Was ist dran an der Schweizer Basisdemokratie ?
Am 1. Juni beginnt in Kreuzlingen wie in allen anderen Thurgauer Städten und Gemeinden für die im Frühjahr gewählten Vertreter der Exekutive (Verwaltung) und Legislative (Gemeinderat) eine neue vierjährige Amtszeit. Doch kaum jemand scheint sich dafür zu interessieren. Ein Lehrstück in Sachen Basisdemokratie am Beispiel der Schweizer Grenzstadt.
Volksabstimmung, diese tragende Säule der Schweizer Demokratieform, weckt auch hierzulande zunehmend Begehrlichkeiten. Der Begriff geistert durch unsere politische Landschaft, vor allem immer dann, wenn ein bisschen „Basisdemokratie“ dem einen oder den anderen in den Kram passen würde. Tatsächlich aber weiß kaum einer, wovon er da redet. Natürlich ist der Gedanke an mehr Bürgerbeteiligung bei Sachentscheidungen verlockend, und das möglichst ohne das lästige Quorum, und wenn es funktioniert, wie etwa bei der Abstimmung über das KKH in Konstanz, auch eine feine Sache.
Doch zeigt ein genauerer Blick auf die Schweizer Verhältnisse, wie schwerfällig Politik wird – und wie teuer –, wie mühsam auch das „Regieren“, wenn sozusagen über jede Kleinigkeit die Bürger entscheiden müssen, von der neuen Turnhalle im Dorf über den Haushaltsplan der Kommune bis zum Kauf oder Verkauf von Grundstücken. Und wie frustrierend es für alle Beteiligten ist, wenn sich wieder einmal nur etwa 20 bis 30 Prozent der Stimmberechtigten überhaupt für das Thema interessieren.
Der stolze Eidgenosse
Selbstverständlich ist sich jeder aufrechte Eidgenosse bewusst, er ist der „Souverän“, er bestimmt letztlich die Politik Und er ist stolz darauf. Doch will man Genaueres wissen über die nächste Abstimmung, kommt schon mal die Antwort: „Des han i in de Chübel grührt“, will sagen: Die Unterlagen habe ich weggeworfen. Eine offenbar verbreitete Haltung bei den Schweizern, wie die Abstimmungsergebnisse immer wieder zeigen. Zum Beispiel am vergangenen Sonntag im Kanton Thurgau, dem zweiten von insgesamt landesweit festgelegten vier Abstimmungssonntagen. An den Entscheidungen zu verschiedenen Sachthemen, darunter eine höhere Besteuerung von Ausländern, haben sich durchschnittlich nur 27,4 Prozent der Stimmberechtigten beteiligt.
Doch bei Wahlen, so mag man denken, ist das sicherlich anders. Ein Blick auf Kreuzlingen zeigt jedoch, dass auch die Wahl derer, die die Geschicke der Stadt lenken sollen, in der Bevölkerung keineswegs auf breites Interesse stößt. So stand im Februar die Wahl des Verwaltungschefs (Stadtammann) an, einziger Kandidat für den Posten war der amtierende Andreas Netzle. Keine der örtlichen Parteien machte auch nur den Versuch, einen Gegenkandidaten aufzustellen, was für eine eher verschlafene politische Landschaft spricht. Aber immerhin lag die Wahlbeteiligung bei 41 Prozent, was dennoch heißt, dass weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben. Auf den parteilosen Netzle entfielen rund zwei Drittel der abgegebenen Stimmen.
Ganz anders hingegen die Gemeinderatswahl im März. Das 40-köpfige Gremium wurde von gerade mal 28,5 Prozent der Wahlberechtigten neu zusammengesetzt. Vor vier Jahren lag die Wahlbeteiligung noch bei immerhin 37 Prozent. Ein wenig erklärt sich dieses geringe Interesse wohl aus der Tatsache, dass die Kompetenzen dieser Bürgervertreter eng begrenzt sind. Zwar hat der Gemeinderat sozusagen immer das erste Wort, doch entscheiden über alle auch nur annähernd wichtigen Angelegenheiten letztlich die Bürger, die sich wiederum wenig um das Votum ihrer Vertreter im kommunalen Parlament scheren.
Eine Demokratie der Minderheiten
Übrigens wurde am 15. Mai auch in Kreuzlingen wieder abgestimmt. Es ging um ein schon länger kochendes Thema, Bebauung oder Freihaltung eines Geländes zwischen den Schlössern Brunegg und Girsberg am Südhang der Stadt: Stimmbeteiligung diesmal 33 Prozent. Relativ viel für Kreuzlingen, das auch Stimmbeteiligungen von 15 Prozent kennt.
