bereitzustellen, um bestehende kulturelle Institutionen zu erhalten, aber auch neue anzustoßen. Wir haben so viele kreative Köpfe an der Universität – und deren Projekte und Ideen dürfen doch nicht am Geld scheitern. Deshalb appelliere ich an Sie, erhöhen Sie den Fördertropf für kulturelle Projekte, denn wenn Konstanz Kulturstadt sein will, dann muss in diesem Bereich deutlich mehr passieren.
„Die Stadt muss sich zur Kultur bekennen“
Nun, wenn ich das Thema Kulturförderung in Bezug auf die Studierendenschaft anspreche, dann werden Sie wissen, was jetzt kommt: Wir haben dieses Jahr zum zweiten Mal ein erfolgreiches Campusfestival auf die Beine gestellt, und ich bin da den Organisatoren und dutzenden Helfern so dankbar, dass sie mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit etwas auf die Beine gestellt haben, dass die Kultur an unserer Uni und unserer Stadt stärkt, aber das vor allem einfach gerockt hat.
Und ja, liebe Damen und Herren Räte, wir hätten uns da von Ihnen mehr Unterstützung erwartet, das ist kein Geheimnis: Wenn über 4000 Menschen zwei Tage in Konstanz gemeinsam feiern und das im Wesentlichen von Ehrenämtlern getragen wird, dann erwarten wir von der Stadt, dass da mehr Unterstützung kommt. Ja, wir hätten damit den Kulturfördertopf gesprengt, aber dann muss eine Stadt und ihr Gemeinderat sich einfach auch mal zur Kultur bekennen und diesen erhöhen, damit so etwas wie das Campusfestival, aber auch zahlreichere kleinere Initiativen, gefördert werden können. Wir alle, auch Sie, würden davon profitieren.
Weitere Projekte der Studierendenschaft spielen sich im Bereich Verkehr ab. Wir haben ein gutes Studi-Ticket und sind sehr froh, dass wir dieses nutzen können. Und auch wenn es gerade mir gut tun würde, mal öfter zur Uni hochzuradlen, bin ich froh um die Busanbindung innerhalb von Konstanz. Wir wollen hier aber auch durch ein Fahrradmietsystem, das von einer übergroßen Mehrheit der Studierenden getragen wird, den Radverkehr in der Stadt stärken. Wenn es regnet – hoch mit den Bus, wenn die Sonne scheint – runter mit dem Rad. Kurz: Wir wollen vielfältige Möglichkeiten der Mobilität schaffen. Wir übernehmen jetzt den großen Teil der Finanzierung des Projekts, doch auch da möchte ich Ihnen mal den Denkanstoß mitgeben, sich hier stärker in der Förderung einzubringen: In einer Stadt, die nahezu täglich aus den Nähten platzt, ist jedes Auto von Touristen, Bevölkerung oder Studierenden, das weg von der Strasse ist, ein Gewinn an Lebensqualität und Attraktivität. Dass die Stadt dann auch endlich mal mehr Radwege und Fahrradstraßen schaffen sollte, versteht sich von selbst. Der motorisierte Individualverkehr ist nicht die Zukunft für unsere Innenstadt.
Wenn Sie unser Ortsschild sehen, dann steht unter Konstanz nicht Einkaufs- oder Tourismusstadt, sondern da steht Konstanz Universitätsstadt. Und für uns beschränkt sich das Universitätsstadt sein eben nicht nur auf die bloße Anwesenheit einer Universität. Sondern das bedeutet, dass hier auch die nötige Infrastruktur geschaffen werden muss, um diesen Begriff mit Leben zu füllen: Das leidige Thema „Wohnen“.
„Auch Studierende brauchen sozialen Wohnungsbau“
Um es gleich vorweg zu sagen, die Wohnsituation in Konstanz ist nach wie vor völlig inakzeptabel. Unsere Universität wächst und das ist auch gut so. Doch dieses Wachstum muss viel massiver durch die Stadt Konstanz durch Wohnungsbau flankiert werden. Und dabei kommt es nicht nur drauf an, dass gebaut wird, sondern auch, was und zu welchem Preis gebaut wird. Und ich sage es im Namen der Studierendenvertretung vorweg: Luxuswohnungen oder Wohnheime wie das private, überteuerte C3 sind nicht der Ausweg aus der Miesere. Sondern es geht uns primär um den sozialen Wohnungsbau. Da hat die Stadt in der Vergangenheit zu wenig getan und deshalb fällt dieses Kartenhaus Wohnungsmarkt mittlerweile in sich zusammen.
Eine Person, die nur BAFÖG als Einkommen hat, kann in Konstanz nicht leben, junge Familien können hier in Konstanz nicht leben, auch viele Mitarbeiter dieser Universität und andere Einfach- Arbeitnehmer können hier nicht leben. 3000 Menschen sind auf der Warteliste der städtischen Wohnungsbaugesellschaft und es muss Sie doch alarmieren, dass diese Zahl nicht kleiner wird. Dieser Entwicklung müssen Sie mit aller Kraft entgegentreten, Konstanz steht Kultur, Wissenschaft und Tourismus gut an, aber wenn Konstanz einen Titel sicherlich nicht braucht, dann den einer der teuersten Städte in Deutschland. Deshalb sprechen Sie auf ihrem Smartphone den Satz „Wie kann ich mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen?“ ein und stellen Sie sich das als Wecker ein, damit Sie jeden Morgen wissen, was ihre wichtigste Aufgabe als Verantwortungsträger in der Stadt ist. Bauen Sie mehr in den unteren Preissegementen, erschließen Sie neue Wohngebiete: Tun Sie etwas!
„Mehr Freiräume für Jugendliche“
Es geht allgemein darum, dass wir das soziale Gleichgewicht und Miteinander in der Stadt erhalten. Wir wissen alle, dass es in dieser Stadt manchmal zu Konflikten zwischen Jung und Alt kommt. Deshalb brauchen wir hier auch mehr Frei- und Begegnungsräume, um gerade so Spannungspunkte wie auf dem Herosé-Park zu entzerren. Bauen Sie in Klein Venedig doch einfach eine kleine Bühne und eine Grillstätte auf und stellen Sie ein paar Toilettenhäuser auf, um einen Ort für junge Menschen in dieser Stadt zu schaffen. Wenn Sie unserem Vorschlag für Klein Venedig nicht folgen wollen, dann bitte ich Sie, da aber keinen dm hinzubauen, ich habe ja gehört, dass wir da schon einen an der Marktstätte bekommen.
Ich glaube, es würde Ihrem Rat auch guttun, wenn mehr Studierende Teil in diesem wären. Jung und Alt haben oftmals unterschiedliche Interessen und deshalb kann es doch nicht sein, dass bei 16 000 Studierenden in unserer Stadt nur zwei im Gemeinderat sind. Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, und da müsst Ihr jetzt stark sein, Jan und Stephan, dass Ihr beide eine große Klappe habt, aber für 16 000 könnt Ihr dann doch nicht sprechen. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass die Listen vor der nächsten Kommunalwahl den Studierenden eine realistische Chance ermöglichen, in den Rat einzuziehen.
Ich weiß, wir waren hart zu Ihnen, aber wenn man eine gute Kooperation will, muss man sich gegenseitig mal die Meinung sagen können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein glückliches Händchen bei Ihren Entscheidungen: Sie wissen ja, an was Sie in Zukunft morgens als erstes denken sollen, denn gerade für unsere Stadt gilt: Universitätsstadt werden, ist nicht schwer – Universitätsstadt sein, dafür umso mehr. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“
Marco Radojevic