Konstanz wächst um einen Stadtteil nach Norden
Auch wenn es noch Jahre dauert, bis das neue Stadtviertel nördlich von Wollmatingen fertiggestellt sein wird, geht doch jetzt alles relativ schnell. Der Konstanzer Gemeinderat beschloss in seiner gestrigen Sitzung einstimmig einige planungsrechtliche Maßnahmen, die es gestatten, unkooperativen Grundstücksbesitzern die Daumenschrauben zu zeigen. Das bürgerliche Lager begleitete diesen Beschluss nur mit gelindem Gejammer wegen der Heiligkeit des Privateigentums, denn zu groß ist die Wohnungsnot.
Das planungsrechtliche Verfahren auf dem Weg zu einem neuen Stadtteil ist kompliziert. Der gestern beschlossene Schritt heißt „Vorbereitende Untersuchungen“ und soll etwa ein Jahr dauern. Ziel „ist die Prüfung, ob die rechtlichen und fachlichen Voraussetzungen für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme gegeben sind. Dabei soll insbesondere auch die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer, Mieter, Pächter und anderen Nutzungsberechtigten im Untersuchungsbereich ermittelt und gefördert werden.“
Den Spekulanten ein Schnippchen geschlagen?
An die Untersuchungen kann und soll sich dann irgendwann eine „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ (SEM) anschließen, die der Stadt die Möglichkeit gibt, den neuen Stadtteil „Nördlich Hafner“ mit der nötigen Infrastruktur wie Straßen, Plätzen, Kindertagesstätten, Erholungs- und Grünflächen möglichst schnell zu planen und zu bauen. Das gesamte rechtliche Verfahren einschließlich einer Vorkaufsrechtssatzung soll „eine geordnete städtebauliche Entwicklung unterstützen und Grundstücksspekulationen schon während der Untersuchungsphase vermeiden“, wie es in der Vorlage heißt.
Letzteres, das mit dem Geld, war natürlich Roger Tscheulin (CDU) eine kleine verbale Träne wert, aber er tröstete sich über das Elend der gelackmeierten Grundstücksbesitzer mit dem Gedanken an die Sozialbindung des Eigentums hinweg und forderte abschließend mit geradezu klassenkämpferischem Zungenschlag ein sozial ausgewogenes Konstanz, das nicht noch mehr zur Hochpreisinsel werden dürfe.
Eine historische Entscheidung
Immerhin waren sich Peter Müller-Neff (FGL), Roger Tscheulin und Jürgen Ruff (SPD) in einem Punkt einig: Sie nannten die Entscheidung übereinstimmend „historisch“. Aus der Luft gegriffene Gefühlduselei ist das nicht, denn 45 Hektar Wohn- plus 15 Hektar Gewerbegebiet sind dort geplant, und in ca. 2500 Wohneinheiten sollen mindestens 3500 Menschen eine neue Wohnung finden. Natürlich gibt es bei den Grünen auch Bauchgrimmen, denn dort wird eine „schöne Landschaft besiedelt und versiegelt“, wie Müller-Neff es formulierte.
Ganz anders motiviert waren die kritischen Anmerkungen von Anke Schwede (LLK). Sie monierte eine soziale Schieflage der geplanten Bauprojekte. „Der Fokus muss von Beginn an auf die Schaffung bezahlbaren Wohnraums gelegt werden. Im Klartext heißt das für uns: Hier muss öffentlich geförderter, preisgebundener Wohnraum entstehen, mit einem Sozialwohnungs-Anteil von deutlich über 50%. Für uns ist deshalb die führende Beteiligung der Wobak an der Entwicklung und Bebauung des Gebiets entscheidend. Darüber hinaus sollten vor allem am Allgemeinwohl orientierte, genossenschaftliche Einrichtungen und Selbsthilfeprojekte zum Zuge kommen. Wir brauchen dort außerdem ein entsprechendes soziales und kulturelles Umfeld, wir brauchen Quartierszentren, Kitas, Begegnungsmöglichkeiten, Freizeitangebote und vieles mehr. Wir brauchen auch einen sozial- und umweltverträglichen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, denn unserer Meinung nach ist das öffentliche Nahverkehrsangebot der Stadtwerke, was die Anbindung der Vororte betrifft, verbesserungswürdig.“
Galgenfrist für Stadtwald und Bettenberg?
