Zugehört!

Die Hure und die Heilige, das ist ein etwas ausgelutschter Topos, aber zum Konziljubiläum passt er natürlich für ein groß angelegtes musikalisches Experiment: Die Kurtisane Imperia, die die geistlichen und weltlichen Herren auf dem Konstanzer Konzil unterhielt, wird musikalisch der Jungfrau Maria entgegengesetzt, deren Stärken auf anderen Gebieten als denen der Unterhaltung lagen. Das Ganze findet als Uraufführung zweier groß besetzter Oratorien in Konzil und Münster statt.

Den Auftrag zu diesen Werken vergab der Bach-Chor Konstanz anlässlich des Konzilsjubiläums an den schweizerischen Komponisten Ulrich Gasser (Foto), für dessen Werk sich Claus Gunter Biegert, der hiesige evangelische Kirchenmusikdirektor, seit jeher besonders einsetzt. Entstanden sind zwei abendfüllende Oratorien für Vokal- und Instrumentalsolisten, Chöre, Orgel und Orchester, die an zwei verschiedenen Orten aufgeführt werden. Der erste, Imperia gewidmete Abend, findet im Konzil statt, der zweite, in dem Maria besungen wird, im Konstanzer Münster. Man merkt schnell: 1:0 für Maria, was die Locations anbelangt, und das dürfte kein Zufall sein, denn Gasser (*1950) ist immer wieder auch als Komponist geistlicher Werke über konfessionelle Grenzen hinaus hervorgetreten.

Jan Hus auf der Bühne

Worum geht es bei „Imperiamarie“? Zuerst einmal ist es natürlich eine gelehrte, musikalische Veranstaltung, denn das Oratorium lässt einen Haufen historischer Gestalten als Gesangssolisten erscheinen.

Der Freitagabend ist der weltliche. Unter dem Titel „Der gefallene Engel“ beschäftigen sich acht SolistInnen, ein Kammerchor und 13 InstrumentalistInnen mit der weltlichen Seite des Konzils, daher findet die Aufführung auch in einem profanen Raum und nicht in der Kirche statt (obwohl in der Kirche vermutlich mehr Hurerei betrieben wurde und wird als im Konzilgebäude). Imperia bildet die zentrale Achse dieses Abends. Die tonangebenden Protagonisten des Konzils (Kaiser Sigismund, Herzog Friedrich IV, Barbara von Cilli, Guillaume Fillastre usw.), aber auch Oswald von Wolkenstein, Jan Hus und Das arme Pfäfflein vertreten musikalisch ihre Sicht auf Konzil und Welt und sprechen die zentralen geistlich-moralischen Probleme in (nach Selbsteinschätzung des Komponisten) „durchaus kritischer und heutiger Sicht“ an. Imperia empfängt sie alle und kommentiert deren Statements aus ihrer Sicht. Diesem Geschehen gegenüber steht ein Kammerchor. Er vertritt die Einwohner, „das Volk“ von Konstanz, das zwar das Konzil als große, durchaus weltliche Kirmes feiert, gleichzeitig aber auch seine große, unüberwindliche Distanz dazu zum Ausdruck bringt.

Der Glaube siegt

Am Samstag geht es dann mit großer Besetzung im Münster weiter. „Die reine Magd“ ist ein Oratorium für Vokal- und Instrumentalsolisten, Vokalensemble, Chor, Orgel, Orgelpositiv und Orchester, das ausdrücklich in einem großen Kirchenraum aufgeführt werden soll. Inhaltlicher Ausgangspunkt ist zunächst „die reine Magd“ als Gegenüber zur „Hure“ Imperia. Hier bildet Maria als Vermittelnde, für den Menschen Bittende, aber auch Unerreichbare und vor allem Schweigende den Mittelpunkt. Am Ende läuft alles recht aufwändig auf das höhere Lob Gottes hinaus, wenn sich die Konzilprotagonisten „Im Angesicht Marias“ der Fragwürdigkeit ihres Lebens und Tuns bewusst werden. Eine aus heutiger Sicht etwas billige Lösung, aber zu Zeiten des Konzils mochte eine solche Teilläuterung als Notlüge durchaus noch angehen.

Eine wichtige Uraufführung

Diese beiden Abende werden auf jeden Fall zwei gewichtige Beiträge zum Konziljubiläum: Die Uraufführung eines derart groß angelegten Werkes erfordert nicht nur erhebliche musikalische Anstrengungen, gerade von den Laien im Chor, sondern ist ein Höhepunkt der an zeitgenössischer Musik nicht überreichen Konstanzer Musikgeschichte.

Was musikalisch zu erwarten ist? Wer Gasser etwas kennt, weiß, dass er äußerst sparsam mit knalligen musikalischen Effekten umgeht, sein Oratorium dürfte eher zurückhaltende Kirchenkantate als deftige Oper werden, und die Dramatik und der Unterhaltungswert händelscher Oratorien sind Gasser ziemlich fremd. Er ist beileibe kein Komponist, der ein hergebrachtes Konzertpublikum schockiert, aber durchaus einer, der ihm lange Phasen zumutet, in denen die Hörerinnen und Hörer ganz auf sich selbst zurückgeworfen werden. Inwiefern es ihm in diesem Werk gelingt, auch politisches Geschehen oder gar „das Volk“ lebendig werden zu lassen, und wie weit die Texte hölzerne Ideenlyrik oder wirklich lebendig sind – all das bleibt abzuwarten. Das ist ja das Schöne an Uraufführungen, eigentlich weiß man vorher nie, wie’s kommt. Den Aufführenden geht’s übrigens meist genauso.

Konzert

Imperiamarie – Ein Oratorium in zwei Teilen von Ulrich Gasser auf ein Libretto von Eva Tobler und Ulrich Gasser für Vokal- und Instrumentalsolisten, Kammerchor, Chor, Orgel, Orgelpositiv und Orchester, komponiert im Auftrag des Bach-Chors Konstanz. Die Aufführungen finden im Rahmen des „Konstanzer Chorfestivals 2016“ statt.

I. Teil: Freitag, 15. Juli, 20.15 Uhr im Konzil, Konstanz
II. Teil: Samstag, 16. Juli, 20.15 Uhr im Münster U.L.F., Konstanz

Solistenensemble Schola Konstanz, Bach-Chor Konstanz, Vokalensemble Cantus Konstanz, Südwestdeutsche Philharmonie, Leitung Claus Gunter Biegert – www.kultur-forum-lutherkirche.de

Karten: Eintritt 20 € (Studiticket 15 Minuten vor Beginn 7.- €), Vorverkauf: BuchKultur Opitz, St. Stefansplatz 45, Konstanz; Tourist-Information, Bahnhofplatz, Konstanz – www.reservix.de

Harald Borges (Foto: Gabriele Heidecker), Quelle: PR