Bene Müller: „Energiewende ist kein Selbstläufer“

Gegenwind für die Windkraftnutzung: Vor allem das Bürgerprojekt solarcomplex aus Singen, das die Bodensee-Region erfolgreich zur Region erneuerbarer Energien machen will, zieht Kritik auf sich. Aber ist die Einschätzung der Kritiker inhaltlich richtig, wird nicht arg häufig nur skandalisiert? seemoz fragte bei Bene Müller, Vorstandsmitglied der solarcomplex AG, nach.

solarcomplex ist ein Erfolgsmodell – von Jahr zu Jahr steigen die Bilanzzahlen. Dennoch gibt es Gegenwind, vor allem eine Bürger-Initiative aus Steißlingen wettert heftig. Einer der Vorwürfe dieser Wutbürger: Zur Errichtung der Windkraftanlagen müsse wertvoller Baumbestand geopfert werden.
Das ist zunächst mal richtig. Da sich in unserer Gegend ausschließlich die Höhenzüge für Windkraftnutzung eignen und da diese nahezu immer bewaldet sind, hat die Windkraftnutzung automatisch zur Folge, dass Wald gerodet werden muss. Es handelt sich um 0,5 bis 1 Hektar pro Anlage, darin enthalten ist die eigentliche Kranstellfläche, aber auch Verbreiterungen der Waldwege auf in der Regel 4,5 m. Selbstverständlich achtet jeder Projektierer darauf, den Eingriff so gering als möglich zu halten und zwar aus vitalen wirtschaftlichen Gründen. Eine Wiederaufforstung ist verpflichtend und die kostet Geld. Am Standort Verenafohren müssen z.B. 5,3 ha für 2,9 ha gerodete Fläche aufgeforstet werden, das ist fast ein Faktor 2.

Ich möchte aber noch zwei Anmerkungen machen: Erstens ist die CO2-Bilanz deutlich positiv: Pro Windkraftanlage werden bei rund 6 Mio kWh Jahresstromertrag gegenüber dem deutschen Strommix, der leider immer noch zur Hälfte aus Kohlestrom besteht, rund 3600 t CO 2 eingespart. Der jährliche Holzzuwachs pro Hektar entspricht hingegen einer CO2-Bindung von rund 10 t.

Zweitens gibt es eine ganze Reihe von Infrastrukturmaßnahmen, für die Wald gerodet wurde, worüber aber fast niemand spricht, auch nicht die Windkraftgegner. Bei uns z.B. der Weiterbau der B33 bei Allensbach, wo erst kürzlich rund 4 ha gerodet wurden, oder die Daimler-Teststrecke bei Immendingen mit spektakulären rund 150 ha. Ich nehme den Windkraftgegnern Ihre hehren Motive für den Wald schlicht nicht ab.

Anderer Vorwurf: Die Gutachten, die solarcomplex vorlegt, seien fehlerhaft, behaupten Kritiker. TÜV-Gutachten fehlten völlig.
Zunächst mal, nicht wir haben Gutachten vorgelegt, sondern die dazu beauftragten akkreditierten Windgutachter. Das waren am Standort Verenafohren der TÜV und die Deutsche Windguard. Was wir den Gutachtern geliefert haben, sind die Rohdaten der Windmessungen von den Messmasten und den Lidar-Geräten. Dazu waren wir von der IG Hegauwind beauftragt, nicht mehr und nicht weniger.

Diese Gutachten sind auch nicht fehlerhaft. Sie machen Vorhersagen zu den zu erwartenden Stromerträgen und weisen sogenannte Unsicherheiten aus. Es liegt dann an den Investoren, ob und wie viele Abschläge sie vornehmen. Da wird letztlich Wortklauberei betrieben: Was sind Gutachten, was sind Prognosen? Jedes Gutachten ist eine Prognose, weil es Aussagen für die Zukunft trifft.

Außerdem wird bemängelt, dass die Windkraftanlage in St. Georgen ein Flop gewesen sei.
Ja, unsere Windkraftanlage in St. Georgen läuft schlecht und damit gehen wir auch völlig offen um. Nicht der Standort war eine Fehlentscheidung, sondern die Wahl der Anlage. Dort gehört eine Schwachwindanlage mit großem Rotor und vergleichsweise kleiner installierter Leistung hin. Die Anlage, die dann gebaut wurde, ist das Gegenteil und deswegen läuft sie relativ schlecht. Meinetwegen ist das ein Flop. Die Frage ist doch, wie geht man damit um, dass man Lehrgeld zahlt. Lässt man es dann ganz oder macht man es besser? Wir haben uns für zweiteres entschieden, haben drei eigene Lidar-Geräte angeschafft und vermessen alle Standorte. Außerdem treffen wir die richtige Anlagenwahl. Und dann gibt es keine Flops mehr.

Auch der Ausstieg der Stadtwerke Stockach sei ein Indiz, dass die Unterstützung in der Region für alternative Energiekonzepte nachlasse, so die Kritiker. Was sagen Sie dazu?
Wo sind die denn ausgestiegen? Die Stadtwerke Stockach haben sich entschieden, am Standort Verenafohren einer von 11 Gesellschaftern der Betreibergesellschaft zu werden. Sie sind dort wie alle anderen mit einer halben Million am Eigenkapital beteiligt. Die Gremien der SW Stockach haben darüber hinaus entschieden, sich an keinen weiteren Windkraftprojekten zu beteiligen.

Von Anfang an hatten die Mitglieder der IG Hegauwind untereinander vereinbart, dass man sich an einem Windpark nur beteiligen kann, wenn man sich vorher auch an den Projektentwicklungskosten beteiligt hat. Chancen und Risiken teilen, das war die Devise. Und vereinbart war auch, dass jedes Mitglied frei entscheidet, ob und wo man investiert. Da gibt es keinen Automatismus. Die einen Akteure engagieren sich halt mehr als die anderen. Und jetzt, wo ist das Problem? Das ist immer das gleiche Prinzip: Ein an sich normaler Vorgang wird skandalisiert.

Wird sich die Politik von solarcomplex deshalb zukünftig ändern oder bleiben Sie bei Ihrem Konzept?
Wie man es nimmt. Wir mussten und müssen unser Konzept ständig anpassen, aufgrund sich ändernder energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen, aktuell z.B. der extrem niedrige Ölpreis, der die Realisierung von weiteren Wärmenetzen erschwert. Aber auch wegen der Inkonsistenz der politischen Rahmenbedingungen. Die mit dem EEG 2017 vorgeschriebenen Ausschreibungen für Windstandorte onshore sind für uns eine große Herausforderung. Aber im Kern bleiben wir natürlich unserem Unternehmensziel treu, schnellstmöglicher Umbau der regionalen Energieversorgung von fossil-atomar auf erneuerbar.

Dass es zwischendurch auch schwierige und zähe Phasen geben würde, war klar. Die Energiewende ist kein Selbstläufer und Menschen sind widersprüchlich. Den Nutzen hat man gerne, aber die Lasten können ja andere tragen. Nur diese Rechnung geht bei einem gesellschaftlichen Großprojekt nicht auf.

hpk