Zwei Stadtväter wollten gleich noch einen zweiten Schritt tun und weitere Gebiete in die Bauplanung einbeziehen, da der Hafner allein nicht ausreiche. Jürgen Faden (FWK) möchte in einem Aufwasch gleich noch Hand an den Stadtwald legen (verzweifelte Blicke in den Reihen der Grünen), während Thomas Buck (JFK) die Bebauung des angrenzenden Bettenberges ins Spiel brachte. Letzteres aber würde nach Angaben von Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn das gesamte Projekt aus rechtlichen Gründen erheblich verzögern. Oberbürgermeister Uli Burchardt ergänzte, das Regierungspräsidium habe die Stadt ausdrücklich darauf hingewiesen, zuerst Flächen zu entwickeln, für die es bereits einen Flächennutzungsplan gibt, und das sei beim Bettenberg nicht der Fall. Wolle man auch dort zuschlagen, müsse man wieder komplett von vorn zu planen beginnen. Jetzt sei jedenfalls erst mal Nördlich Hafner dran.
Auf den Einwand von Anke Schwede, die Stadt verlasse sich wieder einmal auf teure externe Gutachter statt mehr eigenes Personal einzustellen, antwortete der Oberbürgermeister, dass das Einstellen von eigenem Personal plus dessen Einarbeitung 6–12 Monate dauere, während fachkundige externe Gutachter sofort verfügbar seien. Außerdem gebe es auf dem Arbeitsmarkt kaum qualifizierte Menschen.
Wie auch immer, Karl Langensteiner-Schönborn war angesichts der kommenden Aufgaben sichtlich enthusiastisch und rief in den Saal: „So schnell einen neuen Stadtteil zu entwickeln, das ist ein Riesending!“ Eigenlob stinkt bekanntlich, aber die Klimaanlage im Ratssaal verhinderte noch mal das Schlimmste.
Weitere Informationen sowie eine Broschüre zum Download im Internet:
http://www.konstanz.de/umwelt/01029/07657/index.html
http://www.Neuer-Stadtteil.de
O. Pugliese
Nun, Artus Göckel, was wollten Sie uns eigentlich genauer mitteilen? Das Abarbeiten einer persönlichen politischen Position beim vorliegenden Thema ist wirklich nur bedingt brauchbar für die Problemstellung einer sich entwickelnden Stadt. Konstanz braucht mehr Wohnungen. Das ist vorerst mal eine gute Nachricht. Dieses „Mehr“ soll nun auch zum Teil der Haffner bringen. Überall da, wo sich eine schöne Landschaft auftut, zumal mit einem See verbunden, gefällt es Menschen. Wenn dann noch im Zusammenhang das Bildungsangebot für eine vergleichsweise kleine Stadt überaus bedeutend ist, zieht es eben eine ganz bestimmte Schicht an. Ist einfach so! Und war Herosé bis Degussa ein „Kulturraum“ oder mehr eine Industriebrache? So unglücklich sieht es heute doch dort nicht aus! Es hätte ganz anders kommen können! Das Rheinufer belebte sich in relativ kurzer Zeit ziemlich kunterbunt. Und wenn dann noch dieses öffentliche Ufer seine Fortsetzung findet bis in den Bereich Stromeyersdorf, so rundet sich das Bild ab, alle Konstanzer Uferstrecken nicht privatisiert zu halten. Übrigens: Wenn Sie Scala und Info-Stände „themenverwandt“ zu erkennen glauben, kommen Sie etwas arg weit vom Wollmatinger Haffner weg. Oder wollen Sie vor dem Haffner die Stadt und ihre Entwicklung beenden? Es ist genügend planerische Zeit vorhanden, dort einen sinnvollen neuen Stadtteil zu realisieren, der auch Ihren Wünschen gerecht werden kann. Bringen Sie sich entsprechend ein!
Nachtrag : was ist eigentlich aus der Döbele- Planung geworden ?
Ein riesiges Bohei mit 3 Bürgerbeteiligungs- Veranstaltungen 2013/14, seitdem Funkstille.
Niemand ist wirklich gezwungen – schon gar nicht durch eine neoliberale Agenda-( z. B. ) an den Bodensee zu ziehen, sondern die attraktive Lage verursacht in erster Linie den Zuzug von Neubürgern einschliesslich Studenten. Daraus resultieren auch die verhältnismässig hohen Mieten, denn der Neubau von Wohnungen kann mit dem Zuzug nicht Schritt halten. Neue Stadtteile wie Öhmdwiesen, Urisberg, Jungerhalde, Eichhornstrasse, dann Cherisy und in letzter Zeit Petershausen am Rhein und entlang Bahnlinie sowie die ständige Nachverdichtung haben keine Entspannung gebracht und so wird auch das Haffner- Projekt langfristig keine Entspannung der Situation, wohl aber neue Probleme in der Infrastruktur (z. B. Parkplätze in der Innenstadt, Staus durch Verkehrszunahme und durch Engpässe bei den Dienstleistungen ) bringen.
Dass daran dann wieder der Politik die Schuld gegeben wird, sehe ich schon heute.