In Kreuzlingen sagen die realen Zahlen aber noch etwas anderes aus: Teils gewollt, teils ungewollt spielen die Bürger im politischen Geschehen kaum noch eine Rolle. Da im Gegensatz zu einigen anderen Schweizer Kantonen Ausländer im Thurgau generell nicht wählen und abstimmen dürfen, sind bei einem Ausländeranteil von inzwischen 50,2 Prozent von den insgesamt 19559 Kreuzlinger Einwohnern lediglich 8310 wahl- oder stimmberechtigt. Angesichts der niederen Wahlbeteiligung heißt das im Klartext auch: Stadtammann Netzle wurde von 2271 Bürgern gewählt, der Gemeinderat von 2365 Bürgern. Sie vertreten also gerade mal rund 12 Prozent der Einwohner.
Eine Demokratie der Minderheiten also. So hatten wir uns Basisdemokratie in der Realität eigentlich doch nicht vorgestellt, oder?
Autorin: R.Klett
Nach der – zgegeben späten – Lektüre von Regine Kletts Artikel sitze ich etwas ratlos da und frage mich: Was will mir die Verfasserin damit sagen? Direkte Demokratie ist schlecht? Zu teuer? Interessiert niemand? Folgt daraus, direkte Demokratie dürfe nicht viel kosten, damit sie gut ist? Die repräsentative Demokratie in der Bundesrepublik ist ja auch nicht gratis: Bundestag und Länderparlamente kosten als Berufsparlamente nicht eben wenig Geld. Dagegen sind Schweizer Parlamente sozusagen ein Schnäppchen. Thurgauer Kantonsräte beipielsweise bekommen für eine Ganztagessitzung gut 250 Franken. Bei höchstens drei Sitzungen im Monat, kann man davon nicht leben. Dafür kosten dann halt Abstimmungen extra.
Regine Klett hat recht, wenn sie auf die tiefen Stimmbeteiligungen verweist. Der Demokratie täte es sicher gut, wenn mehr Leute abstimmen gingen. Aber es gehört zum Wesen der Demokratie, dass die Stimmberechtigten nicht zur Urne geprügelt werden. In deutschland sinken bei den Kommunalwahlen die Wahlbeteiligungen ebenfalls stark. Verzichtet man deshalb auf Wahlen? Hoffentlich nicht. All jene nämlich, die gerne auch an Sachentscheidungen beteiligt sind – Gibt man Millionen für einen Strassenneubau aus? Sollen die Steuern erhöht werden? – haben in der Schweiz dazu etwas zu sagen. In deutschland besteht nicht einmal die Möglichkeit dazu.
Übrigens sind in Kreuzlingen nicht 50,2 Prozent von knapp 20 0000 EinwohnerInnen stimmberechtigt. Es sind nur 50,2 Prozent der über 18-Jährigen.
Sorry, Ich kann ihrer Theorie nicht folgen.
Selbstverständlich ist die auf Plebiszit basierende Demokratie teurer als eine solche, die nur das Volk regiert und sich darauf beruft von diesem legitimiert zu sein. Es kann aber auch der umgedrehte Fall möglich sein. Nehmen wir doch nur mal S21. Dort haben sich die Regierenden einen feuchten Kehricht um den Willen des Volkes geschert.
Es wurden Milliarden investiert und als das Volk merkte, das es von der Lobby und deren Unternehmen die sie vertreten, über den Tisch gezogen wird und Reaktion zeigte, hat man es kurzerhand verprügelt. Das war auch nicht gerade ein Musterbeispiel für Demokratie.
Jetzt wird doch ein Plebiszit durchgeführt. Zugegeben, das kann wirklich richtig teuer werden. Doch hätte man sich diese in den Sand gesetzten Milliarden sparen können, wenn er schon Ende der 90iger stattgefunden hätte.
Ein ähnliches Problem tut sich bei der Stilllegung der AKWs auf: Ausstieg vom Ausstieg zum Ausstieg! Die Gegen-alles-Partei Bündnis90/Die Grünen wird auf dem Grünstreifen überholt, nur um zu zeigen wie ökologisch Schwarz/Gelb regiert und lässt sich dabei noch von einer nicht gerade preiswerten Ethikkommission beraten, nur weil sie selbst keine falschen Entscheidungen mehr treffen möchten. Geht’s noch?
Mappus und seine Kanzlerin deklarierten zuvor die vergangene Landtagswahl auch als Entscheidung über S21. Ich möchte nicht die Worte wiederholen, mit denen beide ihre Niederlage kommentierten, denn es gab mehr als 1 Mio. Überläufer aus der großen Partei der Nichtwähler. Diese haben letztlich auch über S21 entschieden. Damit hatten die Lobbydemokraten, sprich „Demokratie der Minderheiten“, nicht gerechnet.