Die einzig wirklich funktionierende Bremse für einen unkontrollierbaren Zuzug sind tatsächlich die Mieten. Sehr viele die heute noch preisgünstig im Hinterland wohnen würden für die gleiche Miete viel lieber in die Stadt am See ziehen.
Die angesprochene Landflucht ist ein soziologisches Phänomen das schon seit der Mechanisierung der Landwirtschaft in ganz Europa existiert, und auch hier hat die Politik keinen wirklichen Einfluss auf das freie Niederlassungsrecht in unserer Gesellschaft.
Selbst Milliarden- Subventionen würden daran nichts ändern
Die Diskussion verfolge ich nun schon seit einer geraumen Weile auf seemoz.de., und möchte an dieser Stelle den Machern einmal dafür danken, dass hier viele wichtige Themen einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, was in den etablierten Medien sonst nur unzureichend geschieht.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Fragen Zuzug, Verknappung von Wohnraum und damit einhergehender Mietwucher umfassender betrachtet werden sollten. Landauf – landab ähnliche Probleme, – Arbeitsplätze in der Provinz brechen weg, die Kommunen werden zueinander in Wettbewerb gesetzt (siehe Shopping-Mall Konstanz – Shopping-Mall Singen / siehe Kongresszentren Bregenz oder Lindau – Bodenseeforum Konstanz / Gewerbegebiet hier – Gewerbegebiet da, etc.), und wo es in der Politik noch vor Jahren darum ging die Lebensverhältnisse bundesweit anzugleichen, setzt man heute verstärkt auf Metropolen und Metropolregionen. Eine Polarisierung, die längst eine Spirale in Gang gesetzt hat, die zur Zerstörung ganzer Kulturräume führt. Damit meine ich nicht nur den galoppierenden Landverbrauch, sondern, dass man dem gegenüber ländliche Gebiete einer gewissen Verödung preisgibt. Das bedeutet in vielen Fällen, dass dort das Wohneigentum wertlos wird („Omas Häuschen“) und die Menschen sich in Mietabhängigkeit in die Städte begeben müssen. Wem das in die Hände arbeitet muss ich hier nicht weiter ausführen. In dem Zusammenhang glaube ich weiterhin beobachten zu können, auch wenn mancher das als Klischee abtun würde, dass das „neue Leben“ in der Stadt zu vermehrtem Konsum führt, der so immer mehr in den Lebensmittelpunkt rückt. Ich stelle mir vor, dass dieser Umstand in entsprechenden Kreisen längst erkannt wurde, und in die Strategien von Politik und Investoren einfließt.
Ich möchte damit deutlich machen, dass auch die Probleme in Konstanz eine Folge der neoliberalen Agenda sind, und das jedem bewusst sein sollte, dass die Erschließung neuer Stadtteile lediglich heißt, nur an den Symptomen zu kurieren. (ausnehmen möchte ich bei dieser Betrachtung einmal die Gruppen der Flüchtlinge und Studenten)
An dem Beispiel sollte man also erkennen, dass es einen Bezug zwischen dem sozialen Gedanken und dem Erhalt der Umwelt gibt, der aber auch unmittelbar mit dem Erhalt von Kulturräumen zusammenhängt. Bsp. Herosé, – nachdem man in kürzester Zeit das Nordufer des Seerheins mit Wohnungen im höheren Preissegment, aber auch vor allem mit trivialen Bürobauten, Hoteltürmen und einem letztlich überflüssigen Centroterm-Gebäude regelrecht zugepflastert hat, möchte man nun zur Rodung der Wälder an der Peripherie übergehen. Städteplanerisch sind das in meinen Augen keine Glanzleistungen. Genauso wie der schon jahrzehntelang genehmigte Siedlungsbau, der es gestattete ganze Hügel und Abhänge mit platzraubenden Einfamilien- und Ferienhäusern zu überziehen. Die Quittung erhalten wir heute.
Hinweisen möchte ich in dem Zusammenhang auf eine Sendung aus der Reihe „Topographie“ des BR. Der Autor Dieter Wieland zeigt bereits im Jahre 2004 mit universeller und profunder Sachkenntnis, die heute übrigens nur noch selten zu bemerken ist, wie die Zerstörung des Bodenseeraumes fortschreitet. Der Leser muss sich dabei fragen, unter welchem Diktat Stadt-Planung stattfindet, die zu so einer Situation führt, in der wir uns jetzt befinden. Ich erkenne hier zudem eine Themenverwandtschaft zum Fall „Scala“, und im weiteren Sinne auch zu der beobachteten Gängelung bezüglich von Info-Ständen im öffentlich-städtischen Raum, worüber Seemoz jüngst berichtete.
Der oben beschriebene Film (43min) ist auch als DVD an der Unibib Konstanz ausleihbar. Hier ein Link auf die Mediathek des BR:
Topographie (2004) Der Bodensee – Zersiedelung einer Landschaft